Kapitel 01 - Home, sweet home

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»Kira! Aufstehen!«, hörte ich Mason von dem Flur aus rufen. Kurz danach hörte ich ein Hämmern an meiner Zimmertür. Genervt rollte ich mich zur Seite und schwang mich aus meinem Bett, dass ich eigentlich gar nicht benötigte. Ich war immer fit und brauchte den Schlaf nicht wirklich. Mein Schlaf ähnelte mehr einer Art Standby-Modus, bei dem ich Backups machte und Daten von dem vorherigen Tag auswertete. Mason bestand trotzdem darauf, dass ich ein Bett haben sollte, da er der Meinung war, dass es gruselig sei, wenn ich mit geschlossenen Augen einfach nur dastand. Seit dem Upgrade vor vier Jahren hatte ich ein paar unmenschliche Eigenheiten entwickelt. Oder es passierte einfach, weil ich jetzt wusste, was ich war und was meine Fähigkeiten waren. Mason versuchte diese Marotten auszumerzen. Er war der Meinung, dass ich viel mehr Mensch als so manch ein Anderer war.

»Kiraaaaa!«, rief Mason nun erneut. Er wusste, dass ich es hasste, wenn er meinen Namen so langzog. In solchen Momenten wie diesen wünschte ich mir, ich wäre nach der Trennung mit Ian nicht mit Mason zusammengezogen. Mason konnte ziemlich nervig sein. So nervig, dass ich manchmal einfach seine Stimme ausblendete, um vollkommene Ruhe zu genießen. Das machte ihn wütend, weshalb er immer anfing wild zu gestikulieren. Doch auch wenn er mich manchmal nervte, war ich froh, ihn in meiner Nähe zu haben. Seit der Gründung unserer Wohngemeinschaft hat sich unsere Freundschaft verfestigt und außerdem war es schön, nicht allein zu sein und jemanden zu haben, mit dem man seine Gedanken teilen konnte. Ich ging zu meinem Schreibtisch und startete das Holo ­– eine stationäre Erweiterung des HUphones ­– um den Nachrichten-Feed zu sehen. Eigentlich benötigte ich den ganzen High-Tech-Kram gar nicht, ich bestand schließlich selbst aus der neuesten Technik und konnte innerhalb weniger Sekunden alles mögliche gleichzeitig abrufen. Aber das mochte ich nicht. Auch wenn ich ein paar Macken hatte und nicht mehr zwanghaft, wie ein Mensch handeln wollte, war dies eine kleine und willkommene Abwechslung. Das Hologramm zeigte mir nun die Nachrichten, welche wie immer gefüllt mit reißerischen Meldungen aktueller Geschehnisse waren. Darunter Meldungen von Kriminellen, die letzte Nacht mehrere Milliarden Credits der KRYP Bank in New York gestohlen hatten. Seit der Einführung der Credits, eine Kryptowährung auf Basis eines dezentral organisierten Buchungssystems, war vieles einfacher geworden. Doch dies brachte auch Nachteile mit sich: Die Systeme waren noch relativ neu und ein beliebtes Ziel für Hacker. Trotz alledem waren viele froh, dass es nun weltweit eine einheitliche Währung gab, auf die man jederzeit zugreifen konnte. Ich schloss das Holo wieder und betrachtete mich in dem großen Spiegel. Mir gefiel meine neue Frisur, die ich seit letzter Woche trug. Ich hatte etwas neues gebraucht und konnte diesen Haarschnitt, einen Bob, echt nicht mehr sehen. Jetzt hatte ich lange blonde Haare, die mir am Rücken fast bis zu meinen Hintern reichten. Mason meinte, schwarze Haare hätten meine strahlend blauen Augen noch mehr zur Geltung gebracht, aber das war mir dann doch ein zu harter Kontrast. Ich kämmte meine Haare, warf einen letzten zufriedenstellenden Blick in den Spiegel und ging aus meinem Zimmer zur Küche, in der sich Mason bereits sein Frühstück zubereitete.

»Guten Morgen Kira! Na, gut geschlafen?«, sagte er und zwinkerte mir von der Küchenzeile aus zu. Er war gerade dabei, sein Müsli in eine Schüssel zu schütten und befüllte sie anschließend mit Hafermilch, denn tierische Produkte waren mittlerweile sehr teuer. Zu teuer, wenn es nach Mason ging, denn er war buchstäblich ein Sparfuchs. Außerdem mochte er es nicht, wenn Tiere litten, weshalb er komplett auf tierische Produkte verzichtete.

»Haha, witzig. Wenn du den Standby-Modus als Schlaf bezeichnest, dann habe ich heute gut geschlafen«, witzelte ich und setzte mich an die Theke.

»Willst du auch was?«, fragte er mich und schwenkte die Müsli-Packung vor meinen Augen hin und her. Ich atmete genervt aus und antwortete lediglich mit einem knappen »Nein danke.«

Ich brauchte keine Nahrung mehr zu mir nehmen, wozu auch? Seitdem ich wusste, dass ich das nicht benötigte, ließ ich es einfach weg. Ausgenommen waren dabei allerdings Essens-Situationen in Restaurants. Es würde zwar nicht auffallen, aber ich wollte mir die mitleidigen Blicke ersparen, die ich, wenn ich sonst nichts bestellte, erdulden musste. Ich konnte essen, aber es sättigte mich nicht. Nicht mehr. Seitdem ich wusste, was ich wirklich war, hatte sich doch so einiges geändert.

[KI]RA - Zwischen Licht & Schatten (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt