Kapitel 2

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Die Wunden brennen länger in den Familien als auf dem Schlachtfelde.

Unbekannt

»Du bist zu spät!«, keifte die hagere Frau mit den hellen Augen und den blonden Haaren

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»Du bist zu spät!«, keifte die hagere Frau mit den hellen Augen und den blonden Haaren. Ungeduldig verschränkte sie die Arme vor die Brust, während Sandra mit verzogener Miene in ihren schwarzen Pumps etwas schneller auf sie zu humpelte. »Und das ausgerechnet heute! Du solltest ...!«

»Ja, Mama, ich weiß. Ich sollte mich schämen«, unterbrach Sandra ihre Mutter. Beide funkelten sich an.

»Immerhin hast du dir etwas Vernünftiges angezogen.«

Mit sichtlicher Verachtung sah ihre Mutter an Sandras vollschlanker Figur herunter. Sandra folgte dem auf ihr Oberteil gerichteten Blick und fuhr sich über den schwarzen Blazer, den sie sich extra für den heutigen Tag gekauft hatte. Sie zog am unteren Saum des Oberteils und hielt plötzlich in ihrer Bewegung inne. Sie richtete sich auf, straffte die Schultern und kniff ihre Augen leicht zusammen.

»Also, bitte! Womit hast du denn gerechnet, was ich ...?«

»Entschuldigung?« Diesmal wurde Sandra von einer leisen Frauenstimme neben sich unterbrochen. »Wir würden dann gerne anfangen, wenn das für Sie in Ordnung ist.«

»Natürlich!« Ihre Mutter wandte sich der Dame im dunkelblauen Kostüm zu. Beide mochten im gleichen Alter sein. Die Fremde sah zwischen Sandra und ihrer Mutter hin und her, wobei sie freundlich lächelte. Sandra bemerkte, wie sich die hübsch geschwungenen Lippen ihrer Mutter ebenfalls nach oben bogen, woraufhin sie schnell wegschaute. Ihr war auf einmal schlecht.

Während sich die beiden älteren Damen in Bewegung setzten, blieb sie noch einen Augenblick stehen und seufzte leise. Sie strich sich durch ihr bis zum Dekolleté reichendes Haar und konzentrierte sich auf ihre Atmung. Ruhig bleiben. Das hatte sie sich fest genommen.

Unsicher auf ihren Schuhen, stöckelte sie schließlich in die kleine, lichtdurchflutete Halle. In dieser waren etwa vierzig bis fünfzig helle Holzstühlen aufgestellt, wobei jeder bis auf den letzten besetzt zu sein schien.

So unauffällig wie möglich trippelte Sandra durch den kleinen Gang nach vorne, doch es kam ihr so vor, als hätte jeder nur noch auf ihre Ankunft gewartet. Das Klacken auf dem grauen, glänzenden Granitboden kam ihr ohrenbetäubend laut vor. Sie spürte, wie sie heiße Ohren und Wangen bekam und eilte, ohne nach links und rechts zu schauen, ihrer Mutter hinterher.

Sandra wagte es erst fast am Ende des Ganges einen flüchtigen Blick auf einige der ihr zugewandten Gesichter zu werfen und stellte fest, dass ihr keines davon bekannt vorkam. Was kein allzu großes Wunder war, da sie das letzte Mal vor über fünfzehn Jahren in ihrer Heimatstadt gewesen war. Es war sogar noch länger her, dass sie ihre Mama gesehen hatte, die sie vorhin erst nicht erkannt hatte. Diese war um einiges schmaler als Sandra sie in Erinnerung hatte und wirkte noch verhärmter. Allerdings hatte nur der vertraut kalte Blick und die schneidende Stimme gereicht, um zu wissen, wer sie draußen empfangen hatte. Bei dem Gedanken schnaufte Sandra und fuhr leicht zusammen, als derselbe harsche Ton wie vorhin sie zurück in die Gegenwart holte.

Meine Liebe kann wartenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt