Kapitel 3 - Erinnerung

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Ich drehte meinen Kopf wieder zur Decke und seufzte. Sie hatte recht, mir blieb nichts anderes übrig als darauf zu warten, was sie mit mir anstellte. Ein Gähnen entfuhr mir und kurz darauf war ich auch eingeschlafen.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, wusste ich zunächst nichts mit mir anzustellen. Mein Blick glitt nur kurz durch den Raum, welcher sich über Nacht nicht verändert hatte. Alles war genauso unordentlich und verstaubt wie am Vortag. Ich hatte auch nichts anderes erwartet und selbst, wenn sich etwas verändert hätte, ich wäre trotzdem bewegungsunfähig gewesen und hätte nichts machen können. Die einzigen Dinge, die sich verändert hatten, waren das nicht vorhandene Licht mit der dadurch hergehenden Frische, und die Geruchsmischung aus den verschiedenen Kräutern und dem Papier, welcher den Lavendelduft der Kerzen wieder vollständig verdrängt hatte.

Ich drehte meinen Kopf wieder nach oben, schloss meine Augen und suchte einen guten Zeitvertreib. Noch einmal ging ich alles durch, was ich am Vortag erfahren hatte; mal davon ausgehend, dass es wahr war. Das hätte geheißen, dass ich genauso viel Ahnung gehabt hätte wie, wenn es eine Lüge war. Alles war so unangenehm ungenau. Ich wusste gar nichts! Es gab mehrere verschiedene Weisen, wie ich ein Drache hätte sein können und ich konnte nicht herausfinden, welche wahr war.

Das löste Wut in mir aus. Ich wollte erfahren, was mit mir los war und stattdessen musste ich dort liegen und konnte mich nicht bewegen! Wie konnte ich ein Drache sein? Wieso hatte ich meine Erinnerungen verloren? Wie konnte ich sie wieder zurückbekommen? Das hat doch gestern geklappt, oder? Aurelia – deren Namen ich zu diesem Zeitpunkt schon wieder vergessen hatte – hatte etwas von Urdrachen-Legenden erzählt und dann konnte ich mich wieder an diese Legende erinnern, halbwegs.

Irgendwie hatte ich das Gefühl mehr als die grobe Zusammenfassung hätte ich auch mit Erinnerungen nicht zu Stande gebracht und dieser Gedanke löste bei mir ein kleines Gefühl von Zufriedenheit aus. Schließlich bedeutete das, dass ich ein wenig von mir selber wusste; nämlich, dass ich mich nicht so sehr für Legenden interessierte und das konnte ich auch in diesem Augenblick nachvollziehen. Legenden sind nur Geschichten der Vergangenheit, welche oft nicht stimmen und sich meistens auf magische Dinge beziehen, und ich lebe lieber in der Gegenwart und habe mit Magie nicht viel zu tun. Wann nützt einem das Wissen, wie unsere Welt entstanden sein könnte? Richtig, eigentlich nie.

Genau solche Gedanken hatte ich zu diesem Zeitpunkt. Wahrscheinlich hätte mich keine Legende der Welt aus dieser Situation befreien können, auch mit Gedächtnis. Jedoch hatte ich gar keine Erinnerungen, weswegen mir alles an Wissen nicht hätte helfen können. Allerdings hatte ich nun etwas womit ich mir die Zeit vertreiben konnte; überlegen, welches Wissen mich aus dieser Situation hätte befreien können, wenn ich mich daran hätte erinnern können. So überlegte ich bis die Falltür geöffnet wurde und das Mädchen hinunter kam.

„Guten Morgen!", begrüßte sie mich fröhlich und fragte nach einem „Morgen" von mir „Wie geht es dir so?" Nach einer kurzen Pause, in der ich sie nur stumm ansah, fügte sie hinzu „Lasse ruhig alles Negative an mir aus, schreie mich an, wenn du willst; ich habe es vollkommen verdient."

Hatte sie nicht, aber ein Gefühl, welches mir sagte, dass es zu einer Diskussion geführt hätte, hielt mich davon ab es laut auszusprechen. Also antwortete ich ehrlich und ruhig „Ich langweile mich zu Tode."

Sie versuchte ein Grinsen zu unterdrücken, was nicht ansatzweise funktionierte. „Dagegen kann ich leider nichts tun. Hunger? Durst?"

Mein Magen beantwortete diese Frage lautstark. Sie drehte sich zum Tisch und griff nach der Schüssel in der sie am Vortag die Erdbeeren hatte gleiten lassen, einer Flasche mit Wasser sowie einem Glas, welches klugerweise kopfüber auf den Tisch gestellt wurde, da sich eine dicke Staubschicht drauf gebildet hatte. Da ich mich nicht bewegen konnte, musste sie mich füttern, was sich sehr ungewohnt anfühlte, wobei man sich fragen muss, ob sich für mich irgendetwas gewohnt angefühlt hätte.

„Ich hätte da eine kleine Frage.", begann sie irgendwann. Da ich gerade auf einer Erdbeere kaute, machte ich nur ein kurzes Geräusch als Zeichen, dass sie ruhig fragen könne. „Als ich dich gestern fragte, wie es dir denn ginge, hast du unter anderem gesagt, dass du keine Erinnerungen hättest." Ein zustimmendes Geräusch. „Hattest du – oder hast immer noch – wirklich gar keine Erinnerungen oder nur wenige?"

Ich schluckte die Erdbeere hinunter. „Ich hatte gar keine, aber als du Urdrachen-Legende sagtest, konnte ich mich an diese erinnern, halbwegs."

„Interessant...", murmelte sie vor sich hin und gab mir Gedanken verloren eine weitere Erdbeere. „Du hast eine Verletzung am Kopf, also könnte es eine Amnesie sein. Dann dauert es einfach nur eine unbestimmte Zeit lang bis du dich wieder an alles erinnern kannst. Hast du eigentlich noch Schmerzen?"

„Nicht wirklich, es sind zwar welche da, aber nicht mehr so stark."

Sie murmelte ein „sehr gut", gab mir die letzte Erdbeere und untersuchte etwas an meinem Arm. „Deine Wunden sind auch schon fast verheilt, was für eine Regeneration." Mit der leeren Schüssel in der Hand stand sie auf und ging zum Tisch. Dort suchte sie kurz nach etwas und griff schließlich nach einem kleinen Fläschchen.

Das Licht im Raum war schon deutlich besser geworden und so konnte ich erkennen, dass dessen Inhalt zwei Flüssigkeiten waren, welche ordentlich voneinander getrennt übereinander in der Flasche schwappten. Die obere sah sehr nach Blut aus, die untere nach einer dunkleren, dickflüssigeren Version davon. Von der dunkleren Flüssigkeit war relativ wenig in der Flasche, vielleicht ein Drittel.

Das Mädchen drehte die Flasche in ihrer Hand bis sie die Mengenangabe sehen konnte. „Hey, wir haben etwas Licht im Dunkeln.", sagte sie erfreut und wand sich wieder mir zu „Du bist kein Drache geworden, weil du zu viel Drachenblut in deinem Körper hast." Auf meinen verwirrten Blick hin, erklärte sie „Das hier ist dein Blut – ich konnte es sammeln, während ich dich heilte. Der obere, hellere Teil ist Menschenblut, der untere, dunklere Drachenblut. Wenn du ein Drache geworden wärst, weil du zu viel Drachenblut in dir hast, müsste mindestens die Hälfte des Blutes aus Drachenblut bestehen. Außerdem schließt es auch die Möglichkeit aus, dass du ein Metamorph bist, dessen Blut sieht ganz anders aus. Zwar stellt sich dadurch die Frage, weshalb du so eine kleine Menge Drachenblut in dir trägst – normalerweise würde der Körper dieses wieder ausstoßen – aber dafür gibt es auch Lösungen."

Ich starrte sie an. Endlich wusste ich etwas! Eine kleine Flamme Hoffnung flammte in mir auf. In mir breitete sich der Gedanke aus, dass sie herausfinden würde, was mit mir los war und ich begann mein Misstrauen ihr gegenüber zu hinterfragen. Die ganze Zeit hatte ich überlegt, ob ihre Erzählungen Wahrheit oder Lüge sind, aber ich hatte noch nicht darüber nachgedacht, weshalb sie mich überhaupt anlügen sollte. Sie schien ein nettes Mädchen zu sein, welches mich wirklich nur heilen wollte. Außerdem konnte ich mich nicht bewegen, weshalb sie mir gegenüber nicht lügen brauchte, etwas dagegen tun konnte ich schließlich schlecht.

Ich wusste nicht wirklich, wie ich zu ihr stehen sollte. Vertrauen oder nicht? Schließlich legte ich diese Frage beiseite. Tun konnte ich nichts, also würde ich so gut es gehen würde beobachten, was sie tat und sie einfach machen lassen.

1.158 Wörter

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 20, 2022 ⏰

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