°7°

760 40 1
                                    

Ich setzte mich an meinen Stammtisch, an dem nur noch Erwin saß.
Genau genommen war der gesamte Speisesaal beinahe leergefegt.
Levi war mit 19 Soldaten losgezogen. Unter ihnen auch Carl und Hanji.

Eine Woche ist vergangen, als ich den Zettel auf meinem Bett gefunden hatte, der mir den Boden unter den Füßen weggerissen hatte.
Seit einer Woche hatte ich kein Auge mehr richtig zu getan.
Die leere in meinem Bett ließ mich nicht einschlafen und jedes kleinste Geräusch riss mich wieder raus, in der Befürchtung, dass sie wieder kamen.

Ich starrte auf mein Brot, was vor mir auf den Teller lag.
Ich hatte einmal reingebissen und sofort überwältigte mich eine gewaltige Übelkeit.

"Sie müssen was essen, wenn Sie nicht zusammen brechen wollen.", hörte ich Erwin im besorgten Ton sagen.

"Ich bin hier die Ärztin. Schon vergessen?", konterte ich in einem genervt.

"Dann sollte Ihnen ja klar sein, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis Sie zusammen brechen und den Soldaten des Aufklärungstrupps nicht helfen können."

Eine leise Stimme in meinem Kopf sagte mir, dass er Recht hatte. Also zog ich mir meinen Teller ein Stück näher und biss noch einmal hinein. Ich unterdrückte die aufkommende Übelkeit und schluckte es hinunter.

Es dauerte Ewigkeiten, bis ich das Brot aufgegessen hatte, doch als ich den leeren Teller zur Seite schob, entdeckte ich ein klein wenig stolz in Erwins Augen.

Wir räumten ab und ich verließ den Speisesaal nach Erwin, als ich einen der Männer rufen hörte:
"In deinem Bett ist doch jetzt ein Platz frei, oder?"

Ich ignorierte es, doch Wut stieg in mir auf. Das ging seit einigen Tagen so, dass solche Anspielungen kamen.
Sie taten das nie, wenn der Kommandant in der Nähe war. Manchmal täuschten sie irgendwelche Verletzungen vor, um zu mir in das Krankenzimmer zu kommen und mit mir alleine zu sein.
Dabei durfte ich mir einen widerwertigen Spruch nach den nächsten anhören, ehe ich sie hinaus warf.

Ich schluckte meine Wut hinunter und betrat das Krankenzimmer, in der mich sofort eine Stille umhüllte. Sie war aufgetaucht, nachdem Carl verschwunden war.

Ich setzte mich auf meinen Schreibtisch und füllte einige Akten aus, die noch liegen geblieben waren.
Eine anstrengende Arbeit, die mit Schlafmangel kaum zu bewältigen war.

Ich merkte wie ich aus dem Schlaf gegrissen wurde, als stürmisch die Tür aufgestoßen wurde.
Ein Mann, dem ein Stück Holz aus dem Bein ragte, wurde hinein getragen und ich ordnete den Männern an, ihn aufs Bett zu legen.

Ich begutachtete die Wunde, als jemanden meinen Namen rief.
Ich drehte mich überrascht um und freute mich, als ich in Hanjis Gesicht sah.

Sie jedoch blickte ernst rein und erst jetzt sah ich, dass sie etwas in ihren Armen trug. Es war in den grünen Cape eines Soldaten gewickelt, doch ich sah blonde Haare aus ihn heraus gucken.

Um mich herum nahm ich keine Geräusche mehr wahr. Das Blut rauschte zu laut in meinen Ohren. Ich sah, dass Hanji etwas sagte, doch ich verstand es nicht.

Hanji legte das Bündel auf eines der leeren Betten und vorsichtig trat ich näher.

Wenn ich nicht bereits gewusst hätte, wer da vor mir lag, hätte ich ihn vermutlich nicht erkannt.

Carls Gesicht war blass und eingefallen, seine Lippen bereits bläulich verfärbt.
Oberhalb seines Shirts erkannte ich einen riesigen roten Fleck und ich wusste, wenn ich unter das Shirt sehen würde, würde es sich über seinen gesamten Oberkörper ziehen.

Etwas tiefer sah ich, wie ein Knochen aus seinem Oberschenkel ragte und ich sah, wie sie das Bettlaken darunter rot farbte.

Ich spürte einen ungeheurigen Schmerz auf meiner Wange und geschockt sah ich zu Hanji.
Hatte sie mir gerade eine gescheuert?

"Er atmet noch. Ein Titan hat ihn gepackt und zerquetscht. Seit dem ist er bewusstlos, aber er atmet noch. Also tu das, was du am besten kannst und rette ihn."
Ich hatte sie noch nie in einem so ernsten Ton reden gehört, doch ich nickte nur.
Ich atmete einen Moment durch und sah mir Carl noch mal genauer an.
Wenn ich ihn retten wollte, musste ich meine Emotionen verstecken.

Wie bereits vermutet, war sein gesamter Oberkörper rot. Ich vermutete, dass er viele Knochenbrüche erlitten hat, doch es war nichts, was ich auf die schnelle behandeln konnte.

Ich sah auf sein Bein. Der Knochen ragte nicht allzuweit raus. Ich wusste was zu tun war.

"Hanji, ich brauche noch zwei weitere Männer.", sofort winkte sie zwei Soldaten zu sich, während ich meine Hände mit dem Alkohol übergoss.

"Ihr müsst ihn gut fest halten. Es ist möglich, dass er aufwacht.", sagte ich als ich wieder an das Bett trat.

Ich sah, wie Hanji mit einem anderen Carl an den Schulter packte, während der andere leicht um seine Füße griff.

"Richtig zupacken!!", befahl ich.

"Er ist sowieso bewusstlos!", stöhnte dieser augenrollend.

"ZUPACKEN!", brüllte Hanji und der Soldat tat sofort, wozu er aufgefordert wurde.

Vorsichtig legte ich mir den Bruch frei und übergoss die Wunde ebenfalls mit dem Alkohol
Dann legte ich meine Hände über und unter den Bruch.
Ich atmete noch einmal tief durch, ehe ich mit einem kräftigen Ruck und einem lauten knacken den Knochen wieder auf seinen Platz drückte.

Sofort zuckte Carl auf und ein heftiges Schreien entfuhr ihm. Hanji und die Männer drückten ihn so gut sie konnten in das Bett zurück.

Mir schossen die Tränen in die Augen, als ich ihn so leiden sah.
Leise flüsterte ich ihm beruhigende Worte zu, doch er vernahm sie nicht mehr, da er bereits wieder Ohnmächtig geworden war.

Mit zitternden Fingern holte ich das Nähzeug und gerade holte ich einen Faden, als sich Hanjis Hände sanft um meine legten.
"Ich mache das schon.", flüsterte sie leise und nahm mir die Dinge aus der Hand.
Ich widersprach nicht und ließ sie die kleine, aber tiefe Wunder vernähen.

Ich atmete noch einige Male tief durch, als ich mir den nächsten Patienten, den mit dem Stock im Bein, vornahm.

Es vergingen Stunden ehe wir einen nach den anderen abgearbeitet hatten. Insgesamt sieben der 19 Leute waren verletzt wieder gekommen. Drei waren Tod.

Ich wandt mich gerade an das letzte belegte Bett, als ich den Patienten darin liegen sah.
Sofort stieg in mir meine wohlbekannte Wut auf.
Levi.

"Hanji, schaff ihn mir aus den Augen.", sagte ich leise und sah angewidert zu ihm.

"Er ist verletzt. Schau dir bitte seine Wunde an.", sagte sie zu mir, doch ich schüttelte nur den Kopf.

"Es ist passiert, als er Ca-"

"DASS CARL HIER IM STERBEN LIEGT IST ALLEIN SEINE SCHULD! UND JETZT SCHAFF IHN VON HIER WEG, BEVOR ICH MICH NICHT MEHR UNTER KONTROLLE HABE!"
Mit diesen Worten verließ ich so schnell wie möglich das Krankenzimmer und rannte ins Schlafzimmer. Ich schloss die Tür und ließ mich langsam daran herunter sinken.

Es ist geschehen was ich befürchtet hatte und ich hatte alles getan, was in meiner Macht stand, doch ich wusste nicht, ob das genug war...

LEVI X READER // ~Ein neues Leben~ // ABGESCHLOSSEN//Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt