„Wo warst du!?"
Ich schluckte und mein erster Reflex war, mich umzudrehen und wegzulaufen. Aber das hatte ich heute schon einmal getan und war nicht gut geendet.
„Ich... habe mich im Wald verlaufen. Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich wieder wusste, wo ich hin musste. Mein Handy hatte ich hier."
Sie seufzte. „Ich weiß, ich habe versucht dich zu erreichen." Sie hatte mich angerufen? Wieso, um Himmels willen, nachdem ich sie so angegangen war? Aber das sprach ich nicht laut aus. Stattdessen wand ich mich aus der Situation. „Tut mir leid, ich geh duschen. Ich bin ein bisschen eklig." Ohne ihr eine Möglichkeit zu geben, zu antworten, trat ich an ihr vorbei ins Badezimmer, zog meine Klamotten aus, stellte mich unter die Dusche und versuchte, die vergangenen Stunden von mir zu waschen.
War es wirklich erst vier Stunden her, dass ich mit Meghan im Split Bean gesessen war, und einen schönen Tag hatte? Es kam mir eher vor wie vier Jahre. Eine Weile ließ ich nur das Wasser auf meine Haut prasseln. Das warme Wasser tat auf der kalten Haut weh, es bitzelte unangenehm, trotzdem konnte ich die Temperatur nicht runterdrehen. Der Schmerz tat merkwürdig gut.
Einige Zeit später lag ich im Bett, als es leise an die Tür klopfte, aber ich reagierte nicht. Es klopfte nochmals, dann öffnete sich langsam die Tür.
„Schläfst du?" fragte Meghan leise. Ich wollte sie ignorieren, aber mein Körper führte sein eigenes Leben und brummte leise.
Ohne ein weiteres Wort kam sie langsam näher und setzte sich neben mein Bett, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Das Zimmer war dunkel, nur der Mond erhellte es ein wenig. Einige Minuten schwiegen wir beide. Sie sagte nichts, saß nur da. Und heute war ich einfach zu müde, um deshalb nervös zu werden. Ich war so erschöpft, aber schlafen konnte ich nicht.
„Es tut mir leid, was ich vorhin gesagt habe," brach ich irgendwann das Schweigen.
Jetzt war sie diejenige, die unbestimmt brummte. Nach einigen Sekunden fragte sie: „Hast du es denn so gemeint?"
Auf einmal spürte ich, dass meine Augen zu brennen begannen. „Du weißt nicht, wie das ist. Und das ist weder Vorwurf noch Rechtfertigung. Aber... Es ist so schwer. Ich weiß nicht, wie man mit anderen befreundet ist. Meistens will ich einfach nur weglaufen. Aber du lässt das nicht zu und in den letzten Wochen ist das für mich okay geworden. Nur heute..." Ich verstummte und wusste nicht, was ich sagen wollte. In meinem Kopf war es so leicht. Nur wollten die Worte nicht über meine Lippen kommen. In meinem Kopf formte ich schöne, lange, erklärende Sätze, die ich dann aber nicht aussprechen konnte.
„Was ist vorhin passiert?" fragte mich Meghan.
„Meine Mum hat angerufen." Daraufhin schwiegen wir wieder beide für einige Sekunden. Es wirkte seltsam intim, hier im Dunkeln zu sitzen, nur zwei Meter zwischen uns.
„Wieso hat sie das?"
„Sie wollte ein Dokument."
„Okay..." Sie war wirklich gut darin, ein okay so auszusprechen, dass es kein okay mehr war. „Was war das für ein Dokument?"
„Es geht nicht um das Dokument. Es geht nicht um das, was sie gesagt hat, sondern um das, was sie nicht gesagt hat."
Jetzt drehte ich meinen Kopf in ihre Richtung. Ihr Blick war ernst, nachdenklich und etwas, was ich nicht identifizieren konnte. Unsicherheit vielleicht?
„Ihr steht euch nicht so nahe, oder?"
Ein harsches Lachen verließ meine Kehle. „So kann man es auch sagen."
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runaway girl
RomansaDie Geschichte einer jungen Frau, die eigentlich so viel will, aber vor allem Angst hat. Nach 19 Jahren Kälte im Haus meiner Eltern habe ich es endlich geschafft: ich ziehe zum Studium ans andere Ende Deutschlands. Das einzige, was ich mitnehmen wil...