"Es gibt keine größere Hölle als ein Gefangener der Angst zu sein." - Ben Johnson
Wir gehen durch die Stadt, ich lache und genieße die Gesellschaft. Ich bin normal, zumindest fühlt es sich für einen kurzen Moment so an. Doch im Bruchteil einer Sekunde ändert sich alles. Meine Sicht verschwimmt, meine Augen füllen sich mit Tränen, die ich doch nicht ganz vergießen kann, meine Atmung wird schneller.
Sie gehen vor mir, sie lachen weiter. Meine Schritte verlangsamen sich. Die Jungs bleiben stehen, sie reden über etwas, doch nichts dringt bis zu mir durch. Ich gehe weiter. Sie holt zu mir auf und sagt etwas zu mir, doch ich verstehe es nicht. Ich konzentriere mich auf meine Atmung, auf meine Schritte, auf meine Umgebung, doch es hilft nicht. Meine Atmung wird noch schneller, meine Gedanken sind zu laut. Sie schaut mich an und diesmal sieht sie mich. Mich und meine Angst. Mich und meine Panik.
„Alles okay?"
Ich höre sie, doch die Frage bringt mich noch mehr aus dem Konzept. Ich gebe mir so große Mühe mir nichts anmerken zu lassen. Ich spüre, wie ich nicke. Ihr Blick bleibt auf mich gerichtet. Ich schüttele den Kopf. Meine Schritte werden schneller, langsamer, ich weiß es nicht. Sie geht neben mir, sie redet auf mich ein, doch ich weiß nicht mehr, was sie gesagt hat. Sie versucht mir zu helfen und ich weiß es zu schätzen, doch es wird nicht besser.
Die Jungs hinter uns. Sie neben mir. Die Ampel vor uns. Rot. Wir bleiben stehen. Sie schaut mich an. Ich spüre ihre Arme um mich geschlungen. Sie meint es gut, sie will mir helfen, doch jetzt weine ich. Ich bin nicht normal. Jeder sieht es, jeder weiß es jetzt. Keiner sagt etwas. Oder vielleicht doch, aber ich höre nichts. Ich spüre nur die Umarmung.
Sie lässt mich los, ich versuche Haltung zu wahren. Ich gehe weiter. Ich atme zu schnell, ich gehe zu schnell, ich denke zu schnell, doch ich kann es nicht stoppen. Ich balle die Hand zu Fäusten. Ich bohre meine Nägel in meine Handinnenfläche. Ich spüre den Schmerz. In konzentriere mich darauf, doch es hilft nicht.
Wieso hilft es nicht?
Ich drücke fester. Sie sieht es. Sie sagt etwas dazu. Ich höre ihre Worte, aber ich verstehe sie nicht. Ich versuche zu antworten, doch kein Wort kommt über meine Lippen. Ich stottere so sehr, dass sie meine Worte erraten müssen.
Irgendwann umarmt sie mich erneut. Irgendwann halte ich seine Hand.
„Du kannst einfach meine Hand drücken."
Ich tue es. Ich habe Angst, ihm wehzutun. Ich habe Angst. Ich habe so große Angst, vor allem und doch vor nichts. Ich kann nicht sagen, woher die Angst kommt, sie war einfach da und sie wollte mich nicht mehr loslassen.
Ich wollte lachen. Ich wollte Spaß haben. Ich wollte so sein, wie die anderen, stattdessen klammere ich mich an seine Hand, zähle meine Schritte und suche nach Farben, um mich zu beruhigen.
Ich bekomme nicht alles mit. Viel zu viel verschwimmt vor meinen Augen. Ich trinke Alkohol, doch ich spüre ihn nicht. Wir begegnen Menschen, doch ich sehe sie nicht wirklich. Ich versuche etwas zu sagen, doch nichts kommt mir leicht über die Lippen.
Was denken sie von mir?
Die Frage beschäftigt mich seitdem die ganze Zeit.
Denken sie, dass ich kaputt bin? Halten sie mich für verrückt?
Hat er meine Hand aus Mitleid gehalten?
Denken sie an diesem Moment, so oft, wie ich es tue oder ist es ihnen egal?
Mögen sie mich? Trotz dem, was sie gesehen haben? Trotz dem, dass ich kaputt bin?
Ich glaube nicht.
Ich glaube, ich habe sie genervt. Ich glaube, ich habe ihnen den Abend ruiniert. Ich glaube, es wäre ihnen in diesem Moment lieber gewesen, ich wäre nicht da gewesen.
Ich glaube, es wäre jedem lieber, wenn ich nicht da wäre.
Dann würde ich niemanden mehr belasten,
niemanden mehr im Stich lassen,
niemanden mehr nerven.
Manchmal glaube ich das wirklich, aber ein winziger Teil in mir hofft, dass es anders ist.
Ein winziger Teil hofft, dass er meine Hand gehalten hat, weil er das wollte, dass ich sie nicht genervt habe und dass die Menschen in meiner Umgebung froh sind, dass ich da bin.
Ein winziger Teil in mir hofft noch. Er hofft darauf, dass ich von den Menschen, die mir etwas bedeuten, geliebt werden kann,
obwohl ich mich selbst nicht lieben kann,
obwohl ich kaputt bin.
Aber Tag für Tag schwindet dieser Teil und ich weiß nicht, was ich mache, wenn er nicht mehr da ist.
Das macht mir Angst.
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Das Gesagte im Ungesagten
Poetry"Das Leben ist wie das Meer. Manchmal ist es still und ruhig, manchmal ist es laut und wild - aber am Ende ist es immer wundervoll." Ich möchte wissen, wohin das Leben mich führen wird, was das Leben noch für mich bereithält, was mich ausmacht. Doc...