Spiegelbild

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Ich schließe meine Augen und atme tiefe ein und aus.

Ein.

Aus.

Ich wiederhole die Übung einige Male und entspanne mich ein wenig.

Mein Puls beruhigt sich und ich kann meine Augen wieder öffnen. Langsam stehe ich auf, um meinen Kreislauf nicht zu überlasten und halte mich am Waschbecken fest.

Mein Blick wandert zu der Person gegenüber von mir.

Vor 48 Stunden noch glücklich am Strand unter den Palmen liegend und strahlend einen Cocktail am trinken.

Jetzt einige Panikattacken und Heulkrämpfe später.

Die Person im Spiegel ist mir fremd.

Total verheult und geschwitzt blickt sie mich an. Ihre Augen strahlen Angst aus, pure Verzweiflung. Einige Kratzer zieren ihr Gesicht. Die Haut ist blass und die Mundwinkel hängen. Kein Funken Hoffnung ist zu sehen.

Kenne ich diesen Menschen? Bin ich es sogar selbst?

Ich kenne sie. Fröhlich lachend und steht's mit Hoffnung. Sieht in jeder Situation etwas Positives und strahlt Ruhe aus.

Der Spiegel zeigt das Gegenteil.

„Papa komm mal bitte hoch" ruft jemand, der genau hinter der Badezimmer Tür steht.

Ich setze mich wieder. Der Anblick meines Spiegelbildes hat mich viel Kraft gekostet. Die Angst ist wie verflogen, zu tief stecke ich in meinen Gedanken fest. Es ist eher eine Art Trauer, die in mir aufkommt, ein Trauern um mein altes ich. Sonst stecke ich alles weg, sehe alles positiv, doch diese Erlebnisse haben mich psychisch zerstört.

„Nora mach bitte die Tür auf."

Ich zucke wieder zusammen.

Das sind diese Situation, die eigentlich total normal sind, mich aber überfordern in dem Moment. Menschen sind für mich unberechenbar, auch wenn ich Phil fast seit meiner Geburt kenne, habe ich Angst vor ihm. Ich kann mir auch nicht vorstellen durch eine Menschenmenge zu laufen. Zu groß ist die Angst dem Entführer zu begegnen, denn dieses Mal würde er seinen Plan in die Tat umsetzen und ich könnte nur hilflos und überfordert dabei zusehen.

„Mach bitte die Tür auf oder ich komme rein."

Wieder diese Stimme gar so vertraut und doch bin ich misstrauisch. Ich bin enttäuscht von mir selbst.

Ich versuche Phil trotz seiner Androhung zu ignorieren. Ich brauche einfach etwas Zeit für mich, brauche einen klaren Kopf, da die Kopfschmerzen immer unerträglicher werden.

Ich beschließe deshalb kalt zu duschen.

Die Klamotten sind mir in diesem Moment egal. Ich setze mich in die Dusche, um meinen Kreislauf zu schonen und schalte die Regen Dusche ein. Das zunächst warme Wasser durchdrängt meine Klamotten, doch gibt mir nicht das Gefühl von Lebendigkeit.

Ich stelle das Wasser eiskalt.

Leben durchflutet meinen Körper. Jedes einzelne Härchen stellt sich der Kälte gegen auf, um meinen Körper zu schützen, doch die Kälte kriecht in mich hinein. Ich genieße die Lebendigkeit die mich erfüllt.

Ich fange an zu zittern, doch das hält mich nicht davon ab, das kalte Wasser weiter auf mich prasseln zu lassen.

Erst, als meine Hände taub werden stelle ich das Wasser wieder ab.

Jetzt nehm ich die unangenehme Kälte richtig wahr. Die Dusche, von der ich anfangs überzeugt war, sie würde mich wieder lebendig machen, raubt sie mir genauso schnell wieder.

Nun sitze ich hier in nassen Klamotten und antarktischen Temperaturen, die wahrscheinlich nur ich, als so kalt wahrnehme auf dem Boden fest. Mir fehlt die Kraft aufzustehen oder mich gar zu bewegen.

„Ich komme jetzt rein."

Einerseits bin ich froh hier rauszukommen, das bedeutet aber auch, dass ich mit Phil reden müsste.

Da dieser Gedanke Panik in mir auslöste beschränkte ich mich darauf nur an das positive zu denken, denn für eine Panikattacke fehlt mir einfach schlichtweg die Kraft.

Ein lauter Knall und eine zerbrochene Tür später stand Phil im Bad.

„Mein Güte, Nora! Was hast du denn gemacht? Komm erstmal hier raus, warte ,ich hole ein Handtuch."

„Hey, guck mich mal an. Papa tut dir nicht weh, vertrau ihm." waren Caro's erste Worte, nachdem sie das Schlamassel gesehen hatte.

Ihre beste Freundin, zitternd wie ein Häufchen elend aufzufinden gehört auch nicht zu ihren Lieblingsbeschäftigungen.

„Komm mal da raus, aber mach langsam wegen deinem Kreislauf." kam Phil wieder ins Badezimmer gestürmt.

Ich versuche meinen mittlerweile wieder aufgetauten Arm langsam aufzustützen und alleine aufzustehen, doch mir fehlt immer noch die dazu nötige Kraft. So sitze ich weiterhin etwas beschämt auf dem Boden und friere mir einen ab.

Doch nicht nur ich habe meine Kraftlosigkeit bemerkt und so werde ich vorsichtig hochgehoben und auf die Couch getragen. Zunächst werde ich etwas panisch und will mich wehren, doch ich kann mich gerade noch so zügeln.

Während Phil etwas holt, bringt mir Caro neue Klamotten und ich kann mich umziehen. Ich bekomme eine Wärmflasche und ein paar Decken, so fühle ich mich wohler und um einiges sicherer. Das merkt auch Caro, die sich zu mir setzt und mich einfach still in den Arm nimmt. Erst bin ich etwas steif, doch kann mich in ihren Armen ganz schnell entspannen.

Phil kommt wieder und mit ihm im Schlepptau ein roter Rucksack. Den kannte ich, und so wusste ich was gleich auf mich zukommt.

„Na, gehts dir wieder besser?" war seine erste Frage.

„Ja, danke."

Phil öffnete den Rucksack, „Du kennst das Prozedere."

Er schnappte sich das Fieberthermometer und kam auf mich zu. Ich jedoch wich zurück.

„Nora was ist denn los mit dir?" fragt er nun vollends verwundert.

Ich wollte mich überwinden, mit ihm zu reden, doch es war unmöglich in diesem Moment.

Caro eilte mir schnell zu Hilfe und klärte Phil auf. Seine Miene wechselte von erschrocken, zu fassungslos und dann zu entsetzen. Er setzte sich völlig perplex mit Abstand zu mir auf die Couch. Gerade als er ansetzen wollte zu erzählen klingelt es an der Tür.

Flug ins Unglück (Asds)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt