3.1 Kapitel

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Ihr Körper fühlte sich an, als hätte sie ihn wochenlang nicht mehr bewegt. Ihre Gelenke waren schwer und auch etwas eingerostet. Alles an ihr fühlte sich fremd an; wie als wäre sie in einem fremden Körper aufgewacht. Dennoch war sie sich sicher, dass dies nicht der Fall war. Sie bewegte ihre Finger unter der Decke, dabei gaben sie ein beunruhigendes Knacksen von sich. Vor wenigen Augenblicken war noch alles still und schwarz, doch jetzt drang das Geräusch zwitschernder Vögel an ihr Ohr. Außerdem fühlte sie die Wärme des Sonnenlichts auf ihrem Gesicht. Sie fing sofort an zu schwitzen. Sonst war sie doch auch nicht so überempfindlich. Da fiel ihr auf, dass sie ihre Augen immer noch geschlossen hatte. Stellas Augenlieder flatterten kurz, bevor sie wenige Augenblicke später ihre Augen zu Gänze öffnete. Sie starrte an eine weiße Decke, von der eine längliche Lampe herabhing. Der Stärke der Sonne nach zu urteilen, durfte es Mittag sein. Ihre Augen wanderten im Raum umher. Er war ziemlich spärlich eingerichtet. Hier gab es lediglich ein Krankenbett, einen Tisch mit Stuhl und ein Gerät das ihren Herzschlag aufzeichnete. Stella befand sich eindeutig in einem Krankenhaus. Die Frage war nur; wieso?

Sie schloss erneut ihre Augen und versuchte sich ihre letzten Erinnerungen ins Gedächtnis zu rufen. Sie war neben einem Jungen namens Joseph her gelaufen. Stella erinnerte sich daran, dass sie Zwei es ziemlich eilig hatten, da das Gebäude drohte jeden Moment zusammen zu brechen. Die sonst so stillen und leeren Gänge waren in einem rot getunkt gewesen und ein Alarm hatte gegen ihre Ohren gehämmert. Nur kurze Zeit später hatte sich eine Druckwelle durch das Gebäude ausgebreitet. Danach war die Decke über ihren Köpfen zusammengebrochen. Dabei hatte sie sämtliche ihrer Knochen brechen gehört, bevor sie ihr Bewusstsein verlor.

Man musste sie und Joseph unter den Trümmern gefunden und in dieses Krankenhaus gebracht haben. Stella richtete sich auf. Sie musste Joseph finden. Sie wollte sicherstellen, dass er ebenfalls überlebt hatte. Stella griff nach der Decke, warf sie zurück und schwang ihre Füße über die Bettkante. Bereits da wurde sie von einem Schwindelgefühl erfasst. Sie stand doch nicht einmal auf ihren Beinen. Schwarze Flecken tanzten vor ihren Augen und Stella hätte schwören können, dass sich ihr Oberkörper im Kreis bewegte. Als sie schließlich wieder klar sehen konnte, setzte sie zuerst den linken und dann den rechten Fuß auf den kalten Fußboden ab. Ein Blick an ihr herab, sagte ihr, dass sie einen grünen Kittel trug und weder Schuhe noch Socken anhatte. Sie sah sich in ihrem Zimmerchen um, doch nirgends war ihre Kleidung zu sehen. Alles schien leer. Die einzige Dekoration, die es hier gab, war eine leere, durchsichtige Vase. Keine Blumen waren darin platziert worden. Obwohl Stella wohl nichts anderes hätte erwarten sollen, versetzte der Anblick der leeren Vase ein Stich ins Herz. Dies erinnerte sie daran, dass sie ganz alleine auf dieser Welt war. Ihre Eltern waren vor Jahren verschwunden und ihre anderen Verwandten hatte sie nie kennengelernt.

Sie schüttelte ihren Kopf und verlagerte ihr Gewicht auf ihre schwächlichen Füße. Sie sah etwas abgemagert aus und ihre Füße ziemlich kraftlos. Es fühlte sich so an, als würde sie mit klapprigen Stelzen durch die Gegend marschieren. Das Gleichgewicht war nicht gleich ihr Freund, doch sie fing sich relativ schnell wieder. Ihre Haare fielen ihr um die Schultern. Sie reichten ihr bis knapp zur Hüfte. Viel länger als sie eigentlich gewesen waren. Stella blickte zurück auf das Bett. Wie lange war sie bloß schon hier? Sicher etwas länger, als sie anfangs vermutet hatte. Stella wandte sich wieder der Milchglastür zu. Als sie näher kam, erfasste sie ein Bewegungsmelder und die Tür schwang seitlich auf. Draußen war es ziemlich ruhig. Der Gang, zu dem ihr Zimmer führte, war sehr lang, doch sie erblickte nur zwei alte Menschen, die miteinander redeten. Kein Arzt war in der Nähe. Unsicher trat sie hinaus auf den Flur und sah sich misstrauisch um. Sonst war es in Spitälern doch immer so voll. Stella entschied sich nach rechts zu gehen, da links eine Sackgasse vermutete. Sie ging eine Weile den Gang entlang und bog schließlich um eine Ecke. Auch hier war niemand, der so aussah, als würde er sich hier auskennen. Warum war hier kein einziger Arzt zu sehen? Was würde passieren, wenn einer der Patienten plötzlich nach Luft schnappend umkippt und einen Herzinfarkt erlitt? „Entschuldige mal!", rief plötzlich eine Stimme hinter ihr. Überrascht drehte sich Stella um. Hinter ihr stand ein älterer Mann und nicht wie sie gehofft hatte, einer der Ärzte. „Bist du nicht das kleine Mädchen aus Raum 14g?" Der Mann wirkte sehr sympathisch auf sie, doch so richtig klar sehen tat er wohl nicht, denn ein kleines Mädchen war sie schon lang nicht mehr! „Falls sie den Raum dort hinten meinen, dann ja", gab sie den Mann als Antwort. Er fing an zu liebevoll zu lächeln. Der Alte hatte sie bereits erreicht und stand nun direkt vor ihr. Er war etwas kleiner als Stella, obwohl diese nicht gerade groß war. „Schön, dass du endlich aufgewacht bist. Manche von uns hatten schon die Befürchtung, dass so ein junges Ding wie du es bist, ewig schlafen würde." Stella wusste nicht genau, wie sie darauf reagieren sollte, also stellte sie stattdessen eine Frage: „Wo kann ich hier denn einen Arzt finden. Ich suche einen Freund von mir." „Wir sind hier in einem Nebengebäude des eigentlichen Krankenhauses. Hier werden Fälle untergebracht, die keine Überwachung rund um die Uhr benötigen." „Und wieso bin ich dann hier?", wollte Stella verdutzt wissen. „Irgendwohin musstest du doch, während du im Koma lagst", meinte der Herr schulterzuckend. Stella nickte, aber sie verstand es dennoch nicht.

Stella riss sich aus ihren Gedanken und lächelte den Mann an. „Weißt du zufällig, wo sie meinen Freund untergebracht haben?" Der alte Mann runzelte die Stirn und schien zu überlegen. Er kratzte sich an seinen Stoppelbart, während er in Gedanken versank. „Falls dein Freund auch unter den verletzten Elements gewesen war, dann befindet er sich sicher nicht mehr hier", erklärte er ihr. Stella zog überrascht eine Augenbraue nach oben. Wieso sollten Elements- Plötzlich schoss eine Erinnerungen in ihren Kopf. Als Joseph sie aus ihrem kleinen Gefängnis befreit hatte, erwähnte er, dass die Elements dabei waren das Gebäude von Mr. Trumble zu zerstören. Schon damals hatte sie sich gefragt, wieso die Elements dies taten. Sonst pflegten sie auch keine Gewalt. 
Aber Joseph und sie durften wohl wirklich gleichzeitig mit den Elements eingeliefert worden sein, da sie wohl während des Kampfes verwundet worden waren. „Wieso sollte er nicht mehr hier sein?" Der Mann kam noch einen Schritt auf Stella zu und legte ihr eine Hand aufmunternd auf die Schulter. „Kind, du bist drei Jahre im Koma gelegen. Viele Elements und andere Verletzte dieses Kampfes wurden bereits vor zwei Jahren entlassen. Du bist die Letzte."

Stella fiel aus allen Wolken. Hatte der Mann ihr gerade gesagt, dass sie drei Jahre ihres Lebens in einem Krankenhaus verschlafen hatte? Sie riss ihre Augen entsetzt auf und rannte den Gang entlang, bis sie einen Spiegel fand und vor ihm stehen blieb. Stella sah nicht mehr die 14 Jährige Stella vor sich. Vor ihr stand ein Mädchen mit langen braunen Haaren und großen blauen Augen. Ihr ehemaliger Pony hatte sich aufgelöst und sie war gut 6cm gewachsen. Sie erkannte sich selbst kaum wieder. Wenn Stellas Rechnung aufging, dann dürfte sie jetzt 17 sein. Sie fasste sich mit ihren Händen ins Gesicht und tastete es ab. Das 14 Jährige Mädchen und diese Version sahen sich schon ähnlich, aber dennoch wollte Stella es nicht wahr haben. Da tauchte auf einmal der ältere Mann neben ihr auf. „Mir tut es ehrlich leid." Sie sah ihn im Spiegel an und lächelte schwach. „Was tut ihnen Leid?" „Dass du drei Jahre deines Lebens schlafend verbracht hast." Stella kullerte eine Träne die Wange herab, welche sie sofort versuchte zu verbergen. Ihr tat es auch Leid.

Sie saß auf ihrem Krankenbett und ein Doktor überprüfte sie ein weiteres Mal gründlich. Nachdem Stella gefühlte Stunden vor ihrem Spiegelbild verbracht hatte, war doch ein Arzt aufgekreuzt und hatte nicht schlecht gestaunt, als er 'Dornröschen' sah. Das war der Spitzname, den die Ärzte ihr gegeben hatten. Das zeigte wenigstens, dass sie nicht völlig vergessen wurde. 
Schließlich verkündete der Doktor: „Du bist gesund und munter. Ein wahres Wunder, dass du aufgewacht bist. Eigentlich gab es keine Anzeichen darauf, dass du heute aufwachen würdest. Wirklich seltsam." „Wieso, hätten sie etwa eine 'Willkommen zurück Party' geben wollen", witzelte Stella, obwohl sie nicht mit dem Herzen dabei war. „Nein, nein, das nicht. Aber dann hätten wir uns beraten können, was wir nun mit dir anstellen." Überrascht blickte Stella auf, was dem Doktor natürlich nicht entging. „Wie wir herausgefunden haben, hast du keine Verwandten, die sich um dich kümmern können." Stella bestätigte das mit einem leichten, kaum erkennbaren Nicken. Sie sprach nicht oft darüber.
„Fürs erste werden wir dich noch hier behalten, damit wir Zeit haben, die nötigen Hebel umzulegen, damit wir dich irgendwo unterbringen können", erklärte er und verließ daraufhin den Raum.

Stella war das nur recht. Sie wollte ohnehin eine Weile alleine sein. Fürs erste ging sie ins Bad und drehte den Wasserhahn auf. Sie formte mit ihren Händen eine Schüssel, fing das Wasser auf und wollte es sich ins Gesicht spritzen, doch das Wasser blieb an Ort und Stelle. Verwundert öffnete Stella ihre Augen, als sie kein Wasser in ihrem Gesicht spürte. Das Wasser, was sie vorhin in ihre Hände laufen ließ, klebte nun fest. Egal wie sie ihre Hände drehte, es wurde einfach nicht von der Schwerkraft erfasst. „Was ist das für ein Zauber?", stieß Stella hervor. Die Luft war ihr aus ihren Lungen entwichen. Sie versuchte krampfhaft diesen Wasserball von ihren Händen zu bekommen, aber es gelang ihr nicht. Frustriert rannte sie aus dem Bad zurück in ihr Zimmer. Dabei krachte sie gegen den Tisch und die Vase flog zu Boden, so sie in Scheiben zersplitterte. Erschrocken fuhr Stella im Laufen herum und stolperte ungeschickt über ihre eigenen Füße. Genau wie die Vase krachte auch sie zu Boden. Als sie auf dem Boden aufschlug, zerrann das Wasser wieder. Es floss ihre Finger entlang und eine Pfütze breitete sich aus.

Sie konnte nicht begreifen, wie das geschehen konnte. Magie war nichts ungewöhnliches für die Welt. Die Elements sind ein perfektes Beispiel für etwas Übernatürliches. Sie war jedoch ein Mensch - ein stink normaler Mensch - der gelegentlich über seine eigenen Füße stolperte. Sie sollte keine Magie praktizieren können. Vorsichtig kroch sie näher an die Pfütze, als wäre sie giftig oder ähnliches. Stella tauchte ihren Finger in das Wasser und zog ihn vorsichtig wieder nach oben. Und ein weiteres Mal passierte es. Das Wasser hing von ihrem Finger herab, wie eine Schnur. „Aber wieso..?", flüsterte Stella verzweifelt. Sie war keine Elements. Das wusste sie genau. Ihre Eltern waren keine gewesen und sie selbst hatte auch nie Anzeichen dafür gehabt. Mit 13 spätestens hätte sie doch ihre Kräfte bekommen sollen.

School of Elements - HalbmondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt