Teil 1, Kapitel 3

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Wieso?

Das war die Frage, die sich in meinem Kopf sinnloserweise ständig wiederholte.

Wieso hatte ich mich 19 Jahre lang quasi mit niemanden unterhalten und wieso gab es jetzt so viele Menschen, die mich nicht in Ruhe lassen wollte?

Das wieso in meinem Kopf war so laut, dass ich seine Worte nicht hörte. Was dazu führte, dass ich ihn nur blinzelnd anstarrte.

„Alex?" Das riss mich aus meiner Starre.

„Hi..." Zwei Buchstaben. In der richtigen Reihenfolge. Wieder einmal ein Schulterklopfen für mich.

„Alles gut?"

„Ja... ich..." Ich was? Mir fiel nichts ein, also verstummte ich.

„Wo willst du denn hin? Vielleicht können wir zusammen weiter reiten?"

Das dauerte ein paar Sekunden, bis es durchsickerte. Dann riss ich die Augen auf.

„Ähm..." Shit. Gab es einen guten Grund, das zu verneinen? „Ich wollte nur Schritt reiten..."

„Kein Problem." Ja, guter Grund, Alex.

Und damit hatte ich mir irgendwie auch schon jede Möglichkeit verbockt, das ganze abzuwenden. Also tat ich, was jeder mutige Mensch tat: Ich ritt in die Richtung, in die ich wollte, und hoffte einfach, dass er mir nicht folgte. Was er natürlich trotzdem tat.

Einige Minuten ritten wir also schweigend nebeneinanderher durch den Wald. Dass ihm das nicht unangenehm war? Sogar mir war es das. Ich versuchte, ihn anzusehen, ohne den Kopf zu drehen. Schon nach wenigen Sekunden taten mir die Augen weh. Wir Menschen waren einfach keine Pferde, die die Augen seitlich am Kopf hatten. Aber ich hörte trotzdem nicht auf. Gestern früh war es noch zu dunkel, als dass ich viel von ihm erkannt hätte. Und ich musste auch meine Meinung zu seinem Alter ändern: Er war nicht mein Alter. Er musste einige Jahre älter sein. Sein Gesicht wirkte... kantig. Die Haare unter dem Helm waren ein dunkles braun. Die Art, wie er sich bewegte, die selbstsichere und entspannte Haltung ließ mich vermuten, dass er schon lange ritt.

War er das? Der Eisbrecher? Ihn zu fragen, wann er angefangen hatte mit dem Reiten?

Wollte ich das Eis überhaupt brechen? Am Ende brach das Eis ganz unter mir weg und ich ging gnadenlos unter.

Und mein Kontingent an Worten war heute erschöpft, nach dem Vormittag an der Uni. Aber ich spürte das Muskelspiel von Ontario unter mir. Seine Wärme. Weshalb konnte er nicht anfangen zu sprechen? Dann musste ich nur reagieren.

„Wannstduangfgnsreitn?"

„Was?" Shit. Okay, das kam nicht ganz so raus wie geplant. Manchmal... verweigerte meine Zunge beim Sprechen einfach den Dienst. Wenn ich nervös war, so wie jetzt. Ich atmete tief ein und aus und versuchte es nochmal, extra langsam und deutlich dieses Mal. Mein Herz pochte schnell in meiner Brust.

„Wann hast du... angefangen zu... ähm... reiten?"

Er wandte mir kurz seinen Kopf zu und bei dem Blick, den er mir zuwarf, senkte ich sofort den Blick. Er hatte mir so direkt in die Augen gesehen, dass es mir beinah intim vorkam. Und falls es nicht schon offensichtlich war: Intimität, egal in welcher Form, war nichts, was ich großartig fand.

Nach zwei Sekunden hörte ich seine ruhige, angenehme Stimme. „Schon immer. Meine Mutter reitet auch, da bin ich einfach immer mitgegangen. Und vermutlich konnte ich allein auf dem Pferd sitzen, bevor ich laufen konnte." Er schwieg und aus den Augenwinkeln sah ich, dass er ruhig auf den Hals seines Pferdes sah. „Ich habe Widow hier schon seit Ewigkeiten. Ich glaube, ich war vier Jahre alt, als meine Mum sie als damals 6-jährige gekauft hat. Obwohl sie viel zu groß für mich war, waren wir von Anfang an ein Herz und eine Seele. Und sobald ich groß genug war, war sie dann zu 100% meine. Jetzt ist sie 26 und genießt ihre Rente. Und ich irgendwie mit ihr. Also, nicht dass ich in Rente bin", er grinste, „aber ich reite nicht mehr aktiv."

runaway girlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt