Ich versuchte, mich auf der Überfahrt zu entspannen und nicht daran zu denken, was ich sagen sollte, wenn ich Francis zum ersten Mal nach so langer Zeit begegnete. Bestimmt war er nicht besonders erfreut darüber, eine Frau zu heiraten, die er im Grunde genommen gar nicht kannte. Was mich noch mehr bedrückte, war meine Unerfahrenheit in Liebesdingen. Gewiss fand er mich nicht interessant genug und nahm sich stattdessen erfahrenere Mätressen, wie es die französischen Könige schon seit jeher taten. Ich wäre dann bloß auf dem Papier mit Francis Valois verheiratet und würde von ihm nie aufrichtig geliebt werden. Und dann war da noch die Sorge, ob man mich am französischen Hof überhaupt willkommen heißen würde. Meine Gedanken wanderten zu meinen Hofdamen, die gleichzeitig auch meine besten Freundinnen seit Kindertagen waren. Sie würden bei mir sein, hatten jedenfalls die Nonnen im Kloster behauptet.
"Weißt du, ob die Metze tatsächlich tot ist?", fragte da plötzlich eine tiefe Männerstimme, und ich hielt instinktiv den Atem an, weil die Stimme so klang, als würde der Sprecher ganz in der Nähe meines Verstecks stehen. "Wer weiß? Das Kloster, in dem sie sich verkrochen hatte, wurde jedenfalls bis auf die Grundmauern niedergebrannt", antwortete eine zweite Stimme, in der eine gewisse Genugtuung lag. Kurz darauf hörte ich, wie Schritte sich entfernten, und danach blieb alles still.
Trotzdem steigerte sich meine Sorge zu einer regelrechten Panik, und als wir endlich am nächsten Morgen im Hafen von Calais einliefen, war ich ein reines Nervenbündel. Mein Herz hämmerte in meiner Brust. Nun war es so weit! Ich wartete, bis die Mannschaft des Schiffes voll und ganz mit dem Ausladen der Fracht beschäftigt war, und ging dann klammheimlich von Bord.
Es war gerade Markttag in der Stadt, und ich mischte mich unauffällig unter das Volk. Es war laut und trubelig, aber das störte mich nicht im Geringsten. Ganz im Gegenteil, ich fühlte mich frei. Ich schlenderte über den Markt und vergaß für kurze Zeit, wieso ich eigentlich hier war. Ich kam irgendwann an einen kleinen Blumenstand, und die farbenprächtigen Blüten waren so wunderschön, dass ich gar nicht anders konnte, als an ihm zu verweilen.
"Guten Tag, Madame!", begrüßte mich eine freundliche Stimme, und ich blickte auf. Der Verkäufer war ein junger Mann mit goldenen, gelockten Haaren. Seine schokoladenbraunen Augen sahen mich neugierig und erwartungsvoll an. Ich war so sehr von den Ereignissen des gestrigen Tages erschöpft, dass ich ganz unvermittelt in Tränen ausbrach. Der junge Mann riss erschrocken die Augen auf und kam dann schnell um seinen Ladentisch herum zu mir. "Ich ... Vergebt mir!", schluchzte ich und klammerte mich instinktiv an den jungen Blumenhändler, der tröstend seine Arme um mich geschlungen hatte. Meine Kapuze rutschte mir vom Kopf und enthüllte mein rabenschwarzes Haar. Ich spürte den sanften Druck der Umarmung. "Es wird alles wieder gut!", flüsterte der junge Mann besänftigend. Ich schüttelte den Kopf und stammelte: "Ich muss einen Mann ehelichen, den ich kaum kenne, und gestern wurde das Kloster, in dem ich Zuflucht gesucht hatte, überfallen und niedergebrannt, und ich habe als Einzige überlebt!" Die Arme des jungen Blumenhändlers schienen sich mit einem Mal zu verkrampfen. "Mein Gott!", flüsterte er geschockt. Als ich meine Fassung wiedergefunden hatte, löste ich mich schnell von dem blonden Mann und senkte beschämt den Blick. "Ich bitte vielmals um Verzeihung, Monsieur!", meinte ich schnell und brachte etwas Abstand zwischen mich und den Verkäufer. Der ließ sich nicht beirren, sondern legte mir sanft einen Finger unters Kinn und hob vorsichtig meinen Kopf an. Dann pflückte er aus einem großen Blumentopf aus Messing eine Lilienblüte und reichte sie mir. "Dankeschön!", meinte ich etwas verwirrt und nahm die Blume. "Ihr seid fremd hier", sagte der Blumenhändler. "Darf ich Euch vielleicht meine Hilfe anbieten?" Noch ehe ich richtig über sein Angebot nachgedacht hatte, meinte ich: "Das wäre sehr nett, danke!"
"Wo wohnt denn euer Zukünftiger?" fragte der junge Mann und ich glaubte, ein gewisses Funkeln in seinen Augen wahrzunehmen. Ich senkte schnell den Blick und antwortete etwas verlegen: "Er wohnt im Königspalast!" Der Blumenhändler stutzte und riss dann die Augen auf. "Einen Moment noch, Madame, ich stehe Euch sogleich zur Verfügung." Er drehte sich zu einem zweiten Mann hinter dem Ladentisch um, den ich noch gar nicht bemerkt hatte. "Bash, sei so gut, und räume auf!", rief ihm der Blumenhändler lässig zu, und ohne auf eine Antwort zu warten, wandte er sich mit einem verführerischen Lächeln wieder zu mir um. "Können wir, meine Schöne?"
"Okay, Bruder", murmelte der zweite Mann, der in etwa so alt war wie der blonde Blumenhändler, und machte sich sogleich ans Werk. "Oh nein, wenn Ihr zu tun habt, will ich Euch nicht davon abhalten!", meinte ich abwehrend und wollte gehen, aber der Blumenhändler nahm schnell meine Hand und widersprach: "Wir waren ohnehin gerade mit unserer Arbeit für heute fertig!" Ich erinnerte mich wieder daran, dass ich ja verlobt war, und zog meine Hand schnell zurück. "Ich weiß ja noch nicht einmal Euren Namen", gab ich zu bedenken und verschränkte demonstrativ die Hände ineinander. "Darf ich mich vorstellen? Mein Name lautet Piero Francesco Savialti. Und mit wem habe ich das Vergnügen?", fragte er. "Ihr könnt mich einfach Mary nennen."
Der Blumenhändler zog leicht die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts, sondern ging mit mir zu zwei rabenschwarzen Hengsten, die im Schatten eines kleinen Freudenhauses in der Nähe des Blumenstandes angebunden waren und ungeduldig mit ihren Hufen scharrten. In der Zwischenzeit hatte der zweite Mann namens Bash die Blumen auf einen Wagen geladen, der daraufhin von einem Bediensteten weggebracht wurde. Jetzt stieg er leise seufzend auf eines der beiden gesattelten Pferde. Als sein Bruder an ihm vorbei zu seinem eigenen Reittier ging, beugte er sich schnell zu ihm nach unten und flüsterte ihm etwas zu. "Ja!", sagte der Blumenhändler daraufhin entschieden, und half mir in den Sattel seines nachtschwarzen Hengstes. Dann stieg er hinter mir auf und schlang seine Arme um mich, um die Zügel aufzunehmen. Ich spürte seinen festen Körper in meinem Rücken und lehnte mich instinktiv an ihn. Seit langem hatte ich mich nicht mehr so geborgen gefühlt.
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Queen of Scotland
FanfictionWas wäre, wenn man einen Menschen so sehr liebt, dass man alles für ihn täte? Meine Geschichte wurde schon so oft erzählt, aber nie von mir selbst. Es ist das Jahr, in dem die Engländer mich im Kloster fanden!