„Papa, guck mich an! Hey, rede mit mir! Ich brauche deine Hilfe!" schreie ich ihn entsetzt an. Doch er rührt sich nicht, sitzt wie versteinert da und krallt sich ans Lenkrad. Ich schnalle mich ab und merke ein unangenehmes Gefühl zwischen Schulter und Nacken, welchem ich aber vorerst keine Bedeutung schenke da die verletzte Person vor unserem Auto jetzt Vorrang hat. Für eine Warnweste bleibt keine Zeit, denn der Mann hat zwischenzeitlich das Bewusstsein verloren. 'Wird schon nichts passieren ist ja sowieso nichts los hier' denke ich mir noch, hoffe insgeheim natürlich, dass uns hier jemand findet. Ich renne zu ihm und versuche ihn anzusprechen, erfolglos. Auch auf schütteln und einen Schmerzreiz reagiert er nicht. Meine Hand schnellt erst zu seinem Handgelenk dann weiter zu seiner Carotis doch das Ergebnis ist ernüchternd. Herzstillstand.
Ich muss mich kurz sammeln und atme tief durch. Mein Blick wandert zu meinem Vater, der aber wie zu erwarten, immer noch völlig überfordert im Auto sitzt. Ich schaue auf mein Handy, in der Hoffnung auf Empfang, doch dort steht immer noch 'kein Netz'. Ich beginne mit der Wiederbelebung, die ich schon oft geübt habe, und mir das Szenario auch oft vorgestellt habe, aber jetzt kann ich kaum einen klaren Gedanken fassen. Nach 30 Wiederholungen beatme ich zweimal. Ich checke den Puls und beginne wieder von vorne. Etwa 5 Minuten später, die mir wie eine Ewigkeit vorgekommen sind, höre ich meinen Vater von hinten. „Komm, ich löse dich ab! Such du nach Netz und hol Hilfe." Gesagt wie getan lief ich los, am Rand der Autobahn. Keuchend setze ich mich auf die Leitplanke und wähle die 112.
„Leitstelle Köln, guten Tag, wo ist ihr Notfall Ort?" werde ich gefragt, und ich schildere der Frau wo ich mich befinde und was passiert ist. Sie weist mich an mich bemerkbar zu machen und erklärt mir das die Rettungskräfte in wenigen Minuten da sein werden. Ich laufe zu meinem Vater zurück doch stoppe vorerst. Mein Vater hat mich noch nicht gesehen und so beschließe ich mich wieder umzudrehen. Was wenn er es nicht geschafft hat? Wenn er nicht mehr lebt? Bin ich daran schuld? Ich hätte ihm besser helfen müssen. Hätte ihn nicht verlassen dürfen.
Ich laufe los. Erst noch auf der Straße, doch dann würden mich die Rettungskräfte wohl möglich noch sehen und so wechsle ich die Seite und laufe in den Wald hinein. Ich will vor meinen Gedanken weglaufen, doch sie verfolgen mich. Bilder erscheinen wie der Mann leblos vor mir auf dem Boden liegt. Tot. Wegen mir.
Aus der Ferne höre ich die Sirenen und bleibe stehen. Ich schaue mich um und stelle fest, dass ich tief im Wald stehe neben einer kleinen Hütte, in der ich mich verstecke. Überfordert von meinen Gefühlen schließe ich die Augen und atme tief durch. „Nora, beruhige dich. Der Mann lebt. Du bildest dir das nur ein. Sei vernünftig!" rede ich mir immer wieder ein. Doch es bringt nichts, die Bilder schießen mir nur so durch den Kopf und ich bin froh, dass ich sitze, denn gewaltiger Schwindel übermannt mich. Plötzlich tauchen Punkte auf, schwarz, immer mehr. Sie wirbeln nur so um mich herum und ich lege mich nun endgültig hin, sodass die Punkte verschwinden. Ich versuche mich zu entspannen und schließe meine Augen. So blende ich alles um mich herum aus, konzentriere mich auf meine Gefühle und Gedanken. Erleichtert stelle ich fest, dass es hilft und setze mich mit weiterhin geschlossenen Augen wieder auf. Ich öffne meine Augen wieder und bin im hier und jetzt. Die kurze Auszeit hat mir gutgetan und ich kann nun etwas klarer denken. Mit neuem Mut und neuer Zuversicht stehe ich langsam auf, um meinen Kreislauf nicht zu überfordern. Ich trete aus der Hütte hinaus und laufe los. Wohin weiß ich nicht, aber ich laufe in der Hoffnung auf ein Schild zu stoßen, das mir den Weg aus dem Wald zeigt. Eine gefühlte Ewigkeit später, die genauso gut 10 Minuten hätten sein können stoppe ich um, mir eine Pause zu gönnen. Die Strapazen des Tages scheinen auch meinen Körper nicht ganz unbeschadet davon gekommen sein zu lassen. Ich lehne mich an eine große Kiefer und atme durch. Als sich mein Atem wieder normalisiert hat, will ich weiter laufen doch ich halte inne. Habe ich da etwa Schritte gehört? Ein Tier? Oder doch bloß pure Einbildung? „Jetzt drehst du aber völlig ab Nora" scherze ich noch um meine steigende Panik zu unterdrücken. „Wird nur ein Tier sein, vielleicht ja auch ein süßer Igel oder so" lache ich nervös auf. Doch das Gefühl beobachtet zu werden lässt nicht von mir ab. Die Panik steigt, ich verfalle in einen Rausch Zustand mit einer ganz besonderen Droge. Adrenalin. Ich laufe durch das Gestrüpp von der Panik gepackt quer Feld ein. Ich beschleunige weiter denn die Schritte folgen mir immer schneller, sind unmittelbar hinter mir. Ich will keinen Blick nach hinten riskieren und fokussiere mich auf den Weg. Das Adrenalin wird nur so durch meinen Körper gepumpt und lässt meine ohnehin schon ausgereizte Kondition über ihre Grenzen hinaus gehen. Mein Körper funktioniert, läuft, rennt. Doch ein unachtsamer Moment und es ist geschehen. Ich falle über eine Wurzel und schlage mit meinem Kopf dumpf auf. Im ersten Moment realisiere ich nicht was passiert und versuche den Schmerz zu unterdrücken. Doch dieses Problem löst sich schnell in Luft auf, denn die Schritte stoppen plötzlich hinter mir und meine Schmerzen sind wie weggeblasen. Es steht hinter mir. Und auch wenn ich es nicht sehen kann, spüre ich förmlich den Blick, der sich in mich hinein bohrt.
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Flug ins Unglück (Asds)
FanfictionNora, 14 kommt grade aus dem Urlaub. Doch die Entspannung wärt nicht lange. Denn als sie Zeugin eines Unfalls wird muss sie helfen. Aber in der Theorie ging das irgendwie anders. Bekommt sie die Situation unter Kontrolle?