Kapitel 4

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Am Nachmittag des gleichen Tages suchte Katharina die Stadtbibliothek auf, um sich dort ein paar Informationen zu besorgen, die sie für eine Ausarbeitung benötigte, welche Herr Jürgens den Schülern heute aufgegeben hatte. 

Es war für sie nicht einfach, Martin aus ihren Gedanken zu verdrängen nach ihrer heutigen Begegnung. 

Da sie es nicht mehr aushielt und sich außerdem erhoffte, etwas erleichtern zu können, hatte sie mit Dorothea, der Freundin von Lars, die in der Bibliothek arbeitete und mit Katharina ebenfalls sehr gut aus früheren Schultagen bekannt war, über Martins Rückkehr gesprochen.

„Er ist tatsächlich an die Schule gekommen?", fragte Dorothea verwundert nach.

„Ja, und seitdem begleitet mich ein ganz komisches Gefühl, da mich sofort die Vergangenheit wieder eingeholt hat.", antwortete Katharina. „Es kam mir vor, als sei alles erst gestern passiert."

„Das kann ich sehr gut verstehen.", stimmte Dorothea zu. „Was hat er denn für einen Eindruck gemacht?"

„Das lässt sich ganz schlecht sagen.", erwiderte Katharina. „Er wirkte schon irgendwo mitgenommen, als hätte er die vergangenen zwei Jahre ebenfalls sehr unter der Sache gelitten. So ähnlich hat er es auch gesagt, was ich ihm durchaus glaube. Trotzdem war es irgendwie komisch, als er plötzlich aufgetaucht ist."

In dem Augenblick trat Lars zu ihnen in den Raum.

„Wer ist plötzlich aufgetaucht?", wollte er wissen und gab damit zu verstehen, dass er den letzten Teil des Gesprächs mitgehört hatte.

Er ging auf Dorotheas Arbeitstisch zu und gab ihr einen Kuss.

„Katharina hat erzählt, dass Martin Schrader zurückgekehrt ist.", berichtete Dorothea anschließend.

„Ja, das stimmt, er war heute auf dem Schulgelände.", bestätigte Lars. „Ich habe ihn selbst gesehen. Er stand sogar einen Augenblick direkt neben mir und wie ihr seht, bin ich erstaunlicherweise unbeschadet davongekommen."

„Das ist nicht lustig, Lars!", ermahnte ihn Dorothea.

„So witzig habe ich das auch gar nicht gemeint, im Gegenteil, es ist mein vollster Ernst.", erwiderte Lars. „Er wäre immerhin nicht der Erste, der nach einer solchen Vorgeschichte rückfällig wird."

„Hat er auch mit dir gesprochen?", wollte Katharina wissen.

„Nicht viel und er schien auch nicht wirklich den Bedarf danach zu haben.", berichtete Lars. „Ich habe es ja immer wieder versucht, etwas aus ihm herauszubringen, leider erfolglos. Er meinte jedoch, er hätte sich jetzt geändert und es sei auch nicht seine Absicht, sich erneut etwas zu Schulden kommen zu lassen. Ob wir ihm das allerdings glauben können, ist eine andere Frage. Ich jedenfalls bin mir da nicht so sicher. Keine Ahnung, wie ihr das seht, aber wie gesagt, er wäre nicht der Erste damit."

„Also, als ich mit ihm sprach, hat er mir erzählt, wie schlecht er sich noch immer fühlt wegen damals und heute ganz anders darüber denkt.", fuhr Katharina fort. „Dass er mir das nur vorgespielt hat, kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Ehrlich gesagt, hat er mir sogar leid getan."

„Vor zwei Jahren hätte auch niemand mit so einer Aktion von ihm gerechnet.", entgegnete Lars. „Immerhin scheint er dir gegenüber offener gewesen zu sein als zuvor bei mir. Aber ganz wohl war dir doch sicher auch nicht, als er dich heute aufgesucht hat?"

„Es kam für mich sehr überraschend, das stimmt.", antwortete Katharina. „Die Situation war komisch, als ich ihm gegenüberstand, aber trotzdem hatte ich nicht den Eindruck, dass er vorhätte, mir etwas anzutun."

„Wenn du meinst...", sagte Lars. „Es ist echt erstaunlich, wie gelassen ausgerechnet du damit umgehst. Ich weiß nicht, ob ich das an deiner Stelle ebenfalls könnte."

„Ich auch nicht.", fügte Dorothea hinzu.

„Ich weiß, ich werde nie vergessen, was er getan hat, aber ich will ihn auch nicht weiter verurteilen.", erwiderte Katharina. „Er hat sicher mehr durchgemacht, als wir alle ahnen. Außerdem war er nicht von vornherein schlecht, sondern hat sich vor diesem Vorfall als herzensguter Mensch erwiesen."

Sie warf einen kurzen Blick auf ihre Jacke und den dort angebrachten Fußball-Button.

„Es hätte alles ganz anders verlaufen können.", fuhr sie fort. „Irgendwo kann ich ihn sogar verstehen und trage wahrscheinlich auch wirklich selbst meine Schuld mit daran. Natürlich entschuldigt das sein Verhalten in keiner Weise. Doch anscheinend will er die Sache ebenfalls endgültig begraben, so habe ich ihn zumindest verstanden. Ich merke gerade, dass mir jetzt noch so viel einfällt, was ich ihm besser schon vorhin an der Schule hätte sagen sollen, aber es kam halt wirklich alles völlig überraschend..."

„Aber das lässt sich doch bestimmt noch irgendwie regeln, wenn es dir wichtig ist.", war sich Dorothea sicher. „Am besten trefft ihr euch noch einmal, um in Ruhe über alles zu reden und die Sache endgültig aus der Welt zu schaffen. Das wäre sicher gut für euch beide, dann müsste niemand in Zukunft ein schlechtes Gewissen haben."

„Diese Idee hört sich gut an.", stimmte Katharina zu.

„Am besten kontaktierst du ihn, weil er wahrscheinlich nicht von sich aus den Anfang machen würde, verständlicherweise.", fuhr Dorothea fort. „Bring' ihm vielleicht noch ein kleines Versöhnungsgeschenk mit. Wenn du sagst, dass du dich ebenfalls nicht ganz schuldlos fühlst, kannst du das auf diese Art gleich mit bereinigen."

„Ich muss sagen, dass ich zwar nicht viel von Schrader halte, aber ich finde auch, dass Dorothea Recht hat.", sagte Lars. 

„Schon damit endlich Ruhe einkehrt, wäre es gut.", ergänzte Dorothea. „Wenn ihr es jetzt nicht klärt, wann dann?"

„Ja, finde ich auch.", erwiderte Katharina nickend. „Ich danke euch."

„Nichts zu danken.", erwiderte Lars, bevor Katharina die Bibliothek verließ. 

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