Kapitel 5

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Die gesamte Nacht über lag ich wach in meinem Bett und tat kein Auge zu. Ich wälzte mich hin und her, doch die erlösende Bewusstlosigkeit des Schlafes wollte mich nicht einholen. Stattdessen spukten mir Bilder von der jungen Frau im Kopf herum, die im Zimmer nebenan lag und schlief.

Noch immer war ich schockiert darüber, was ich in ihrer Gegenwart gefühlt hatte. Ich schämte mich dafür, dass ein Mädchen, das acht Jahre jünger war und bei der es sich zu allem Übel auch noch um meine Schülerin handelte, ein solches Verlangen in mir hervorrief. Der Blick aus ihren wunderschönen braunen Augen hatte mich völlig unverhofft getroffen. Sie hatte etwas an sich, das mich nicht mehr loszulassen schien. Etwas, das mich wie magisch anzog. Sie strahlte eine unglaubliche Wärme aus, als wäre sie der Inbegriff von Liebenswürdigkeit, Gutmütigkeit und Unschuld. Ihr Anblick verschlug mir jedes Mal aufs Neue die Sprache.

Und dennoch... Es war ein riesengroßer Fehler gewesen, sie mit zu mir nach Hause zu nehmen. Noch immer konnte ich mir nicht erklären, was nur in mich gefahren war. Ich hatte eine Grenze überschritten, die ich nicht hätte überschreiten dürfen. Ganz gleich wie verbunden ich mich ihr auch fühlte oder wie sehr sie mich an meine Schwester erinnerte. Ich war zu weit gegangen.

Seufzend verbannte ich Drea Dupree aus meinen Gedanken und widmete mich wieder dem erfolglosen Versuch, etwas Schlaf zu finden. Tatsächlich waren mir jedoch nur en paar Stunden vergönnt, ehe mich wieder einmal die altbekannten Albträume heimsuchten. Beinahe jede Nacht quälten mich die Erinnerungen meiner Kindheit, was auch der Grund dafür war, dass ich Schlaf nicht sonderlich mochte.

Als mein Wecker am frühen Morgen klingelte, war ich sofort auf den Füßen und machte mich auf den Weg ins Badezimmer. Im Flur angekommen zögerte ich kurz und warf einen Blick auf die Tür des Gästezimmers. Sobald sie wach war, würde ich sie sofort nach Hause fahren. Ich sollte keine Minute länger als unbedingt notwendig Zeit mit ihr verbringen.

Tatsächlich hatte es jedoch den Anschein, dass es sich bei Drea um eine Langschläferin handelte. Den ganzen Morgen über ließ sie sich nicht blicken. Also versuchte ich die Zeit zu überbrücken, indem ich an meinem neuen Buch schrieb. Ich schnappte mir meinen Laptop und machte es mir im Wohnzimmer bequem. Kurz nach zwölf Uhr am Mittag vernahm ich Geräusche aus dem ersten Stock. Offenbar schien Drea endlich aufgewacht zu sein. Kurz überlegte ich, einfach zu warten, bis sie nach unten kam, sicher wollte sie sich erst einmal frisch machen. Da ich ihr in dem ganzen Trubel gestern Abend jedoch nicht einmal erklärt hatte, wo sich das Badezimmer befand, entschied ich mich dazu, nach oben zu gehen, um nach ihr zu schauen.

Als ich allerdings im ersten Stock ankam, sah ich gerade noch, wie sie ein paar Schritte in ein Zimmer trat - doch nicht nur irgendein Zimmer. Es war mein Schlafzimmer.

Irritiert blieb ich stehen und sah ihr nach. Schnüffelte Drea etwa in meiner Wohnung herum?  Langsam näherte ich mich ihr und verspürte währenddessen gemischte Gefühle. Ich empfand es einerseits als unhöflich, in einer fremden Wohnung zu spionieren, andererseits aber störte es mich nicht. Es war lediglich ein seltsames Gefühl, Drea nun inmitten meines Schlafzimmers vor dem großen King Size Bett stehen zu sehen, wenngleich mir nur allzu deutlich bewusst war, dass sie überall sein sollte, nur nicht hier. Nicht im Schlafzimmer ihres Lehrers.

Neugierig sah sie sich um, inspizierte den dunklen Dielenboden, die grauen Wände und das helle Mobiliar, bis ihr Blick zu dem begehbaren Kleiderschrank zu ihrer linken wanderte, wo ich meine Kleidung sorgfältig und gewissenhaft aufbewahrte. Ich musste ihr Gesicht nicht sehen, um ihre Gedanken zu lesen. Ihr gefiel meine Wohnung, aber sie fand es zu ungemütlich, zu ordentlich, zu steril... Mir war klar, dass mein Zwang nach Ordnung schon fast krankhaft war. Doch ich konnte nicht anders. Ich brauchte die äußerliche Ordnung, um eine innere Ausgeglichenheit zu verspüren. Um die Unordnung meiner Vergangenheit zu vertreiben.

Logan's storyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt