Schatten und Licht

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Ich stolperte nach hinten und tastete nach etwas, um mich festzuhalten. Ich brauchte Ruhe für mich und um meine Eltern zu betrauern. Als ich die Wand berührte, ließ ich mich erschöpft an ihr herunter gleiten. Ohne mich zu bewegen, verweilte ich in dieser Position. Sie konnten nicht tot sein. Mein Blick war leer und ich starrte an einen weit entfernen Punkt in dem drei Meter gegenüberhängenden Bild. Ich war komplett geschockt und hatte Kopfschmerzen. Ein paar Mal kniff ich meine Augen zusammen. Funktionierten sie noch richtig, oder hatten sie halluziniert? Nein, sie funktionierten. Das wusste ich nach einigem Überlegen, denn so etwas würde mir nicht einmal in meinen schlimmsten Träumen einfallen. Trotzdem hoffte ich, aufzuwachen.

Meine Gedanken kreisten herum und mein Unterbewusstsein suchte eine Lösung. Das war nie real, das ist nicht real und das wird nie real sein, denn das wäre absolut unmöglich! Einatmen. Ausatmen. Wieder einatmen. Wieder Ausatmen. Obwohl ich so still war, kämpfte ich gerade innerlich. Das Geschehene hatte mein komplettes Weltbild von einer Minute auf die Andere völlig zerstört. Es gab Magie. Leibhafte und echte Magie. Aber wie konnte das möglich sein? Vor wenigen Stunde wäre meine Antwort auf diese Frage:" Gar nicht." Doch die Dinge hatten sich gezeigt und jetzt war ich mir da nicht mehr so sicher. Trotzdem wollte ich nicht daran glauben. Magie war nicht real und eine erfundene Geschichte. Sie folgte nicht den Gesetzten der Physik und alles was ihnen nicht folgte, war nicht echt. Mein Kopf weigerte sich strikt, dem nachzugeben.

Lange saß ich noch da. Ohne Gefühle über die Zeit oder meinen Körper. Das Einzige was ich kontrollierte, war die Müdigkeit. Einschlafen wollte ich auf gar keinen Fall noch einmal. Erst als mein Wecker um 6:30 klingelte, wusste ich die Uhrzeit. Obwohl ich in die Schule musste, blieb ich sitzen. Der Unterricht war mir komplett egal und ich dachte nicht daran. Genauso wenig, wie daran nur einen Fuß aus diesem Haus zu setzten. Hier fühlte ich mich sicher, obwohl dem nicht so war.

Als ich hörte, wie es draußen vor der Tür unruhig wurde, hob ich meinen Kopf. „Ävelin komm bitte raus! Du musst nachher in die Schule und solltest schon längst am Esstisch sitzen.", ertönte die vorsichtige Stimme meines Vaters. Er schien sich Sorgen zu machen, ob wegen des gestrigen Streites mit Mama noch alles in Ordnung sei. Der Streit war nicht das Problem, er war nur der Auslöser, doch das würde ich Papa nie sagen.

Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich blendete alles andere aus. Das Ticken der Uhr, die Stimmen auf dem Flur und die Vögel in der Natur. Ich konzentrierte mich nur auf eine Sache. Meine Eltern lebten. Sie lebten! Leise begann ich vor Freude zu weinen. Ich hatte solche Angst um sie gehabt. Am liebsten würde ich sie jetzt in meine Arme schließen, schaffte es aber nicht, aufzustehen. So blieb ich an der Wand sitzen. „Wenn du nicht gehen möchtest können wir das verstehen. Wir werden dich für heute von der Schule abmelden. Nur Rede bitte mit uns.", meldete sich da die Stimme meiner Mutter. Ich hörte nicht auf sie, sondern blieb in meiner einfachen Gedankenwelt und die Zeit verstrich.

Den ganzen Tag saß ich in meinem Zimmer und gab fast keinen Laut von mir. Die Türe ließ ich abgesperrt und geschlossen. Den immer stärker werdenden Drang, auf Toilette zu gehen unterdrückte ich. Hunger spürte ich noch keinen, doch das würde sich bald ändern, da ich seit mindestens 24 Stunden weder gegessen, noch getrunken hatte. Irgendwann musste ich raus, das stand fest, doch bis es dazu kommen würde, blieb ich in meiner kleinen Blase von Glücksgefühlen.

Doch nach jedem Hoch folgte bekanntlich auch ein Tief und dieses ließ nicht lange auf sich warten. Meine Eltern rückten in den Hintergrund und die Ereignisse der letzten Tage, welche ich verzweifelt versuchte hatte zu verdrängen, nahmen wieder Platz in meinem Kopf ein. Über den blutverschmierte Dolch machte ich mir viele Gedanken. Wenn er nicht für meine Eltern gedacht war, für wen dann? Meine Paranoia machte sich noch dazu bemerkbar und die Angstzustände kehrten zurück. Meine Blase drückte schon den ganzen Tag. Ich musste raus.

Gegen 2 Uhr in der Nacht, wenn alle schliefen, würde ich mich aus meinem Zimmer wagen, etwas zu essen holen und auf Toilette gehen. Doch bis dahin waren es noch gute 10 Stunden und es wäre wieder dunkel.
Ich hatte Panik, dass jemand diese Nacht kommen würde. Panik, dass es einen Dolch mit dem Blut meiner Eltern als Beilage gäbe. Panik, dass die schwarzen Männer mich hohlen würden. Ich hatte Angst vor der Dunkelheit und der Nacht bekommen.

Viele Gefühle fraßen mich von ihnen auf und ich konnte nichts dagegen tun.
Ängstlich wartete ich auf das Verschwinden des Lichts und den Einbruch der Finsternis.

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