Kapitel 2

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Die erste Stunde verging wie im Flug. Ich unterrichtete eine Mittelstufe in American History und das Glück schien heute ausnahmsweise mal auf meiner Seite zu sein, denn die Schüler waren aufmerksam und beteiligten sich eifrig am Unterricht. Insbesondere die weiblichen Zuhörerinnen schienen großes Interesse an meinen Erzählungen über die Geschehnissen der amerikanische Kolonialzeit zu bekunden. Das überraschte mich weder, noch schenkte ich ihrem Augenaufschlag große Beachtung. Mich interessierte lediglich, ihnen Wissen mit auf den Weg zu geben, den sie während ihrer Schulzeit bestritten. Und als ich nun in die neugierigen und begeisterten Gesichter blickte, wusste ich, dass ich genau hierher gehörte, dass ich die richtige Berufswahl getroffen hatte. Dass sich die harten Jahre während des Studiums ausgezahlt hatten. Ich spürte eine innere Zufriedenheit. Genau das war es, was ich tun wollte. Genau das war es, wozu ich berufen war. Wenn man von meinem Zweitberuf als Autor mal ganz absah.

Die Schule war ein Ort des Wohlfühlens. Ein Ort des Miteinanders. Eine Sinnstiftung. Aber vor allem war sie eines. Ein Ort des Lebens.

In den Schatten meiner dunklen Kindheit war sie es gewesen, die mir Mut machte, die mir die Hoffnung auf ein besseres Leben schenkte, egal wie oft ich auch von meinen Mitschülern schräg angesehen oder ausgegrenzt wurde, weil ich täglich mit neuen Blessuren und blauen Flecken aufgetaucht war. Die Schikanen meiner Mitschüler waren das weitaus kleinere Übel, im Vergleich zu der Zeit, die mich nach der Schule Zuhause erwartete. Also stürzte ich mich in das Lernen und Wissen, um mir, vor allem aber auch meiner Schwester Joanna, ein besseres Leben ermöglichen zu können. Um meine kleine unschuldige Schwester aus diesem Loch, das sich unser Zuhause genannt hatte, zu befreien.

Und genau dies war auch der Grund, weshalb ich mich der Schule so verbunden fühlte - sie war meine Auszeit von all dem Schrecken gewesen. Und vielleicht, aber nur vielleicht, konnte ich heute diese Hoffnung für andere Teenager sein, die ein ähnliches Schicksal teilten.

Als der erlösende Gong erklang, welcher das Ende der Stunde ankündigte, begann sich der Saal langsam zu leeren. Unterdessen warf ich einen schnellen Blick auf meine Unterlagen. In der nächsten Stunde sah ich mich einer der Abschlussklassen gegenüber, die ich im Fach Englisch unterrichten sollte. Abschlussklassen waren immer die Unerträglichsten. Denn die Schüler befanden sich am Anfang vom Ende ihrer schulischen Laufbahn. Die Lust der meisten Schüler, sich im letzten Jahr noch einmal auf den Hosenboden zu setzen und zu büffeln, hielt sich daher stark in Grenzen - und ich konnte es ihnen nicht verübeln. Doch ich ließ mich keineswegs von dieser Tatsache beunruhigen, vielmehr hieß ich die Herausforderung mit offenen Armen willkommen und sah darin eine Chance, mich selbst weiterzuentwickeln und zu wachsen. Ganz abgesehen davon, dass ich keine Zweifel daran hatte, eine Abschlussklasse in Schach zu halten.

Als ich meine Unterlagen für die nächste Stunde zusammensuchte, bemerkte ich jedoch das Fehlen der Namensliste und seufzte entnervt. Das hieß, ich musste noch einmal zurück zum Teacher's Room. Ich beließ meinen Klassensaal offen, sodass die Schüler bereits Platz nehmen konnten, schlang mir meine Tasche über und legte den Weg mit eiligen Schritten zurück. Nachdem ich die Sekretärin des Direktors darum bat, mir eine Liste des Kurses auszuhändigen, trat ich wieder den Rückweg an. Unterdessen flog mein Blick über die Namensliste meines bevorstehenden Kurses.

Einige Schüler hatten sich bereits eingefunden und einen Platz gesucht, wie ich bemerkte, als ich meinen Saal betrat. Ich schlenderte gemächlich zum Pult, wo ich meine Tasche von der Schulter nahm, sie auf den Tisch fallen ließ, das Gesicht hob - und direkt in die dunkelbraunen Augen des Mädchens sah, dem ich vorhin auf dem Schulflur begegnet war.

Unsere Blicke trafen sich.

Und ich konnte nicht mehr wegsehen.

Es war, als hätten sie sich auf wundersame Weise ineinander verhakt, als sorgte ein Bann dafür, dass ich außerstande war, mich abzuwenden. Ich war völlig gefangen in der gleichzeitigen Wärme und Kälte, die in den Tiefen ihrer Augen loderten.

Logan's storyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt