Der Bastard der Königin

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An den Wänden hingen Fackeln in eisernen Haltern und erhellten zusammen mit Kohlenbecken, die an den Weggabelungen aufgestellt waren und in denen Feuer loderten, die Gänge des Schlosses. Keiner der Wachsoldaten hielt mich auf, obwohl mir der eine oder andere verstohlen nachblickte. Es war ein Leichtes für mich, den Weg nach draußen zu finden. Ich hätte mich auch blind in dem riesigen Gemäuer zurechtgefunden: Als wir noch klein waren, hatten Francis und ich jeden Winkel hier erkundet.

Ich gelangte zu einer kleinen Seitenpforte, die selbstverständlich auch bewacht war. Der Soldat zuckte erschrocken zusammen, als ich um die Ecke gerauscht kam, und klappte dann den Oberkörper zu einer tiefen Verbeugung nach unten. „Majestät", flüsterte er. „Schon gut", sagte ich und wedelte mit der Hand, worauf sich der Mann wieder aufrichtete. „Ich will nur ein wenig nach draußen gehen." „Ohne Eskorte?!" Der Soldat klang schockiert. Ich seufzte. Ich hatte vergessen, dass man als Königin in einem Schloss keinen Schritt ohne Begleitung tun darf. Im Kloster war alles einfacher gewesen. „Ich gehe nicht weit, nur bis zum See. Der Mond scheint hell, ihr könnt mich im Auge behalten." Der Mann sah mich zweifelnd an. Ich straffte die Schultern. „Ich wünsche, allein zu sein", erklärte ich in meinem besten Befehlston. Wieder verbeugte er sich, dann öffnete er mir die Tür, und ich trat ins Freie.

Tief atmete ich die kühle Nachtluft ein und schlenderte den Kiesweg zum Seeufer hinunter. Es stimmte zwar, dass Mondlicht das Land überzog, aber kaum war ich ein paar Schritte gegangen, begab ich mich in den Schatten der hoch wachsenden Büsche. Ich wollte ungestört sein. Am Ufer des Sees blieb ich stehen. Eine leichte Brise kräuselte die Wasseroberfläche und ich genoss die Ruhe, die mich umgab. Vielleicht konnten die Dunkelheit und die Stille auch meine Gedanken beruhigen, die sich immer noch überschlugen.

Hinter mir knackte ein trockener Zweig, und ich fuhr herum. Nichts rührte sich. Und dennoch ... Ich hatte das untrügliche Gefühl, dass mich jemand beobachtete. Angestrengt spähte ich in die Schatten – und stieß einen kleinen Entsetzensschrei aus, als ich eine Berührung an der Schulter spürte.

„Schhh! Keine Angst, ich bin's." Auch wenn ich nichts sehen konnte, diese Stimme erkannte ich sofort. „Piero! Was tut Ihr hier?", zischte ich. Er trug einen langen Umhang und hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Als er sie zurückschlug, glänzte das Mondlicht auf seinen goldenen Locken. „Ich wollte nach Euch sehen. Ob es Euch gut geht", meinte er zögerlich. Warum sollte es mir nicht gutgehen?, fragte ich mich verdattert. Dann dachte ich an den Brief – und wurde feuerrot. Als könnte er Gedanken lesen, trat Piero dichter zu mir. „Und? Was haltet Ihr vom Thronfolger? Er hat Euch sicherlich schon längst für sich gewinnen können, nicht wahr?" fragte er in einem beiläufigen Tonfall. Eigentlich wollte ich meine Probleme nicht mit irgendeinem dahergelaufenen Blumenhändler diskutieren, aber vielleicht war es gar keine schlechte Idee, wenn ich mich jemandem anvertraute. Ich hatte allmählich das Gefühl, ich müsste platzen, wenn ich meine Sorgen nicht loswurde. „Francis will mich nicht, das hat er mir unmissverständlich klargemacht. Ich reize ihn einfach nicht, und damit muss ich mich irgendwie arrangieren, aber das sollte nicht Eure Sorge sein." Von dem wahnsinnigen König und der Königin, die mehr als ein Geheimnis hütete, erzählte ich ihm besser nichts. Piero trat noch näher. „Dann ist er ein Narr. Wäre ich an seiner Stelle, würde ich nur Euch gehören", raunte er mit heiserer Stimme dicht neben mir. Ich bekam weiche Knie. Reiß dich zusammen, ermahnte ich mich. „Nun, leider ist dem nicht so! Ich meine, zum Glück seid Ihr nicht der Thronfolger! Ihr nehmt Euch eindeutig zu viel heraus", erwiderte ich hochmütig. „Francis sollte Euch wirklich besser behandeln, sonst braucht er sich nicht zu wundern, wenn Ihr in den Armen eines anderen landet." Ich hörte förmlich das Grinsen in seiner Stimme. „Also wirklich!", empörte ich mich. Doch mit einem einzigen Schritt hatte mein wunderschöner Blumenhändler die Distanz zwischen uns überwunden, nahm mich in die Arme und drückte seine Lippen auf meine. Meine Empörung schmolz dahin und ich ließ mich gegen ihn sinken. Seine Hände wanderten auf meinem Rücken nach unten und pressten mich dicht an sich. Ein Schauder überlief mich. Francis ... ich war vergeben ... Man würde mich vom Hof jagen ... Oder Schlimmeres ...

„Majestät!", hörte ich eine besorgte Stimme ganz in unserer Nähe. Um Gottes willen, der Wachsoldat! Hastig löste sich Piero von mir und verschwand im Gebüsch. „Hier!", sagte ich rau, noch benommen von seinem Kuss, mit seinem Geschmack auf den Lippen ... „Ich bin hier." „Gott sei Dank, Majestät. Ich habe Euch vom Schloss aus nicht mehr gesehen und schon das Schlimmste befürchtet." „Schon gut, mir geht es bestens, vielen Dank. Ich werde wieder zu Bett gehen." Statt Ruhe und Frieden zu finden, war ich aufgewühlter als zuvor. Und Piero mit seinen weichen Lippen und der verführerischen Stimme erwies sich immer mehr als Problem.

„Aufwachen, Schlafmütze!" Mit einem Ruck setzte ich mich auf. Das durfte nicht wahr sein. Da war er schon wieder! In meinem Gemach! Und ich im Bett, nur mit meinem Nachthemd bekleidet. „Was zum ...?" „Aber, aber, bitte nicht fluchen. Ich hatte Sehnsucht und wollte Euch beim Ankleiden helfen." „Seid Ihr völlig von Sinnen?! Was, wenn man Euch hier findet?" Und wie zur Bestätigung meiner Befürchtung klopfte es an die Tür. „Mary, seid Ihr etwa in Gesellschaft eines Mannes?", hörte ich meine zukünftige Schwiegermutter durch die Tür schockiert fragen und dachte unwillkürlich: Jetzt droht mir nicht nur Verbannung. Francis wird mich dafür köpfen lassen! „Nein! Ich ... will mich bei Francis für gestern entschuldigen und ... und ... ich übe ein Gespräch mit ihm. Ihr wisst schon, was ich sage, was er sagt, dann wieder was ich sage ...", faselte ich und schob Piero, der mich schon wieder küssen wollte, energisch von mir. Doch der ließ sich gar nicht beirren und zog mich hinter eine dunkelblaue Trennwand, deren Stoff mit silbernen Lilien bestickt war. Dort kramte er in einer großen, schwarzen Ebenholztruhe, die auf einem kleinen Podest stand und auf deren Deckel das Medici-Wappen prangte. Ich runzelte verwirrt die Stirn und fragte: „Wieso kennt Ihr Euch hier so gut aus?" Der junge Mann zog ein karmesinrotes Samtkleid aus der Truhe und hielt es mir mit einem prüfenden Blick an den Körper. „Das ist eine längere Geschichte, die ich Euch ein andermal erzähle", murmelte er leise und nickte dann zufrieden. „Das ist das richtige für Euch, meine Königin!"

Ich konnte es nicht fassen, dass ich mich von einem Blumenhändler, der sich schon wieder ins königliche Schloss geschlichen hatte, in Modefragen beraten ließ! „Mary, Francis wartet!", meinte Catherines Stimme ungeduldig und der Blumenhändler unterdrückte ein entnervtes Aufstöhnen, ehe er mir das Kleid reichte, das ich mir überstreifte. „Ich kann kaum atmen!", keuchte ich, als er mich eingeschnürt hatte und vor mich trat. Piero nickte und verzog gequält das Gesicht, ehe er betrübt zurückgab: „Gott, ich weiß! Es ist manchmal wahrhaftig ein Fluch, eine Frau zu sein. Meine kleine Schwester hielt mir und meinem Halbbruder immer Vorträge darüber, wie schwer es Frauen doch haben. Sie ist jetzt mit einem portugiesischen Lord verheiratet und langweilt sich wahrscheinlich zu Tode, arme Claude!" Ich kannte diesen Namen irgendwoher, doch ich konnte ihn nicht einordnen. „Schuhe!", rief der Blumenhändler urplötzlich und schlug sich dann mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Ich habe doch gerade eine Männerstimme gehört! Was ist denn in Eurem Gemach los, Mary?", fragte Königin Catherine mit einem kleinen Anflug von Hysterie in der Stimme. „Ich ... Ich hatte gerade irgendetwas in meinem Hals, und währenddessen fiel mir ein, dass ich noch keine Schuhe angezogen habe!", gab ich hastig zurück und kniff instinktiv die Augen zusammen, weil ich schon mal besser gelogen hatte. „Ich will jetzt sofort wissen, wie ihr Euch hier einfach so hereinschleichen könnt, ohne dass man Euch einen Kopf kürzer macht!", fauchte ich leise und machte einen drohenden Schritt auf Piero zu. Der zögerte kurz. „Nun gut, ich werde es Euch sagen: Ich bin der Bastard von Catherine de Medici. König Henry kann mich nicht besonders gut leiden, deshalb halte ich mich meistens im Hintergrund." Mit großen Augen schaute ich ihn an. „Aber ... Ihr seid ein Blumenhändler ..." „Mary, Francis verlangt Eure Anwesenheit!", schrillte Catherines Stimme von draußen. „Ich erkläre Euch später alles, versprochen", sagte Piero leise. „Aber ich muss Euch warnen, Mary: Trinkt nicht den Wein, den König Henry Euch anbietet!"

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 30, 2021 ⏰

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