Musik- Kurzgeschichte

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Musik

Das nächste Lied kam. Es war ein fröhliches Lied. Eines, bei dem man sofort mitsingen möchte. Schnell griff sie zu ihrem iPhone und übersprang es.

Danach liess sie sich wieder aufs Bett zurücksinken und schloss die Augen.

Diesmal kam ein trauriges Lied. Es kam sanft und dunkel aus den Lautsprechern ihres Handys.

So traurig und düster das Lied war, so düster war es in ihrem Inneren.

Grau und schwarz, einfach nur leer.

Sie hörte, wie die Tür im unteren Stock aufging und ihr Vater rein kam.

Sie wollte es nicht hören, nicht schon wieder. Gleich begann es.

Hoffentlich ist es diesmal nicht so schlimm, wie sonst immer. Hoffentlich ist es heute schneller vorbei.

Und schon hörte sie die ersten Schreie, Flüche und Beschimpfungen.

Es ging los.

Ihr Vater und ihre Mutter stritten wieder.

Der Lärm drang wie eine dunkle Wolke die Treppe hoch in ihr Zimmer.

Es klang laut und böse. Voller Vorurteile und gemeiner Worte.

An die Zimmerdecke starrend, wartete sie, bis die ersten Tränen kamen. Sie wusste, sie könnte sie eh nicht aufhalten, auch wenn sie sich bemühen würde, darum versuchte sie es erst gar nicht.

Sie waren warm und salzig.

Diesmal ging es lange, bis der Streit wenigstens ein bisschen ruhiger wurde, bis ihre Tränen wenigstens ein bisschen versiegten.

Es war ein trauriges Lied, ein Lied das ihr Inneres widerspiegelte.

Sie mochte es.

Warum ging sie nicht einfach? Sie könnte einen Rucksack packen und ein Paar Tage zu ihren Verwandten fahren. Vielleicht würden sie ja dann merken, wie schlimm das alles für sie war.

Ihre Verwandten wohnten ein paar Stunden von ihr weg. Sie müsste mit dem Zug gehen. Geld hatte sie noch genug. Eine Tasche hatte sie auch

Ganz langsam richtete sie sich auf und stellte das Lied ein wenig lauter. Sie wollte die Wörter ihrer Eltern nicht mehr mithören. Nicht heute. Niemals mehr.

Alles tat ihr weh. Ihr Kopf dröhnte. Ganz langsam und vorsichtig stand sie auf und ging zum Schrank. Sie nahm nur wenig mit. Ein paar Wechsel Kleider, ihre Zahnbürste und Ihr Handy mit Kopfhörer.

Sie brauchte Musik. Sie tat ihr gut. Sie hörte dadurch ihren eigenen Schmerz in Worten wieder.

Als sie alles eingepackt hatte, musste sie sich setzen. Alles tat ihr weh, ihr Kopf dröhnte. Nur eine Minute, sagte sie sich selbst und legte sich nochmals kurz hin.

Das Geschrei einen Stock tiefer verebbte. Es war vorbei. Zumindest für heute. Jetzt war ihre Chance. Nach einem Streit gingen sie immer weg, um für sich alleine zu sein und über ihre tausend Fehler, die sie einander vorgeworfen bekamen, nachzudenken. Sie nahm ihre ganze Kraft zusammen und stand auf, packte ihren Rucksack und öffnete ihre Zimmertür. Sie machte sich nicht mal die Mühe, die Tränen weg zu wischen. Man würde eh an ihren geschwollenen Augen sehen, dass sie geweint hatte, dachte sie.

Das war ihre Chance auf ein paar Tage Erholung. Ihre Eltern würden es gar nicht merken, wenn sie weg ging. Einfach ein Paar Tage ohne Geschrei

Diese Gedanken gaben ihr Kraft, die Treppe runter zu schlurfen und sich die Schuhe anzuziehen.

Ihre Chance.

Sie griff nach der Türfalle und öffnete sie.

,,Was tust du da? Wohin willst du, junge Dame?'', eine eisern klingende, weibliche Stimme liess sie erstarren.

Nein, nein, nicht jetzt. Warum ist sie noch da? Scheisse, ich hätte länger warten sollen

Sie erwiderte nichts, sondern ging wortlos einen Schritt zurück, sodass sie wieder im Haus war. Schweigend, halb weinend zog sie ihre Schuhe aus.

,,Ich will eine verdammte Antwort'', schrie die Mutter sie an. Sie konnte sie nicht mehr zurückhalten, die Tränen brachen aus. Ein lautes Schluchzen drang aus ihrer Kehle. Den Rucksack achtlos zu Boden fallend, rannte sie die kalte Treppe hoch. Wieder in ihr Zimmer. Zu der Musik. Sie brauchte sie. Ohne sie konnte sie nicht, doch warum wusste sie nicht. Diesmal stellte sie ein englisches Lied, das über Schmerz sang, ein.

Es war gut, dass sie es nicht verstand, denn sonst würde ihr Herz jetzt ganz in schwarz versinken.

Mit der Melodie leise mitsummend glitt sie langsam in einen tiefen Schlaf.

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