Faceless

Kapitel 8

Man hört im Fernseher immer, dass wenn ein Kind verschwindet, die ersten 24 Stunden am wichtigsten sind. Ihre Überlebenschance beträgt nur wenige Stunden und meistens ist es am zweiten Tag schon zu spät. Doch wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit bei einem 18 Jährigen? Was passiert, wenn ein junger Erwachsener einfach so verschwindet? Laut Polizei, sind sie meistens nur von Zuhause weggelaufen und würden schon noch auftauchen. Egal wie sehr die Familie daran zweifelt. Aus der Sicht des Gesetzes, kann man da nicht viel machen. Schließlich hat man ab 18 das Recht, über seinen eigenen Aufenthaltsort zu entscheiden.

Als die Polizei von Ray hört, schicken sie einen Streifenwagen zu uns, der gerade vor dem Haus parkt. Nervös laufen die meisten von uns im Raum auf und ab, während ich zu den wenigen gehöre, die auf der Couch sitzen und versuchen die Ruhe zu bewahren. Die zwei männlichen Polizisten stehen kurz darauf mit uns im Raum und versuchen zu Erfahren, was genau passiert ist. ,,Wir sind das Wochenende zu siebt hier hin gefahren, um in Ruhe zu feiern." beantworte ich die Frage vom Polizisten. ,,Wem genau gehört das Haus?" ,,Dem Vater von Ray. Er weiß aber, dass wir hier sind. Wir haben ihn auch schon gefragt, ob Ray vielleicht Zuhause ist. Keine Spur von ihm..". Betrübt wandert mein Blick von Officer McLeary zu meinen Füßen. Wir hatten zuvor beschlossen, dass ich die Fragen beantworten würde.

,,Und was genau ist gestern Abend vor dem Verschwinden passiert?" fragt sein Partner, Officer King, an mich gerichtet. Tief atme ich durch und schlucke den Klos runter, der sich bei der Erinnerung, in meinem Hals bildet. ,,Wir haben.." ,,Jenny.." warnt Johnny mich leise, doch ich ignoriere ihn. Hier geht es schließlich nicht um uns. ,,Ihr habt..?" ,,Wir haben getrunken und ein paar von uns haben Hash-Brownies gegessen. Zusammen haben wir uns für ein Trinkspiel entschieden und das ging auch ein paar Stunden gut." ich beobachte wie die Polizisten vielsagende Blicke austauschen und jedes meiner Worte mitschreiben. ,,Was ist dann passiert Miss Carter?" ,,Meine 'beste Freundin' Lisa bekam die Aufgabe, jeden im Raum zu küssen. Nur leider fand sie es passend, es mit meinem Freund, Ray, zu übertreiben. Also bin ich aus dem Raum gestürmt und habe mich in unserem Zimmer eingesperrt. Kurz darauf wollte Ray mit mir reden. Ich habe ihn jedoch weggeschickt. Seit dem habe ich ihn nicht mehr gesehen. Das war.. zwischen 7 und 8Uhr..". Die Polizisten nicken und beobachten mich kurz, bevor sie ihren Blick zu den anderen werfen. ,,Habt ihr gesehen, was danach passiert ist?". Die meisten schweigen nur und werfen mir giftige Blicke zu, als wäre es meine Schuld, dass sie Drogen genommen hatten. 

,,Johnny und ich waren die letzten die ihn gesehen haben." meldet Noah sich nun zu Wort und lenkt die Aufmerksamkeit der Officers auf ihn. ,,Wir sind ihm zum Hauseingang gefolgt und wollten ihn zur Rede stellen. Keiner von uns war wirklich begeistert von der Idee ihn gehen zulassen, aber er wirkte komplett neben der Spur. Wir hatten gehofft, dass ihm die frische Luft gut tut würde und haben ihn dann gelassen. Das war direkt nachdem Jenny ihn weggeschickt hatte." ,,Und keiner hat sich gewundert, als er nicht wiederkam?". Gute Frage.. Wieso hate sich keiner gewundert?

,,Die meisten haben sich direkt danach in ihr Zimmer zurückgezogen. Und morgens dachten wir, dass er einfach nur ausschlafen würde. Sobald uns klar wurde, dass keiner weiß wo er ist, haben wir angefangen alles im Haus und außerhalb abzusuchen. Keine Spur von ihm.." bringt sich Matthew zum ersten mal in das Gespräch ein. ,,Okay.. Wir werden das Haus und die nahe Umgebung noch einmal durchsuchen, falls das in Ordnung ist. Ihr könnt euch gemeinsam auf den Weg zum Revier machen. Dort wird jeder von euch ein persönliches Statement geben müssen. Aber das wird euch dort nochmal erklärt. Die minderjährigen unter euch, sollten ihre Eltern informieren."

Da Noah der einzige ist, der mich gerade sehen kann, ohne mich erwürgen zu wollen, teilen wir uns zu zweit sein Auto, während die anderen sich eins zu viert teilen. Die ganze Fahrt über schweigen wir uns an. Abgesehen von den Momenten, in denen wir mit unseren Eltern telefonieren. So fühlt sich der Weg zur Polizeistation, noch viel länger an, als er eh schon ist. Und mit jedem Meter, den wir uns nähern, wird mir immer deutlicher bewusst, was gerade eigentlich passiert. Ray ist verschwunden. Mein Freund, den ich seit 4 Jahren fast täglich sehe und der nie von meiner Seite gewichen ist, ist einfach weg. Und das letzte was ich ihm gesagt habe ist 'Ich hasse dich'.