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Damian's Sicht

Die Feier der Toten war bereits ein paar Tage her. Tage, die ich damit verbracht hatte, wichtige Entscheidungen zu treffen. Unausweichliche Entscheidungen, die mich auch dazu brachten, Niklas zu mir ins Büro zu rufen.

Er schien verwirrt zu sein, als er in das Zimmer trat, was verständlich war, da ich ihn selten allein zu mir beorderte.
Doch dieses Mal musste ich nur mit ihm sprechen.

"Wieso bin ich hier?", wollte Niklas wissen. Die letzten Tage hatte er Abstand zu mir gehalten, was nicht nur daran lag, dass er Zeit mit Amelia verbrachte, sondern auch daran, dass er wütend auf mich war, wie Amelia mir verriet. Er gab mir die Schuld dafür, dass Alina nicht hier bei uns war.

"Ich möchte mit dir über ein wichtiges Thema sprechen."
"Geht es um Alina?"
Ich faltete die Hände auf dem Tisch und sah ihn ruhig an: "Nein, das geht es nicht. Aber ich verstehe, warum das Thema dich so interessiert."
"Wirklich?", fragte er spöttisch. "Den Anschein habe ich nicht."

Auch das konnte ich verstehen. In den letzten Tagen hatte ich nichts getan, um herauszufinden, was mit Alina geschehen war. Ob sie wieder zu mir zurückkommen würde. Aber das hatte einen guten Grund.

Ich hatte meinem Gefühl schon immer vertraut. Egal ob es persönliche Entscheidungen waren oder welche, die das Rudel betrafen. Und ich hatte das starke Gefühl, dass es ihr gut ging. Dass ich sie bald wiedersehen würde. Ich fühlte ihre Präsenz, und das fast jede Minute. Als wäre sie immer bei mir. Das ermutigte mich dazu, erst einmal mein Rudel zu organisieren.

"Es gibt wichtigere Dinge zu besprechen." Niklas' Blick verdunkelte sich bei meinem Worten und ich beeilte mich hinzuzufügen: "Danach können wir uns in aller Ruhe Alina widmen, ohne dabei von anderen Dingen abgelenkt zu sein."

Niklas dachte über meine Worte nach. Scheinbar waren sie zufriedenstellend, denn er setzte sich auf den Stuhl vor mich.
Auffordernd hob er eine Augenbraue.

Ich nahm einen tiefen Atemzug. So richtig glaubte ich nicht, dass ich das gerade wirklich tat. Aber ich hatte mir viele Gedanken darüber gemacht und war immer zu dem Entschluss gekommen, dass es eine gute Idee war. Die Frage war nur, ob Niklas genauso dachte.

"Wie du ja sicher weißt, ist meine Rudelführung unvollständig. Nicht nur, dass Alina nicht da ist, ich habe auch keinen Beta mehr." Durch Jacks Tod war auch automatisch sein Posten entfallen. Das war mir erst gar nicht bewusst gewesen und ich hatte mich auch noch nicht mit einer solchen Entscheidung befassen wollen.
Doch irgendwann musste ich es tun, auch wenn eine solche Wahl immer schwerfiel.

Bei Jack war es einfach gewesen. Ich hatte ihn schon länger gekannt und er war die einzige Person gewesen, der ich jemals vollkommen vertraut hatte.

"Willst du meinen Rat haben, wer dafür am besten geeignet wäre?" Niklas war sichtlich verwirrt. Er verstand nicht, was ich von ihm wollte.
"Nicht ganz. Ich habe mir bereits einen Plan gemacht." Ich straffte die Schultern und sah Niklas grinsend an. Ich konnte einfach nicht anders. "Was hältst du davon, mein neuer Beta zu werden?"

Völlig überrumpelt ließ Niklas sich im Stuhl zurückfallen. Dann fing er an zu lachen. Er konnte gar nicht mehr aufhören. Zwischendurch musste er angestrengt nach Luft holen, bevor er den Kopf in den Nacken legte und weiter lachte.

Ich beobachtete ihn dabei. Niklas lachte ganz anders als ich es mir vorgestellt hatte. Ich hatte ihn ein paar Mal leise lachen sehen, immer sehr zurückhaltend. Doch so tief und laut ganz bestimmt nicht.

Ich war mir nicht sicher, ob ich beleidigt sein oder mich freuen sollte, dass ich ihn endlich zum Lachen gebracht hatte.

Irgendwann öffnete Niklas seine Augen und sah mich an. Als er bemerkte, dass ich nicht lachte, versuchte er rasch, sich wieder unter Kontrolle zu bringen. So richtig gelingen, wollte es ihm nicht. Stattdessen kamen immer wieder komische, kleine Geräusche aus seinem Mund, während er sich diesen krampfhaft zuhielt.

Ich wartete, bis er sich vollends beruhigt hatte und er fragte: "Das war kein Witz?"
Ich lächelte. "Nein, das war kein Witz."
"Aber mich zu fragen, macht überhaupt keinen Sinn. Klar, ich weiß, dass du nun einen neuen Beta brauchst, aber warum fragst du nicht Ethan?"

"Das habe ich", erklärte ich sachlich, "denn ich habe an ihn auch zuerst gedacht. Doch Ethan fühlt sich nicht bereit für den Job." Das stimmt teilweise. Der Hauptgrund, weshalb Ethan ablehnte, war, dass er so nicht mehr viel Zeit mit Lisa verbringen könnte. Würde sie bei uns im Dorf wohnen, wäre das anders, aber das wollte Ethan ihr nicht zumuten.

"Was ist mit Lerhome? Er ist auch einer deiner Freunde. Ihm vertraust du."
Richtig, aber sollten meine Pläne aufgehen, hatte ich eine andere wichtige Aufgabe für ihn. "Mir scheint, du suchst Gründe, um mich von meiner Entscheidung abzubringen."

"Oh ja, das tue ich ja auch. Du hast dir das einfach nicht richtig überlegt. Wenn du schon keinen deiner engsten Freunde nehmen kannst, frag jemand anderen aus dem Dorf. Jemanden, der hier schon lange lebt und der sich mit sowas auskennt. Jemand, der besser geeignet ist als ich."

"Ich will aber nicht jemanden, ich will dich. Ich möchte dich für diesen Posten. Ich brauche dich auch gar nicht zu fragen. Ich bin dein Alpha, wenn ich will, dass du Beta wirst, dann wirst du Beta."
"Aber du fragst mich", stellte Niklas fest.
"Ganz recht. Ich gebe dir eine Wahl. Wenn du mich aber weiter nervst, nehme ich sie dir wieder."

Abrupt stand Niklas auf und stützte sich auf dem Tisch ab. Er war wütend. "Du fällst eine unüberlegte Entscheidung", meinte er gepresst. "Du nimmst einfach irgendeine Person, ohne dir wirkliche Gedanken zu machen."

"Das ist nicht wahr", sagte ich ruhig. Ich hatte schon mit einer solch starken Gegenwehr gerechnet, jetzt musste ich nur noch erfahren, wieso er diese auffuhr. "Ich habe mir Gedanken gemacht. Alina hat dich immer für unfassbar intelligent gehalten. Sie hat dich für deinen Einfallsreichtum bewundert. Du siehst die Dinge anders als die meisten, und gibst einen neuen Blickwinkel auf ein Thema. Du bist stark und klug. Wie du siehst, habe ich mir Gedanken gemacht."

Doch das interessierte Niklas überhaupt nicht. "Das ist Schwachsinn. Totaler Schwachsinn. Nimm irgendjemand, aber nicht mich."
"Warum wehrst du dich so gegen meine Entscheidung?"
"Weil ich es nicht verdiene!", schrie Niklas mich an.

Da hatte ich meine Antwort.
Alina hätte gewusst, wie mit einer solchen Situation umzugehen wäre. Doch ich war nicht sie und sie war nicht hier. Mal schauen, ob das zum Problem werden würde.

"Jetzt, da du Amelia hast, denkst du wohl, dein Glück wäre aufgebracht, was?"
Niklas kniff die Lippen zusammen und starrte mich nieder.

"Weißt du, wir sind sehr unterschiedliche Personen. Zumindest dachte ich das anfangs." Ich zuckte unbeteiligt mit den Schultern und beobachtete Niklas genau. "Genieße das Leben, welches du dir gerade aufbaust in vollen Zügen und gib nicht irgendwann auf, weil du denkst, es wäre genug. Nimm dir immer mehr, so viel du brauchst, bevor es dir nichts mehr nützt und du dein Leben verschwendet hast, weil du immer dachtest, du hättest nichts verdient."

Niklas rümpfte die Nase, er verweigerte jeglichen Blickkontakt zu mir.
"Ich verstehe, dass du mir das nicht glaubst. Ich hätte es in deinem Alter auch nicht getan. Aber lass mich dir eines sagen: Ich glaube, du bist optimal für diesen Posten."

Endlich sah er mich an. Ich hatte keine Ahnung, was Niklas so quälte, was ihn dazu veranlasste, so über sich selbst zu denken. Aber vielleicht könnte ich ihm eine Hand reichen, um ihn zu helfen. Ob er die dann annahm, war seine Entscheidung.

"Zwei Monate", schlug ich vor. "Zwei Monate belegst du den Posten als Beta, sieh es als Reinschnuppern. Wenn du ihn danach immer noch nicht willst, werde ich das respektieren. Aber diese zwei Monate sind nicht verhandelbar."

Ich stand auf und streckte Niklas die Hand hin. "Alina würde das sehr gefallen, das weißt du."
Ab jetzt war es seine Sache.
Und Niklas überlegte. Das sah ich ihm deutlich an.
Schließlich stand auch er auf und schaute von meiner Hand zu meinem Gesicht. Dann schlug er ein und er musste lächeln, bevor er fragte: "Was wird unsere erste Aufgabe sein?"

Goddess Of The MoonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt