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Die leere Wohnung fühlte sich noch immer falsch an.
Sie war zu groß, zu still. Und sah noch immer aus, als würde Robin nicht alleine hier leben.
Jonnys Mantel, der an der Garderobe hing; der schwarze mit den Nieten, den er nur trug (getragen hatte, korrigierte die bösartige Stimme erneut), wenn sie ausgingen, weil er zwar schön aussah, aber für den Alltag doch irgendwie unpraktisch war. Die dazu passenden Stiefel mit den Plateauabsätzen - ebenfalls sehr stylisch, doch Robin hatte sich immer etwas verloren gefühlt, wenn Jonny sie getragen hatte und der Größenunterschied zwischen ihnen von den üblichen ungefähr zehn auf gut zwanzig Zentimeter verdoppelt wurde.
Robin streifte seinen eigenen Mantel ab, hängte ihn an einen der Kleiderhaken. Den Blick auf Jonnys Klamotten, die, die er nicht getragen hatte als er gestorben war, vermied er, so gut er konnte.
Im Wohnzimmer standen noch die Leinwände, manche weiß, andere bemalt. Auf der Staffelei eine mit dem halbfertigen Motiv einer Kreatur, deren violette Augen stumpf auf einen Punkt in der linken unteren Ecke blickten, in der eine schattenhafte Gestalt kauerte.
„Ich hab wieder schlecht geträumt", hatte Jonny gesagt, als Robin ihn am frühen Morgen vor der Staffelei vorgefunden hatte, nachdem er aufgewacht war und sich gewundert hatte, dass er alleine im Bett lag.
Das war zwei Tage vor Jonnys Tod gewesen. Und es fühlte sich an, als wären keine zwei Stunden seitdem vergangen.
Klar und deutlich erinnerte Robin sich daran, wie er in die Küche gegangen war, Kaffee aufgesetzt hatte und schließlich mit zwei Tassen zurück ins Wohnzimmer gegangen war, sich neben Jonny auf einen Stuhl gesetzt und ihm schweigend zugesehen hatte, ihm ab und zu seinen Kaffee reichend.
Ein Morgen wie so viele andere. Keiner von ihnen hatte gewusst, dass es der letzte dieser Art sein würde.
Mit den Fingerspitzen strich Robin über die Leinwand, fürchtete einen Augenblick lang, dass die Farbe an seiner Haut kleben bleiben und das Bild verschmieren würde. Aber das passierte nicht. Natürlich nicht.
Die Farbe war längst getrocknet.
Es war schwierig den Blick abzuwenden, nicht wie eingefroren stehenzubleiben und die Bilder zu betrachten, die sein Verlobter in der Zeit, die sie gemeinsam hier gewohnt hatten, gemalt hatte. Es war eine Art Therapie für ihn gewesen, eine Erleichterung, das, was ihn in seinen Träumen verfolgte, in bildliche Form zu bannen. Aus Erzählungen wusste Robin, dass Jonny das früher bereits getan hatte, als Kind. Dass er die Bilder gesammelt und schließlich verbrannt hatte, dass ihm das das Gefühl gegeben hatte, eine gewisse Kontrolle über seine Ängste zu haben.
Jonny hatte viele Alpträume gehabt. Kreaturen, die aus dem entstanden, was ihm in seiner Vergangenheit widerfahren war, die ihn teilweise bereits seit Jahren verfolgten.
Nicht einer dieser Träume hatte von seinem späteren Mörder gehandelt, obwohl Jonny gewusst hatte, dass es jemanden gab, der ihn umbringen wollte. Davor hatte er sich nicht gefürchtet. Er hatte Robins Versprechen geglaubt, dass ihm nichts passieren würde.
Ein Versprechen, das dieser letztlich nicht hatte halten können.
"Es tut mir so leid", flüsterte Robin in die Stille der Wohnung hinein. Er ließ sich auf die Couch fallen, starrte vor sich hin.
Die Leute sagten immer wieder, dass es weitergehen würde. Dass der Schmerz nachlassen würde, er lernen würde, damit zu leben.
Vielleicht hatten sie recht. Wahrscheinlich sogar. Aber im Moment fühlte es sich absolut nicht danach an.
Robins Gedanken schweiften ab, kehrten unvermeidlich zu dem Tag zurück, an dem er Jonny zum letzten Mal gesehen hatte. Die Schuld, ohnehin immer da wie ein Schatten, der ihn verfolgte, wuchs, als einmal mehr die Vorstellung in ihm hochkroch, was geschehen wäre, wenn er an jenem Morgen ein wenig hartnäckiger gewesen wäre...

VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt