Kapitel 1 | Emma

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Es ist soweit. Nach jahrelangen Bemühungen und harter Arbeit habe ich mein berufliches Ziel erreicht. Mein Blick schweift zur Bühne, wo eine füllige Frau mit schneeweißem Haar und britischem Akzent von meinen Erfolgen in der Marketingbranche berichtet. »Women of the Year« Award; normalerweise wird er Schauspielerinnen, Sängerinnen oder anderen Prominenten verliehen. Ein Grund mehr, mich geehrt zu fühlen.

»Und deshalb bitte ich um riesigen Applaus für die Frau der Stunde. Unsere diesjährige Women of the Year: Emma Reed!«, spricht die Frau in ihrem schwarzen Hosenanzug und beginnt, euphorisch in die Hände zu klatschen. Mit einem strahlenden Lächeln, das locker Julia Roberts Konkurrenz machen könnte, erhebe ich mich in meinem burgunderroten Traumkleid von Valentino. Mein schwarzes Haar, das mir bis zu zur Brust fällt, ist hochgesteckt und könnte wie bei der Drei-Wetter-Taft Werbung, sogar einem Orkan standhalten. Alles ist perfekt; die Deko, die Gäste und der Award, der die Form von einer gläsernen Aphrodite Statue hat. Mit straffen Schultern und breitem Grinsen betrete ich die Bühne und gleite elegant zum Rednerpult, der ebenso aus Glas gefertigt ist. Bevor ich allerdings sprechen kann, fangen sämtliche Veranstaltungsgäste an, laut zu lachen.

Völlig verwirrt runzle ich die Stirn, bis ich aus einer Eingebung heraus meinen Blick senke und voller Entsetzen feststellen muss, dass ich nicht mehr im Traum eines Abendkleids bekleidet bin, sondern in meinem Pyjama. Wäre das nicht schon schlimm genug, trage ich aus gerechnet den pinken Betty-Boop Pyjama und die quietschgelben Homer Simpson Pantoffeln. Nicht gerade ein Outfit, mit dem ich Karl Lagerfeld überzeugen könnte, mich zu seiner nächsten Muse zu machen. Den Tränen nahe mache ich kehrt und versuche, zu flüchten. Doch ich wäre nicht ich, wenn ich nicht noch einen drauflegen würde. Drei Stufen. Nur drei verdammte Stufen werden mir zum Verhängnis. Ich stolpere über meine eigenen Füße und falle auf den glatt polierten Parkettboden. Der Aufprall übertönt sogar das schallende Gelächter. Mein ganzer Körper schmerzt, mein Kopf nimmt die Farbe einer überreifen Tomate an und meine Frisur ist eine Katastrophe. Diese doofe Schwarzkopf Werbung! Von wegen, die Frisur hält.

Von der »Women of the Year« werde ich degradiert zu Emma Reed. Keine erfolgreiche Marketingmitarbeiterin, sondern Studentin, die nebenbei bei Starbucks versucht, über die Runden zu kommen. Meine Figur gleicht auch nicht der knallharten Geschäftsfrau, sondern eher Bridget Jones. Ich bin Emma Reed, eine Frau mit Hang zur Dramatik, Schokoladesucht und Tollpatschigkeit des Jahrhunderts.

Mit einem kurzen Schrei öffne ich die Augen und starre an meine Schlafzimmerdecke. Mein Kopf schmerzt und zwingt mich, die Augen erneut zu schließen. Das Gelächter aus meinem Traum hallt noch immer in meinem Schädel.

»Was für ein Alptraum«, stöhne ich und zische laut auf. Ein markerschütternder Schmerz erfüllt meinen Kopf. Ich vergrabe meine Hände in den Haaren und versuche, die Ursache für diese Qualen zu finden. Mein Erinnerungsvermögen lässt allerdings zu wünschen übrig, streikt vehement und mir bleibt nichts anderes übrig, als mir die Schläfen mit kreisenden Bewegungen zu massieren. Wie sich auflösender Nebel kommen die Erinnerungsfetzen zurück. Gestern Abend war ich duschen, wollte früh ins Bett und habe mir mein Outfit für den heutigen Tag zurechtgelegt.

»Oh Gott«, flüstere ich, als ich alle Puzzleteile zusammensetzen konnte. Ich erinnere mich an den überglücklichen Aiden, der seine Doktorarbeit bestanden hat und mit mir feiern gehen wollte. Obwohl ich heftigst protestiert habe, hat mich mein bester Freund schon um den Finger gewickelt.

Das laute Schnarchen meines Katers Sammy riss mich aus meinen Gedanken, bis mir bewusst wird, dass dieser Laut nicht von meiner Katze kommt. Wie in Zeitlupe drehe ich mich um und starre auf einen mir unbekannten Mann.

»Oh Gott«, hauche ich und presse mir vor Entsetzen beide Hände vor den Mund. Das sieht mir gar nicht ähnlich, einfach einen Wildfremden mit nach Hause zu nehmen, doch ein Blick auf sein Gesicht lässt mich meine Vorsätze nochmal überdenken. Seine Gesichtszüge sind markant, dazu hohe Wangenknochen, heller Teint und schwarze Haare, die ihm bis zum Ohr reichen. Er war äußerst attraktiv und sein nackter Oberkörper lässt mir das Wasser im Mund zergehen.

Pick the Boss - LESEPROBEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt