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Ungehalten stampfte ich durch die Flure und es dauerte nicht lange, ehe ich den Grund meiner unbeschreiblichen Wut mit Erwin und Hanji zusammen entdeckte.

Alle drei drehten sich zu mir, als ich vor ihnen stand und den Hauptgefreiten gegen die Brust boxte, ich wünschte es wäre effektiver, als dass sich nur sein Oberkörper nach hinten neigte, doch das war jetzt nicht wichtig.

"Haben Sie den Verstand verloren?", knurrte ich und baute mich vor ihm auf. Levi starrte mir genervt in die Augen, was mich direkt noch rasender machte.
"Was wollen Sie?", fragte er mit monotoner Stimme.

"Sie können Carl nicht mit nehmen. Er ist noch ein Kind!"

"Das kann und werde ich. Er ist mein Rekrut."
Bevor ich darüber nachdenken konnte, was ich tat holte ich mit meiner flachen Hand aus und zielte auf seine Wange. Doch bevor ich Levis Gesicht treffen konnte, wurde ich am Handgelenk gepackt. Wütend sah ich zu Hanji, die meine Hand umklammerte.

"Beruhige dich.", sagte sie streng zu mir. Ich biss die Zähne zusammen und am liebsten würde ich sie alle drei umbringen. Leider war ich dazu nicht in der Lage.

"Beten Sie, dass Sie ihn heile zurück bringen, sonst werden Sie es bereuen.", hauchte ich und ich legte meinen gesamten Abscheu, den ich im diesem Moment für ihn empfand in meine Worte.
Ich riss meine Hand von Hanji los und zischte wieder wütend ab.

In meinem Schlafabteil tigerte ich unruhig umher. Ich hatte Carl bereits ins Bett gelegt, der sofort müde eingeschlafen war.
Ich fuhr mir unruhig durch die Haare. Verdammt, was sollte ich machen? Es wäre Carls Todesurteil, wenn er die Mauern verlassen würde.
Ich hatte zwar schon öfter von verschiedenen Patienten gehört, dass er sich echt gut machte, aber er war ein Kind. Ein Kind, wofür ich die Verantwortung trug. Und kein aufgeblasener Hauptgefreiter, der sich aufspielte. Für ihn war Carl nichts weiter als ein Bauer, den man bei einer Schachpartie opferte, um ans Ziel zu gelangen.

Das konnte ich nicht zu lassen.
Ich wühlte in meinem Kleiderschrank und zog einen Seesack heraus, in den ich ein paar nötige Klamotten von uns packte. Dann ging ich in den Krankenbereich und holte mir auch dort das nötigste, ohne jemanden zu wecken.
Ich stopfte alles in den Sack und schlich zu Carl ans Bett. Einen Moment betrachtete ich ihn. Wie friedlich er aussah, wenn er schlief. Er war wieder der Junge, der über meinen Gartenzaun geschaut hat und mich gefragt hat, ob ich ihn zum Fluss begleitet hatte.
Ein Junge, dessen größte Sorge es war, seine Lieblingsserie im Fernseher zu verpassen, wenn er zu lange auf dem Heimweg trödelte.
Ein Junge, der im Spiel ein heißes Gefecht gegen Ungeheuer gewann. Es konnte nicht sein, dass man diesen Jungen hinaus schickte und gegen die wirklichen Monster dieser Welt kämpfen ließ. Dieser Welt, in die wir nicht gehörten.


Ich rüttelte vorsichtig an seinen Schultern, als als er grummelnd die Augen öffnete und gerade sprechen wollte, hielt ich ihn den Mund zu.
"Psst. Sei leise. Steh auf und komm mit.", wies ich ihn an.

"Wohin gehen wir?", flüsterte er genauso leise zurück.

"Wir hauen ab." Und bevor er irgendwas erwiedern konnte, zog ich ihn auf die Beine. Ich sah ihn an, dass er mir widersprechen wollte, doch ich ließ es nicht zu. Resigniert folgte er mir.

Wir schlichen durch die Krankenstation, darauf Bedacht niemanden zu wecken. Gerade schloss ich leise eine der großen Doppeltüren, als mich ein Schnarchen beinah aufschreien lassen hat. Ich linste noch einmal ins Krankenzimmer, doch es war wieder ruhig.

Ich nahm mir Carl an die Hand und zog ihn durch den Flur. Wir bogen gerade um die Ecke zum Ausgang, als eine Person vor dieser an der Wand gelehnt stand.

"Ich wusste, dass Sie das probieren würden.", sagte Levi genervt, stieß sich von der Wand ab und kam auf uns zu gelaufen. Ich blieb wie angewurzelt stehen und sofort kam mir meine Wut hoch. Ich biss die Zähne zusammen, um diesmal nichts unüberlgtes zu tun.

Ich bemerkte im Augenwinkel, wie Carl neben mir salutierte, als Levi vor uns stand. Er griff mir an die Schulter und nahm den Seesack hinunter. Er überreichte ihn Carl und sagte:
"Bring das wieder zurück und leg dich danach wieder schlafen."

"Jawohl!", antwortete er und verschwand sofort.

"Kommen Sie mit.", sagte Levi wieder mit seinem gelangweilten Ton und obwohl es mir komplett widerstrebte, tat ich was er sagte.
Ich begleitete ihn in sein Büro und wenn mir mein Herz nicht vor Wut und Aufregung so unbeschreiblich schnell gegen meine Brust donnern würde, wäre ich vermutlich überrascht wie gemütlich und ordentlich es hier war.

"Setzen Sie sich.", er deutete auf einen Stuhl, doch ich stellte mich stur dahinter, als er auf seinem hinter dem Schreibtisch platz nahm.

"Hatten Sie wirklich vor von hier abzuhauen?", fragte er mit einem leicht spöttischen Unterton, für den ich ihm am liebsten sofort eine Scheuern würde.
Ich schwieg eisern, also fuhr er unbeirrt fort:
"Und was dann? Wollten Sie die Stadt verlassen und hinter die Mauer reiten? Sie haben keinerlei Kentnisse und würden vermutlich nur wenige Stunden da draußen überleben."
Wieder hatten seine Worte etwas abwertendes. Und obwohl es mir wirklich schwer fiel es zuzugeben, er hatte recht. Ich hatte mir keine Gedanken gemacht, was wir tun sollten, wenn wir diesen Ort verlassen hatten. Das war wirklich dumm von mir.

Ich ballte die Fäuste zusammen, verkniff mir aber jegliche Kommentare.
"Die Entscheidung steht fest, dass der Junge zur Expedition mit kommt."

"Das wird sein Todesurteil.",knurrte ich und sah ihn hasserfüllt in die Augen.

"Es ist unwahrscheinlich, dass uns etwas geschehen wird. Der Ort, an den wir reiten, ist kein Titanengebiet."

"Dann brauchen Sie ihn ja nicht. Wenn es so ungefährlich ist, können Sie das auch alleine mit Ihren Soldaten erledigen."

"Anordnung von Oben. Wir brauchen eine bestimmte Gruppengröße, um die Expedition zu starten.", sagte er wieder gelangweilt und begann sein Interesse auf eines der Papiere zu lenken, die vor ihm lagen.

Ich schnaufte, drehte mich um und drückte die Türklinke hinunter, als ich noch einmal seine Stimme vernahm:
"Die Expedition startet in zwei Tagen. Sie werden nichts mehr daran ändern können."

"Das werden wir sehen.", nuschelte ich noch, bevor ich den Raum verließ. Am liebsten hätte ich die Tür mit einem riesigen Knall geschlossen, fand es dann aber doch ein wenig albern.

Ich ging wieder zurück in mein Schlafsaal und dort entdeckte ich, dass Carl bereits wieder eingeschlafen war.
Seufzend legte ich mich neben ihn und starrte an die Decke. Ich schloss meine Augen und rieb mir die Schläfen. Ich hatte nur noch zwei Tage. Zwei Tage, um mir einen Plan zu überlegen, wie ich Carl davon abbringen konnte, dieser Mission teilzuhaben.

Wenn ich es nicht schaffen würde, würde er sterben...

LEVI X READER // ~Ein neues Leben~ // ABGESCHLOSSEN//Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt