Der verrückte König

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Auf dem Weg zu meinem Gemach löcherte ich Kenna mit Fragen: "Was genau hat König Henry gesagt? Warum kann man Catherine de Medici nicht trauen? Nun erzähl schon!", drängte ich sie. Aber genau in diesem Moment kam der König höchstpersönlich um die Ecke gerannt und warf sich mir zu Füßen. Was zum ...? "Euer Majestät!", rief ich entsetzt und schaute bestürzt auf den am Boden liegenden König Frankreichs hinab. "Königin Catherine hat ... Es wird eine Königin des ... Ich liebe Rotwild! Es gibt in diesem Land sehr viel davon. Königin Mary von Schottland, Ihr seid wirklich die schönste Frau auf der Welt und ... Es wird wirklich ein Märchen ... Oh nein, tot, tot, tot!", faselte seine allerehrwürdigste Majestät, König Henry aus dem Hause Valois, und vergrub sein Gesicht in meinen Rockfalten. Mit einem angstvollen Schrei ergriff meine Hofdame die Flucht. "Kenna! Wo willst du denn hin? Kenna! Kenna of Kingross, bleib sofort stehen!", befahl ich aufgebracht und erwartete, dass Kenna meinem Wunsch nachkommen würde, aber sie rannte einfach davon. Was sollte das heißen? Ich war immerhin ihre Königin, verdammt nochmal! Sie konnte mich in dieser Situation doch nicht allein lassen! Hastig wich ich vor dem König zurück und floh nun meinerseits. "Mary! Ich liebe Hochzeitstorten und schöne Schmetterlinge!", rief mir seine Majestät, König Henry Valois, verzweifelt nach. Instinktiv drehte ich mich um, weil ich wissen wollte, wie dicht er mir auf den Fersen war. Wieso verhielt sich mein zukünftiger Schwiegervater so seltsam? In meiner Panik hörte ich nicht, wie sich von rechts schnelle Schritte näherten. "Francis!" rief ich überrumpelt, als ich mit voller Wucht mit dem Kronprinzen zusammenprallte, sodass wir beide zu Boden gingen. "Mary, Ich bin Euer Hahn und lege zweiundachtzig Eier für Euch!", trillerte unterdessen sein Vater gespenstisch schrill, und ich wälzte mich schnell von meinem Verlobten herunter, der ziemlich schockiert dreinblickte. "Ich werde ja wohl selbst noch in der Lage sein, aufzustehen!", keifte Francis die Wache an, die hastig vorgetreten war und ihm aufhelfen wollte, und erhob sich rasch. Hektisch blickte Francis sich um, als würde er jemanden suchen. Er wirkte sichtlich überfordert, was ich ihm aber auch nicht verdenken konnte. "Francis, es tut mir so leid! Ich ...", stammelte ich. "Mähhhhhhhhh!", schrie der König Frankreichs aus voller Kehle und riss sich sein weißes Hemd vom Körper. "Henry!", ertönte da plötzlich eine vertraute Stimme, und ich fuhr schnell herum. Mit einem schreckensstarrem Gesichtsausdruck kam Königin Catherine de Medici entschlossenen Schrittes auf uns zu, gefolgt von einem Dutzend ihrer Wachen. "Ich hatte alles unter Kontrolle, Königin der Eifersucht!", wütete Henry. "Ich bin der Löwe, der England und Mary Stewart verschlingt! Allmächtiger Gott, du bist mein Gast hier in Florenz und wirst mich deinen Sohn nennen!" Nach diesen Worten wirbelte der König herum und rannte dann den Korridor hinunter. Mit weit aufgerissenen Augen blickte ich seiner Majestät nach und fragte mich, was in aller Welt hier los war. "Mary, König Henry ist ...", setzte Catherine de Medici an. "Mein Vater hat hin und wieder so seine Angewohnheiten", fiel ihr Francis ins Wort, "aber das ist alles halb so schlimm ... Mary, wieso ruhst du dich nicht etwas aus!", fügte er mit einem steifen Lächeln hinzu und sah sich erneut suchend um. Ich nickte unsicher und ging zögerlich in Richtung meines Gemachs. Dort angekommen, zog ich die Tür hinter mir zu, schloss sie aber nicht ganz. "Mutter! Vielleicht sollten wir ..." "Mein Sohn, ich weiß, du bist wegen Mary Stewart nervös, aber das musst du nicht! Alles wird gut, vertrau mir!", unterbrach Königin Catherine Francis schnell, und dann entfernten sich ihre Schritte. Was hatten die beiden zu verbergen? Und wo steckte bloß meine Hofdame? Ich musste dringend mit jemandem reden. Der König hatte den Verstand verloren ... Ich schüttelte den Kopf. Ich durfte so etwas nicht einmal denken. Plötzlich öffnete sich langsam die Tür zu meinem Gemach - und herein kam Kenna, die mich betreten anblickte. "Wie konntest du nur?", fuhr ich sie an. "Du hast mich da draußen einfach stehen gelassen und ... und ich hätte wirklich deine Unterstützung gebrauchen können!" Mit einem Knall schloss ich die Tür.

"Ich hatte einfach Angst", verteidigte sich Kenna. "Du hast ihn doch jetzt selbst erlebt. Unheimlich, oder? Und so war er auch bei unserer ersten Begegnung. Obwohl", sagte sie nachdenklich. "Am Anfang eigentlich nicht." "Jetzt erzähl schon", drängte ich sie. "Was hat er zu dir gesagt?" Kenna setzte sich langsam in einen Sessel. "Er ließ mich rufen, gleich nach meiner Ankunft. Er meinte, er hätte mich beobachtet, als ich aus der Kutsche stieg, und sei von mir fasziniert." Sie zuckte mit den Schultern. "Ich war geschmeichelt, wie du dir ja vorstellen kannst. Dann meinte er noch, ich sei das schönste Wesen, das er je gesehen hätte. Und er sei so einsam, weil seine Mätresse gerade in Paris weilt. Na ja ... Er hat versucht, mich zu küssen." Entsetzt hielt ich den Atem an. "Ich habe es ihm natürlich verweigert", erklärte Kenna rasch. "Ich bin doch nicht naiv! Ich würde nie meinen guten Ruf ruinieren. Jedenfalls nicht ohne Gegenleistung." Ich warf ihr einen empörten Blick zu, aber sie redete schon weiter. "Nun, irgendwann erzählte er mir dann, dass seine Frau an irgendeine Prophezeiung glauben würde, die mit dir zu tun hat, und dass sie versucht, dich aus dem Weg zu räumen. Und dann fing er an zu gackern wie ein Huhn." Ich schüttelte den Kopf. "Und das glaubst du? Ernsthaft? Du hast doch erlebt, wie er ist. Er hat den Verstand verloren! Was eine Katastrophe ist, das kann ich dir versichern." Kenna verzog das Gesicht. "Ich weiß nicht, Mary, aber er machte eigentlich einen ganz vernünftigen Eindruck. Jedenfalls vor dem Gackern." Plötzlich schwammen ihre Augen in Tränen. "Können wir nicht einfach nach Schottland heimkehren!", meinte sie weinerlich. Jetzt verstand ich wirklich gar nichts mehr. Meine Mutter, Marie de Guise, würde mir die Hölle heiß machen, wenn ich ohne einen Ehegatten zurückkam. Ohne Frankreichs zukünftigen König! "Wir können nicht mehr nach Schottland zurück!", erklärte ich Kenna eindringlich. "Der Ehevertrag zwischen Schottland und Frankreich ist bindend. Ich brauche Francis Valois, damit Mary Tudor mich nicht ermordet. Sie verbrennt sogar ihre eigenen Landsleute, bloß weil sie einen anderen Glauben haben! Das mag dir womöglich gleichgültig sein, aber ich will leben!", rief ich. Meine Stimme war immer lauter geworden und hatte offenbar meine restlichen Hofdamen aus den Nebengemächern aufgescheucht. Die Tür öffnete sich, und Greer, Lola und Elly eilten mit fragenden Mienen in mein Gemach. "Mary hat recht", meinte Lola, nachdem ich ihnen von Kennas Bitte erzählt hatte. "Wir können jetzt nicht mehr zurück! Der Earl of Moray, Marys Halbbruder, verfolgt nur seine eigenen Ziele, und Marie de Guise ... Sie hat Mary am französischen Hof abgesetzt, als sie gerade mal sechs Jahre alt war!" „Aber der König ist verrückt geworden! Wir sind in größter Gefahr!", begehrte Kenna auf. Ich hob die Hand. "Eine Rückkehr nach Schottland kommt nicht in Frage. Jetzt lasst mich allein. Ich muss nachdenken."

Aber das Denken fiel mir ehrlich gesagt schwer; ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte, welches Problem ich mir zuerst vornehmen sollte. Ich wusste nur eins: Ich verspürte nicht das Bedürfnis, mich mit einem gackernden König an den Esstisch zu setzen, deshalb bat ich darum, das Abendessen in meinem Gemach einnehmen zu dürfen. Danach halfen mir meine Hofdamen beim Auskleiden, und ich ging zu Bett. Eigentlich glaubte ich, dass ich sofort in tiefen Schlaf sinken würde, wenn mein Kopf das Kissen berührt, so erschöpft war ich. Aber ich irrte mich. Schlaflos warf ich mich hin und her, bis ich es nicht mehr aushielt. Mit einem Ruck warf ich die Bettdecke von mir, zog meine Schuhe an, legte mir einen Mantel über und schlich mich aus meinem Gemach. Ich brauchte dringend frische Luft.

Queen of ScotlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt