Teil 2, Kapitel 3

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Ich hatte erwartet, in der Nacht zu schlafen wie ein Stein. Doch am Ende lag ich bis tief in die Nacht hinein wach. Der Tag ließ mich unruhig und ein wenig zittrig zurück. Umso länger ich hatte, um darüber nachzudenken, desto schlechter ging es mir.

Angefangen bei dem Telefonat mit meiner Mutter. Ich hasste mich dafür, wie weh mir ihr Verhalten heute getan hatte. Es war nicht anders gewesen, als die vergangenen Jahre, aber ich hatte angefangen, mir einzureden, dass alles ja nicht so schlimm gewesen war. Und dadurch war ich nicht mehr vorbereitet gewesen für ihr Verhalten. Ich musste die Mauern um mich herum wirklich wieder renovieren.

Dann mein ‚Ausflug' in den Wald. Bei der Dunkelheit, den Geräuschen und Schatten, der Verzweiflung, wurde mir jetzt noch flau. Ich war kein ängstlicher Mensch, aber nachts allein im Wald war nichts, was ich irgendjemandem empfehlen würde.

Aber das schlimmste war das Gespräch mit Meghan. Oh Gott, was ich ihr alles erzählt hatte. Vermutlich hielt sie mich jetzt für völlig gestört und fand, dass ich übertrieb. Ich hatte eine etwas einsame Kindheit und heute war ich ausgeflippt wegen nichts. Ich hatte sie angeschrien, als sie mich einfach nur angesprochen hatte, ich war wie eine komplett Gestörte durch den Wald gerannt und dann hatte ich auch noch ein Problem damit, dass sie neben mir im Bett lag. Obwohl ein Meter zwischen uns war.

Ich musste mich wirklich mal wieder zusammenreißen.

Irgendwann musste ich doch eingeschlafen sein. Als am nächsten Morgen der Wecker klingelte, hätte ich am liebsten geheult. Ich wollte nicht aufstehen, ich wollte nicht in die Uni gehen, wo ich von Menschen umgeben war. Ich konnte nicht mehr geschlafen haben als ein paar Stunden. Dennoch stand ich irgendwann auf und zog mir eine Leggings und einen viel zu weiten Pullover an, von dem ich die Ärmel umschlagen musste. Mehr würde ich heute nicht auf die Reihe kriegen. Ich schlich ins Bad, wo ich mir nur die Zähne putze und die Haare kämmte. Das Gesicht, was mir im Spiegel entgegensah, war blass, hatte tiefe Ringe unter den Augen und wirkte fahl. Ich hatte schonmal besser ausgesehen. Der Drang, zurück ins Bett zu kriechen, war groß. Aber das würde ich nicht tun – Ich war hierher gekommen, um zu studieren, um einen Neustart zu schaffen, und würde mir das nicht von meiner Vergangenheit vermiesen lassen. Stattdessen ging ich in die Küche und machte mir eine Schüssel Porridge. Ich rührte gerade in dem Topf und versuchte, nicht im Stehen einzuschlafen, als Meghan die Küche betrat.

„Morgen."

Ich brummte nur zur Begrüßung.

Sie grinste ein wenig. „Na, du Sonnenschein?"

Mit einem leisen Seufzen hob ich den Kopf und sah sie an. „Sorry, von mir kannst du heute nicht so viel erwarten."

„Nicht gut geschlafen?"

„Nope", sagte ich gedehnt. Damit war unser Gespräch beendet, bis wir 20 Minuten später gemeinsam aus der Wohnung traten. Wir mussten donnerstags immer gleichzeitig in die Uni und hatten schon bald festgestellt, dass es bescheuert war, getrennt zu laufen. Oder besser gesagt, hatte Meghan das beschlossen. Ich hätte damit kein Problem gehabt.

Die Sonne schien und wollte damit so gar nicht zu meiner Stimmung passen. Ich zog meinen Schal möglichst weit hoch steckte meine Hände so tief wie möglich in meine Jackentaschen. Während wir in die Uni liefen, redete Meghan. Sie erzählte mir von einem neuen Buch, dass sie gestern angefangen hatte. Von einem Rezept, das sie Samstag mit mir kochen wollte. Davon, dass sie ihr Zimmer streichen wollte. Und gerne mehr Pflanzen hätte, weil sie das bei mir so schön fand.

Und auf der ganzen Strecke musste ich kein Wort sagen, sondern nur in den richtigen Momenten ein zustimmendes Brummen von mir geben. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass sie sich daran störte. Vermutlich verstand sie, dass es mir nach gestern einfach nicht so gut ging. Sie war ein wirklich guter Mensch. Ich kaute ein wenig auf diesem Gedanken herum. Es fühlte sich immer noch merkwürdig an, zu wissen, dass diese Person neben mir so vieles über mich wusste und sich trotzdem so verhielt, als wäre nichts gewesen. Sie gab mir das Gefühl, dass es egal war, wo ich herkam und was mit mir los war. Sie tat einfach so, als ob alles absolut okay und normal war. Sie hatte sich gestern als meine Freundin bezeichnet. Sie gab mir wirklich das Gefühl, dass es so etwas gab. Freundschaft.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 26, 2021 ⏰

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