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Kurz schaut er mich nachdenklich an, dann wendet er sich ab und steht auf. "Bist du fertig?", fragt er und ich nicke. Er beginnt den Tisch ab zu räumen und ich weiß nicht wohin mit mir. "Du sprichst nicht viel oder?", fragt er während er die Spühlmaschine schließt. Ich schüttle den Kopf und lächle. Er nickt und lehnt sich an die Küchenablage. Es ist drückend still und ich spiele mit meinen Fingern. "Was machen wir mit dir?", fragt er eher zu sich selbst. Ich schaue auf. Irgendwie ist dieser Satz bedrohlich und angst einflössend. Mit eingeducktem Kopf schaue ich ihn an. Auf einmal ist er mir total unsympathisch. Er schaut mich an. Sein Körperbau ist sehr massiv. Ich drücke mich tiefer in den Stuhl. Er erinnert mich so sehr an ihn. Dann lächelt er. Ich bin irritiert. Ich weiß nicht, ob es ein echtes Lächeln ist. Ich kann es nicht sagen und bin auf alles gefasst. Meine Fingernägel graben sich in meinen Handrücken. Seine Stirn legt sich besorgt in Falten. Ich fange an zu schwitzen. Vor meinem inneren Auge fährt der Zug auf mich zu. Ich schreie ihn an. Ich entspanne meinen ausgelaugten Körper. Ich fühle Angst. So viel Angst. Das Licht kommt näher. Ich schreie noch Mal. Zwei Hände packen mich. "Hey, alles ist gut. Du bist in Sicherheit. Es ist vorbei." Ich reiße die Augen auf. Ich bin in der Küche. In seinen starken Armen. Ich atme tief durch und suche seinen Blick. Ich brauche etwas, an dem ich mich festhalten kann. Standhaft schaut er mir in die Augen und ich halte mich an ihm fest. An seinen Augen. Sie sind grün. Dunkles grün. Undefinierbares grün. Nach einer peinlich langen Zeit senke ich meinen Blick und befreie mich sanft aus seinem Griff. "Danke", murmle ich. Er erwidert nichts. Stattdessen fragt er: "Wie heißt du eigentlich?" Ich schaue ihn an. "Lou." "Leonard." Ungläubig hebe ich die Augenbrauen und muss mir ein Grinsen verkneifen. Er knufft mich auf den Arm. "Hey! Das ist nicht lustig! Meine Eltern wollten nur einen traditionellen Namen.", lacht er. Ich kichere. Er schaut eingeschnappt und wendet sich von mir ab. Dann lacht er aber wieder. Fasziniert betrachte ich ihn. Er beeindruckt mich.  "Aber bitte nenn mich Leo! Sonst fühle ich mich so Stein alt mit meinen 20 Jahren!", zwinkert er mir zu. Ich grinse. Er erhebt sich. Er hatte die ganze Zeit neben mir gekniet. Irgendwie sind wir auf den Boden gekommen. Wahrscheinlich bin ich umgekippt. Leos Blick fällt auf die Uhr. Seine Augen weiten sich kurz, dann schaut er mich an. "Sorry, ich muss los. Du kannst ja hier bleiben, wenn du willst.", sagt er. Ich nicke. Er geht aus der Tür und ich erhebe mich ebenfalls und strecke mich. Dabei stelle ich mich auf die Zehenspitzen und recke meine Hände in die Luft. Er dreht sich noch einmal zu mir um. Seine Augen wandern meinen gestreckten Körper hinab und ich stelle mich schnell wieder normal hin und kreuze die Arme vor meinem Bauch. Er dreht sich ganz zu mir um und schaut mich noch mal prüfend an.

"Kannst du tanzen?"

"Ja."

"Bitte tanz für mich. Ein Mal."

"Niemals."

"Warum?"

"Ich hasse es, verdammt."

Er scheint unzufrieden mit meiner Antwort und schaut mir begarrlich ins Gesicht. Ich halte seinem Blick stand und nach ein paar Sekunden gibt er auf. "Okay", er dreht sich um und geht. Nach einer Weile höre ich eine Tür zuschlagen und es ist still. Ich stehe immer noch da. Was soll ich jetzt machen? Unschlüssig nehme ich die Marmelade in die Hand und stelle sie in den Kühlschrank. Ich habe so viel gegessen. Ich platze fast. Ich stelle das Radio an, dass ich entdecke und stelle es lauter. Es kommt gerade Take me to church. Ich liebe das Lied. Ich gehe mein Handy aus meiner Hose holen, die ich gestern an hatte. Und gehe dann wieder in die Küche und lese mit Musik in den Ohren am Tisch sitzend die Nachrichten.

Mum: Wo bist du?  (01:04)

Mum: Ich mache mir Sorgen. Melde dich bitte! (01:30)

+45 1234 5678: Du dumme Schlampe! Komm zurück! (01:35)

+45 1234 5678: Du kannst was erleben! Komm sofort zu mir! Ich warte hier auf dich. (01:40)

+45 1234 5678: Du Miststück. Ich finde dich. (01:48)

Mum: Bitte antworte mir! Ich kann dich auch irgendwo abholen! (01:52)

Mum: Es war abgemacht, dass du um 1 zurück bist! Wo bist du? (02:07)

Mum: Lou, ist alles in Ordnung? Wo bist du verdammt? (02:46)

Mum: ? (03:09)

Mum: Melde dich bitte morgen. Wahrscheinlich schläfst du gerade. (03:15)

Ich schaue auf die Uhr. Es ist jetzt fast drei Uhr Nachmittags. Ich schalte mein Handy aus, ohne auf eine der Nachrichten zu antworten und vergrabe meine Hände in meinen Haaren und schließe die Augen. Woher hat Er meine Nummer? Scheiße.

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ArabesqueWo Geschichten leben. Entdecke jetzt