Noch wach?

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Gedankenverloren kaute ich auf meinen Fingernägeln herum, während die Jungs irgendwas für ein kommendes Konzert besprachen. Irgendwie konnte ich mich nicht konzentrieren. Die ganze Sache mit Natalie beschäftigte mich einfach viel zu sehr im Moment.
Seit einigen Monaten lief es schon nicht mehr bei uns. Dabei hatte ich immer gedacht, dass ich in ihr die Liebe meines Lebens gefunden hätte. So kitschig es auch klingen mochte. Doch mittlerweile stritten wir nur noch. Es war kaum auszuhalten. Ich erkannte sie kaum wieder.

Anfang des Jahres noch hatten wir schon fast begonnen Babypläne zu schmieden. Naja, eigentlich hatte Natalie damit angefangen. Ich war zwar nicht komplett abgeneigt gewesen, aber wir hatten gerade erst ein neues Album aufgenommen und eine Konzert- und Festivaltour stand bevor. Musikvideodrehs, Interviews, Promo-Aktionen... Es passte einfach null in den Zeitplan. Und ehrlich gesagt fühlte ich mich dann doch noch nicht bereit für ein eigenes Kind. Ich war zwar schon 30, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es einfach noch nicht in mein Leben passte.

Klar, verstand Natalie meine Einwände. Aber dann kam sie immer und immer wieder damit an, bis ich irgendwann echt genervt war und vielleicht ein ganz kleines bisschen zu laut ihr gegenüber wurde. Seitdem verhielt sie sich komisch.
Vorher hatten wir immer über alles reden können. Vorher hatten wir immer diplomatische Lösungen für alles gefunden. Jetzt war es so, als würde ich auf Eierschalen laufen. Egal, was ich sagte, irgendwie war es falsch. Ich hatte ihre gefühlvolle Art immer geschätzt, aber mittlerweile war sie so sensibel, dass ich bei jedem Satz, bei jeder Anmerkung, die ich hatte, doppelt und dreifach überlegte, wie ich es am besten formulieren sollte, damit sie nicht wieder an die Decke ging. Kurz gesagt: Es war lange her, als ich mich das letzte mal aufs Nachhausekommen gefreut hatte.

"Alles gut bei dir?", fragte mich Tarek. Ich nickte nur, ohne ihn anzusehen. "Du bist so still heute. Kennt man gar nicht von dir."
"Jaja, alles super. Heute is mir nur nicht so nach Reden zumute."
Ganz gelogen war das nicht. Es war mir wirklich nicht nach Reden zumute. Ich hatte irgendwie das Gefühl, wenn ich die Sache aussprach, dass sie dann noch mehr zur Realität würde. Klar, wusste ich, dass es zwischen mir und Natalie nicht mehr so richtig lief. Aber ich hatte noch Hoffnung, die Sache irgendwie zu retten. Ich hatte noch Hoffnung, dass das alles nur eine blöde Phase war, die wir nur überwinden mussten. Vielleicht würde uns das ja am Ende wieder nur noch mehr zusammenschweißen? Vielleicht war das ja alles nur eine Probe. Zumindest redete ich mir das schon seit Monaten ein. Ich hatte das Gefühl, wenn ich es jetzt aussprach, dass das der Anfang vom Ende sein würde.

Bisher hatte ich mich nur Nico ein wenig anvertraut. Aber so richtig alles erzählt hatte ich ihm auch nicht. Nur mal erwähnt, dass es in letzter Zeit öfter mal Stress zuhause gab. Ich wollte einfach, dass niemand mir in die Sache hinein redete. Wenn ich jemanden von den Zuständen bei uns zuhause erzählen würde, hätte wahrscheinlich schon jeder gesagt, ich solle Schluss machen. Aber ich wollte die Sache lieber mit mir alleine ausmachen. Beziehungsweise hoffte ich ja immer noch auf ein Happy End. In den sieben Jahren, die wir zusammen waren, gab es ja immer mal wieder Hürden, die wir überwinden mussten. An sowas konnte eine Beziehung ja nur wachsen, dachte ich immer. Jetzt fühlte sie sich allerdings so schwach wie nie zuvor an.

"Ich bin dann mal weg. Wollte noch zum Sport.", sagte ich plötzlich stumpf in die Runde. "Okay, dann sehen wir uns morgen?", wollte Nico wissen. "Ja, wieder um 19 Uhr?"
Alle nickten, ich schwang meine Tasche auf meine Schulter und begab mich in den Flur. Nico folgte mir. "Ey, wenn irgendwas ist... Du weißt, ich hab immer ein offenes Ohr für dich, Mann.", sagte er dann. Lächelnd nickte ich ihm entgegen. "Danke, das weiß ich zu schätzen." Wir umarmten uns zur Verabschiedung.

Ich sah auf mein Handy. Es war 22:30 Uhr. Ich hatte Natalie gesagt, ich würde heute spätestens um 22 Uhr zuhause sein. Aber ich hatte einfach kein Bock nach Hause zu kommen. Sie hatte mir auch schon geschrieben, wo ich denn bleiben würde, aber ich antwortete ihr nicht. Es würde eh nur Gemecker zurückkommen. Beim Sport konnte ich meinen ganzen Frust abbauen, das brauchte ich jetzt. Und niemand würde mich nerven.

Couchsurfing mit Folgen (Nico und Maxim K.I.Z) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt