08 - Erziehungsberechtigt als Roboter

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𝟣𝟪𝟥𝟧 𝘞𝘖𝘌𝘙𝘛𝘌𝘙 - 𝚂𝙲𝙸𝙴𝙽𝙲𝙴-𝙵𝙸𝙲𝚃𝙸𝙾𝙽, 𝚃𝚁𝙰𝚄𝙴𝚁, 𝚁𝙾𝙱𝙾𝚃𝙴𝚁

Ich liege nun seit drei Tagen in meinem Bett. Umgeben bin ich von Taschentüchern. Alle sind nass und gebraucht. Ich habe sie in den letzten Tagen vollgeweint.
Ich will aufhören damit, will mich zusammenreißen. Besonders für meine Eltern. Sie hätten nicht gewollt, dass es mir so schlecht geht. Aber ich habe ja auch nicht gewollt, dass sie starben. Ich will, dass sie hier sind - bei mir!

Ich fühle mich so allein! Niemand ist mir mehr geblieben, seit meine Eltern vor einer Woche verstarben. Meine Großeltern habe ich nie kennengelernt. Geschwister hatten beide meiner Eltern nicht. Wir waren eine kleine Familie. Und jetzt gar keine mehr. Nur noch ich bin hier.
Und ich werde auch erst einmal hier bleiben. Mit meinen sechzehn Jahren noch in ein Heim zu gehen, das will ich nicht. Ich habe mich stattdessen für die zweite Variante entschieden, den Ersatz-Erziehungsberechtigten.

Gleich wird er hier sein, der Roboter. Er wird meine Eltern ersetzen. Ich finde es schrecklich. Aber gleichzeitig auch gut, denn sonst müsste ich ins Heim. Nur durch den Roboter kann ich im Zuhause meiner Eltern wohnen bleiben und weiter mit meinen Freunden in die Schule gehen. Auch wenn ich das jetzt erstmal noch nicht muss. Ich habe noch eine Woche Zeit, um mich an mein neues Leben zu gewöhnen. Um mich an den Roboter zu gewöhnen, als meinen neuen Erziehungsberechtigten.

Ich habe Angst, Angst davor, mich zu schnell an den Roboter zu gewöhnen. Angst davor, meine Trauer nie mehr los zu werden und auch Angst meine Eltern zu vergessen. Immer weniger kann ich mich an den typischen Geruch von ihnen erinnern. Oft husche ich in ihr noch nicht neu bezogenes Bett und stecke meine Nase in die Kissen. Dann probiere ich mich an ihre Stimme zu erinnern. Einige Standardsätze klingen mir noch in den Ohren. Der Rest verblasst. Und das schon nach wenigen Tagen.

Wieder schniefe ich vor mich hin, bade minutenlang im Selbstmitleid. Dann höre ich leise die Klingel. Langsam raffe ich mich auf und mache mir noch schnell einen Dutt, um halbwegs passabel auszusehen. Ich schlurfe aus dem Zimmer und öffne die Tür.

Frau Berger vom Jugendamt steht mir gegenüber. Ihre langen, braunen Haare fliegen ein bisschen im Wind umher, dann tritt sie auch schon ein und umarmt mich. Schnell ziehe ich mich aus der Umarmung zurück. Ich möchte nicht von ihr berührt werden. Ich will viel lieber wieder allein sein. Ich mache das jetzt nur, um hier wohnen zu bleiben. Weil ich mich hier Mama und Papa näher fühle.

Frau Berger dreht sich noch einmal um und schleppt das große Paket in den Hausflur, das bis eben noch hinter ihr stand. Anschließend schließt sie die Tür. Ihr Geruch weht in das Haus und macht mich ganz nervös. Ich möchte, dass sie wieder geht. Ich will hier nichts Fremdes haben.

„Also Clarissa. Dann wollen wir deinen Roboter doch mal herausholen und gemeinsam programmieren.", übergeht sie mein abweisendes Verhalten einfach und öffnet den Karton. Ich sitze aufgeregt neben ihr, eine Gänsehaut breitet sich langsam über meinem gesamten Körper aus. Ich werde gleich das erste Mal das Teil sehen, mit dem ich die nächsten zwei Jahre zusammenlebe. Die Zeit zieht sich endlos lang, während meine Augen wieder feucht werden und mir eine scharfe Sicht auf den Roboter nehmen. Ich sehe nur einen weißen Umriss. Ich blinzle schnell und öffne meine Augen, damit ich ihn sehen kann.

Eigentlich schaut er aus wie alle Roboter. Unten ist er zylinderförmig, oben sitzt eine Kugel mit Augen und Mund. Das heißt zwei schwarze Punkte und eine Öffnung für den Lautsprecher. Auf zwei Rollen unten kann er fahren. Ein kleines, hysterisches Lachen bricht aus mir hervor. Das soll mein neuer Erziehungsberechtigter sein, ehrlich? Dann hätten sie auch einfach nur einen Lautsprecher auf zwei Rollen stellen können. Der Kopf bringt es wirklich nicht.

𝑫𝒊𝒆 𝑼𝒏𝒆𝒏𝒅𝒍𝒊𝒄𝒉𝒌𝒆𝒊𝒕 𝒅𝒆𝒓 𝑾𝒆𝒍𝒕𝒆𝒏 ²⁰¹⁹ ❲⊛❳Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt