50.| N o a h

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Heute ist mir klar geworden, dass es keine Hoffnung mehr für Grace und mich gibt. Vielleicht waren wir auch nur für diese kurze Zeit füreinander bestimmt. Grace ist zurück zu Lilly gegangen, und auch wenn mein Herz bei diesem Gedanken schwer wird, kann ich es ihr nicht übel nehmen. Sie hat Lilly immer geliebt, und wird es auch immer tun.

Gerade eben hat Grace das Wort nur für Abby ergriffen und erneut bin ich von ihrer Stärke ergriffen. Grace ist eine der wenigen Personen in meinem Leben, der ich bis jetzt alles anvertraut hätte. Ich bleibe noch auf meinem Stuhl sitzen, und bekomme mit wie Grace angespannt auf den Boden schaut und mit ihren Haaren spielt.

Ich überlege, ob ich vielleicht zu ihr gehen soll um einfach mit ihr zu sprechen. Um ehrlich zu sein, ist es zu spät um all meine Hoffnung aufzugeben. Früher habe ich immer gedacht, dass man für das was man liebt kämpfen muss.

Ohne weiter darüber nachzudenken, stehe ich auf und setze mich zu ihr. Für einen Augenblick wirkt sie erschrocken und verwirrt. Vielleicht sollte ich mich einfach wieder umdrehen und gehen. Es ist nicht angebracht, ihre Trauer auszunutzen.

"Hey", sage ich leise und sehe sie an. Graces Blick ist emotionslos und beinahe vollkommen kalt. Ich hätte mir mehr gerechnet als der unangenehmen Stille, die sich zwischen uns breit macht. "Noah, ich will wirklich nicht sprechen", sagt Grace und sieht mich für einen Augenblick an.

Aus dem Augenwinkel sehe ich den Inspector, und seine stechenden Blicke. Für einen Moment habe ich das dringende Bedürfnis mich wieder umzudrehen um bloß keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Grace wirkt ebenfalls angespannt und ich stehe auf, um wieder zu gehen. Ich möchte ihr nicht das Gefühl geben, dass sie nicht entscheiden kann was sie tut.

Grace hat sich gegen mich entschieden, und das völlig berechtigt. Ich sollte es dabei lassen, und aufhören sie immer weiter unter Druck zu setzen. Als ich ihr den Rücken zudrehe, merke ich noch wie der Inspector aufmerksam hoch schaut und mich von oben bis unten mustert. Er wirkt misstrauisch und ich bin automatisch eingeschüchtert von seinen starren Blicken die er mir immer noch zuwirft, bis ich aus dem Gemeinschaftszelt verschwinde.

Ich laufe am See und an der Wiese vorbei und erst in diesem Moment fällt mir auf, dass es bis jetzt noch keinen Tag gegeben hat, der normal verlaufen ist. Mein Herz fühlt sich immer noch schwer an, dennoch zwinge ich mich dazu nicht weiter über Grace und mich nachzudenken. Kurzerhand entscheide ich mich dazu, einfach in unser eigenes Zelt zurückzugehen um endlich nochmal auf andere Gedanken zu kommen. Es gibt eigentlich keinen Grund wütend oder verletzt zu sein, und dennoch bin ich es.

Unser Zelt ist vollkommen leer, die anderen sitzen alle noch im Gemeinschaftszelt und das einzige was im Raum steht, sind unsere Taschen. Mein Blick fällt auf mein Bett, und erneut muss ich an Grace denken. Es macht mich fertig zu wissen, dass das was zwischen uns gewesen ist für immer vorbei ist. Ich kann einfach nicht mit ihrem Verlust umgehen, und mein Bett erinnert mich an die einzige gemeinsame Nacht die wir hatten. Ich habe gedacht, dass kein Mädchen es jemals schaffen wird mein Herz zu brechen, aber in diesem Moment bin ich mir einfach nicht sicher ob sie es vielleicht doch zustande gebracht hat.

Mit einem mal packt mich meine Wut und die ganze Welt um mich herum hat keine Bedeutung mehr. Ich bin vollkommen auf meine Gefühle konzentriert, die mich beinahe die Beherrschung verlieren lassen, dass ich nicht mitbekomme wie auf einmal der Eingang vom Zelt aufgeht und eine weitere Person das Zelt betritt.

Ich denke an nichts anderes mehr, außer an all die Momente in meinem Leben in denen ich verletzt wurden bin, und als mir bewusst wird dass es einfach schon so viele Augenblicke gab, machen sich Tränen auf meinem Gesicht breit.

Sie hinterlassen eine salzige Spur auf meiner Haut, die langsam zu jucken beginnt. Dennoch unterdrücke ich das Verlangen sie wegzuwischen und lasse mich auf mein Bett sinken. Meine Gedanken driften ab und fallen erneut auf Grace zurück. Mein gesamter Kopf schreit ihren Namen und als ich mein Bettlacken auf meiner Haut wahrnehme, erinnere ich mich verzweifelt an ihre unsicheren und zaghaften Berührungen in der damaligen Nacht.

Ein leises Flüstern reißt mich aus meinen Gedanken und macht mir bewusst, dass ich mich nicht mehr in dieser Nacht befinde. Das all diese Berührungen der Vergangenheit angehören, und dass es keine Möglichkeit für mich gibt je wieder in diesen Moment zurückzukehren.

Ich reibe meine Augen, um meinen Verstand zurückzugewinnen und sehe hoch. Grace steht vor mir und sieht mich mit einem verweinten Blick an. Sie wirkt nervös und ich erinnere mich nicht, sie jemals so aufgebracht gesehen zu haben.

Zuerst weiß ich nicht, wie ich auf Grace reagieren soll, aber dann kommt sie auf mich zu und sieht mich fragend an. Als ich nicke, lässt sie sich neben mich auf den Boden fallen. Ihr Körper wirkt vollkommen angespannt und ihre Augen sind rot unterlaufen.

"Es ist alles gut", sage ich leise und hoffe inständig, damit nicht alles noch schlimmer zu machen. Grace sieht mich an, und ihr Blick lässt nicht zu, ihre Gefühle zu deuten. In diesem Moment wünsche ich mir nichts mehr, als zu wissen wie es ihr wirklich geht.

"Es tut mir so leid", haucht sie und ich lege ihr eine Hand auf die Schulter. Ich will nicht, dass es ihr schlecht geht.

"Grace", sage ich leise ihren Namen und sehe sie an. In ihren Augen sehe ich nichts, außer unendliche Trauer. Immer habe ich gedacht, ich würde dieses Mädchen kennen. Doch jetzt kommt es mir vor, als wüsste nur sie was in ihr vorgeht. Als hätte ich die gesamte Zeit nur auf eine Fassade geschaut.

Grace nimmt meine Hand von ihrer Schulter und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. Ich bin mir sicher, dass sie am liebsten einfach verschwunden wäre. Aber das tut sie nicht. Sie tut es nicht, weil sie stark sein will.

Ich beneide sie um ihre Stärke. Definitiv etwas, was mir fehlt.

𝒇𝒆𝒂𝒓 𝒐𝒇 𝒍𝒐𝒔𝒔| abgeschlossen ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt