Ich hob den Blick und nahm das rote Ziegelsteingebäude in Augenschein, das sich die Garfield High nannte. Es war die Schule, an der ich fortan unterrichten würde. Gerade erst kam ich frisch aus meinem Masterstudiengang in den Bereichen Englisch und Geschichte an der University of Washington. Meine Teaching license - eine Lizenz, die es mir erlaubte in Washington unterrichten zu dürfen - hatte ich durch das Unterrichten an einer anderen High School, ebenfalls hier in Seattle, erhalten. Da diese allerdings einen Lehrerüberschuss zu beklagen hatte, sah ich mich gezwungen eine andere Stelle anzunehmen. Ganz abgesehen davon hatte ich ohnehin nicht bleiben wollen. Es erwies sich nicht selten als Fehler, genau an dem Ort zu stagnieren, an dem man gelernt hatte. Ganz oft blieb man dort nämlich genau das - der Lernende. Und so war ich hier gelandet.
Ich schulterte meine Umhängetasche und trat den Weg über die große einladende Steintreppe an, die in das Gebäude der Garfield High führte. Ich war ziemlich früh dran und dennoch standen bereits vereinzelte Schülergrüppchen in dem kleinen Eingangsbereich.
Ich betrat die Schule und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, der von nun an zu einem festen Bestandteil meines Lebens werden würde. Ich nahm den braunen Linoleum mit Kachelmuster wahr, ebenso wie die in dunkel gehaltenen Wände. Zu meiner Linken prangte wie üblich an High Schools ein Abbild des Maskottchens der Schule. Es war ein Bulldog, der geschmückt war in den für die Garfield High typischen Farben - Lila und Weiß. Überall waren Informationstafeln errichtet worden mit Raum- oder Stundenplänen.
Im letzten Moment wich ich einem Mädchen aus, das gefühlt drei Köpfe kleiner war als ich und mich dennoch fast über den Haufen gerannt hätte. Ihre grauen Locken wippten bei jedem Schritt, den sie tat und sie unterhielt sich angeregt mit einem Jungen.
»Verdammt Timmy, du bist so ein Langweiler! Wie konntest du nur einschlafen? Wie haben Iron Man geschaut, verstehst du? Iron Man. Dir ist schon klar, dass wir den Film jetzt nochmal schauen müssen...«, das Mädchen gestikulierte wild in der Luft und ihr Gespräch verstummte, als die beiden auch schon an mir vorbeigelaufen waren. Ich blendete die Schüler um mich herum aus und schlug den Weg in Richtung des Teachers' Room ein.
Da ich bereits einige Male hier gewesen war - zum einen wegen meines Bewerbungsgesprächs und zum anderen, um mich in meinem zukünftigen Klassensaal einzurichten, kannte ich mich schon ein wenig aus. Zudem hatte ich bereits die Hälfte des Lehrpersonals kennengelernt, auf einem Grillfest, das in den langen Sommerferien stattgefunden hatte. Meine Kollegen erweckten alle gar einen sehr offenen und herzlichen Eindruck. Insbesondere mit Miss Connors hatte ich mich gut verstanden. Lisa Connors war nämlich dieses Jahr auch neu an die Garfield High gewechselt. Wir hatten also etwas gemeinsam. Womöglich verstanden wir uns deshalb auf Anhieb so gut. Eine Leidensgenossin, die sich ebenfalls den anfänglichen Hürden eines jeden Lehrerdaseins zu stellen wagte.
Aller Anfang war schwer, insbesondere als Lehrkraft. Oftmals war es nicht einfach, sich einen Platz in der Schülerschaft zu verdienen und sich in die Autoritätsperson zu verwandeln, zu der man als Lehrer bestimmt war. Wenngleich ich mir darüber eher weniger Sorgen machte, als um die Tatsache mir liebeswütige Teenager Mädchen vom Hals zu halten. Die anerkennenden Blicke, die ich bereits von einigen Schülerinnen zugeworfen bekam, waren mehr als eindeutig. Ich seufzte. Das war nicht neu für mich. Mir war durchaus bewusst, welche Wirkung ich auf Frauen hatte, wenngleich mich das herzlich wenig interessierte.
Ich erreichte den Teachers' Room, in dem sich bereits einige meiner Kollegen aufhielten, unter anderem auch Lisa.
»Logan, schön Sie zu sehen!«, sie begrüßte mich sogleich mit einem breiten Lächeln. »Na, sind Sie genauso aufgeregt vor Ihrem ersten Tag wie ich?«
»Ein wenig«, ich erwiderte ihr Lächeln und gemeinsam ließen wir uns an einem der Tische nieder. Im Gegensatz zu mir wirkte Lisa furchtbar nervös. Die Ärmste. Doch die Aufregung stand ihr gut. Zwar war sie nicht so ganz mein Typ, aber mit ihrer hochgewachsenen, schlanken Figur, den blonden, lockigen Haaren und den blauen Augen war sie durchaus eine Frau, welche die Blicke der Männer auf sich zog. Zu Beginn hatte ich befürchtet, dass ihre überschwängliche Freundlichkeit mir gegenüber womöglich sexueller Natur war. Insbesondere, da sie mich in den Sommerferien ein, zwei Mal zu einem Drink hatte einladen wollen. Als ich bereits am überlegen war, wie ich ihr auf möglichst höfliche Art und Weise einen Korb geben könnte, da ich den strengen Ehrenkodex vertritt, mit keiner Kollegin eine Affäre anzufangen, hatte sich das Problem auch schon erübrigt - denn Lisa schwärmte ununterbrochen von Thomas Sawyer, einer der Geschichtslehrer an der Garfield High. Kaum vorstellbar, dass der langweilige, pedantische Mann ihr Interesse geweckt hatte. Nichts für Ungut, Thomas Sawyer war wirklich freundlich und zuvorkommend, aber über etwas anderes, als den amerikanischen Bürgerkrieg oder die Entstehung der Unabhängigkeit Amerikas konnte man sich mit ihm nicht unterhalten. Umso beeindruckender empfand ich es, dass er eine Frau von Lisas Format hatte für sich einnehmen können. Nichtsdestotrotz traute Lisa sich ganz offenbar nicht, ihn um ein Date zu bitten, da sie von nun an Kollegen waren. Wie dem auch sei, wenn man von Lisas Schwärmerei für Thomas mal ganz absah, wäre sie ohnehin keine Frau für mich gewesen. Die Frauen, mit denen ich mich traf, waren speziell. Es waren Frauen, mit denen man sich nur einmal traf und dann nie wieder. Das lag wohl weniger an den Frauen, als an mir.

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Logan's story
Romance*Pausiert* Logan Black sieht die Welt stets nur in Schwarz oder Weiß. Gut oder Böse. Richtig oder Falsch. Denn die Schatten seiner Kindheit haben Logan zu einem gebrochenen Mann gemacht. Doch dann trifft er auf die junge Drea Dupree, die sein Leben...