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Wir waren bereits drei Monate hier und waren gut angekommen. Hanji überließ mir die medizinische Abteilung beinahe komplett für mich alleine, sodass sie sich wieder intensiver um ihre Wissenschaft kümmern konnte.
Sie hatte mir alles erklärt, was man über diese Welt erfahren konnte und je länger wir hier waren, desto weniger hatte ich die Hoffnung, wieder zurück in mein altes Leben zu können. Was ich natürlich Carl niemals sagen würde.
Bis heute noch, lag es abends im Bett neben mir und weinte, weil er seine Eltern vermisste.

Ich konnte es verstehen. Ich selber vermisste meine alten Freunde und wenn ich nicht bereits Carl trösten müsste, würde ich mich selber ins Bett verkrümeln und heulen wie ein Baby.

Hanji riss mich aus den Gedanken, die mit drei weiteren Soldaten einen verletzten Mann ins Krankenzimmer trugen und auf eines der freien Betten legten.
"Was ist passiert?", fragte ich gleich und erhob mich von meinem Schreibtisch.

"Er stand etwas zu dicht am Titan..", nuschelte Hanji und durch den Blick ihrer Kameraden, wusste ich, dass sie mir nur die halbe Wahrheit verriet, doch das war nun egal.

Ich betrachtete den Verletzten genau. Ein riesiger Riss zog sich über seinen Oberkörper. Die Wunde war groß, aber nicht tief.
"Es muss nicht genäht werden. Hanji reich mir bitte eine von den großen Flaschen aus dem kleinen Schrank dort drüben.", bat ich sie und sie brachte mir eine Flasche mit puren Alkohol. Ich hatte Erwin überreden müssen, um sie mir zu besorgen. Es war schwierig ihm glaubhaft zu machen, dass ich damit nur Wunden reinigte und kein gewaltiges Alkoholproblem hatte.

Ich nahm mir eins der ausgekochten Tücher und übergoss es mit der klaren Flüssigkeit.
"Das wird nun wehtun...", sagte ich zu dem Verwundeten und er nickte stark. Als ich jedoch das Tuch an die Wunde drückte, schrie er auf.

"SOLDAT! ZÄHNE ZUSAMMEN BEIßEN!", schrie Hanji und sofort tat er wie befohlen. Ich tupfte vorsichtig, aber zügig über seine Wunde. Ich sah schon, wie sich Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten und er atmete erleichtert aus, als ich ihm sagte, dass ich fertig sei.
Ich legte noch einen Verband um und ordnete ihm Bettruhe an, bis sich die Wunde geschlossen hatte.

Hanji bedankte sich bei mir, wünschte dem Verletzten Gute Besserung und verließ den Raum wieder.
Kaum war die Tür geschlossen, als sie wieder geöffnet wurde und Carl herein geschlürft kam.
"Na, fertig mit dem Training?", fragte ich grinsend und bevor er sich auf eines der gereinigten Krankenbetten schmeißen konnte, packte ich ihn am Kragen und dirigierte ihn auf einen Stuhl. Wie ein nasser Sack ließ er sich drauf fallen und streckte alle viere von sich.
"Ich kann nicht mehr.", stöhnte er und schloss die Augen.

"Du kannst Levi immer noch sagen, dass du kein Soldat werden willst und was anderes machen.", sagte ich gelassen, womit ich mir sofort einen bösen Blick einfing.

"Auf keinen Fall! Ich wäre eine Lachnummer! Ich bin sowieso schon der Schwächste in der Gruppe.", nuschelte er deprimiert vor sich hin.

"Weil die auch alle doppelt so alt sind wie du! Warte doch noch ein paar Jahre mit dem Soldaten Leben!", schlug ich vor, doch er schüttelte stur den Kopf.

"Levi hat gesagt, in meinem Alter musste er weitaus schlimmere Sachen machen."

"Du solltest dir ihn nicht als Vorbild nehmen.", stöhnte ich genervt. Carl vergötterte Levi. Egal was der Größere ihm antat, er verlor nie ein negatives Wort über ihn. Und wenn ich mal eins über ihn verlor, wurde ich direkt von Carl getadelt, was für ein toller Mann dieser Levi doch war. Gott, wie er mir auf die Nerven ging.

Ich zog den kleinen auf die Beine.
"Komm wir gehen Essen und dann kannst du ins Bett."
Ich hörte ihn noch irgendwas nuscheln, dass er ja auch ins Krankenbett könne und ich ihm was vorbei bringen könnte, doch ich ignorierte es.
Er tat einen auf unschlagbaren Krieger, also musste er nun mit den Konsequenzen leben.

Wir betraten den Speisesaal und gingen zur Essensausgabe. Der Vorteil hier war, dass Carl vermutlich bereits in seiner ersten Woche verhungert wäre, wenn er seinen Stolz nicht über Bord geworfen hätte und endlich Gemüse gegessen hätte.

Wir gingen zu unserem Stammplatz zu den Kommandanten, an denen ein hitziges Gespräch stattfand. Als wir ankamen, verstummte das Gespräch und alle blickten in eine andere Richtung. Was ging hier vor?

Ich setzte mich neben Hanji und Carl mir wie gewöhnlich gegenüber. Ich sah seinen riesigen Berg, den er sich da auf seinen Teller geschaufelt hatte, sagte aber nichts.

Schweigend biss ich von meiner Scheibe Brot ab und schnitt mir meine Tomate klein, als Hanji sich zu Wort meldete:
"Wie geht es Marcel?"

"Wem?", fragte ich irritiert, doch dann dachte ich an den Verwundeten, den sie mir vor kurzen gebracht hat und ich schnallte, dass sie ihn meinen musste.
"Den Umständen entsprechend. Er hat geschlafen, als ich herkam."

"Wann wird er wieder fit sein?"

"Das sollte verhältnismäßig schnell gehen. Die Wunde ist zwar riesig, aber wie ich schon gesagt habe, nicht sehr tief.", ich trank einen Schluck aus meiner Tasse. In ihr war Tee. Wie ich es hasste. Ich vermisste meinen heißgeliebten Kaffee, doch den gab es hier nicht.

"Wird er bei der nächsten Expedition dabei sein können?", riss mich Hanji aus meinen Gedanken."

"Wann ist sie?"

"In drei Tagen." Beinahe hätte ich mich verschluckt. Ich sah verständnislos zu meiner Sitznachbarin.

"Wenn du ihn hinter der Mauer irgendwo sterben lassen willst, kannst du ihn gerne mitnehmen. Wenn dir aber ein bisschen was an ihm liegt, würde ich ihm ein wenig mehr Zeit gönnen, um seine Wunden erst einmal verheilen lassen zu können."

"Du hast gesagt, sie verheilt schnell."

"Ja, da sprach ich von so 10 bis 14 Tagen und nicht von dreien!"

Seufzend sackte Hanji zusammen.
"Wir werden die Expedition verschieben.", meldete sich nun Erwin zu Wort. Levi widersprach sofort: "Können wir nicht. Sie ist Wichtig!"

"Wir haben aber nicht genug fähige Leute, die dran Teilnehmen können."

"Dann nehme ich ein paar von den Guten Rekruten mit."

"Die sind noch nicht soweit."

"Ich werde sie an der sichersten Stelle formatieren, sodass bei ihnen die wenigste Chance besteht, von einem Titanen angegriffen zu werden."

"Es ist trotzdem Wahnsinn, Levi."

"Wir müssen nur zu dieser Burg kommen, nachsehen, ob dieser versteckte Raum da wirklich existiert und dann wieder zurück."

Ich klinkte mich aus dem Gesrpäch aus. Mich interessierten die Pläne ihrer Expedition nicht wirklich, doch ich sah, wie Carl gespannt an Levis Lippen hing.
Meine Fresse, wäre er nicht zu jung, würde er am liebsten über ihn herfallen.

Ich aß noch zu Ende und stand dann auf. Carl hatte noch nicht aufgegessen, weil er mit starren beschäftigt war. Ich stupste ihn an und deutete auf seinen Teller. Er nickte kurz, steckte sich was in den Mund und sah sofort wieder zu Levi.
Ich verdrehte die Augen und verließ anschließend den Raum. Ich ging wieder auf die Krankenstation. Ich bereitete den Patienten ihr Abendessen vor und reichte es ihnen.

Als das beendet war, nahm ich die Tabletts wieder und reinigte sie gründlich mit kochendem Wasser. Leider gab es hier keine Spülmaschine und noch nicht einmal Spülmittel.

Ich trocknete gerade das letzte Teil ab, als Carl auch endlich vom Abendessen kam. Er kam freudestrahlend zu mir.

"Weißt du was?", strahlte er mich an und ich sah, dass er nicht abwarten konnte, bis ich darauf etwas erwiderte, also sprach er einfach weiter:
"Levi hat gesagt, dass er mich mit nehmen wird zur Expedition. Ich darf hinter die Mauer!"


Und ich spürte, wie mir die Tasse aus den Hand glitt und klirrend zu Boden knallte....

LEVI X READER // ~Ein neues Leben~ // ABGESCHLOSSEN//Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt