Geheimnisse

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Eine von Catherine de Medicis Wachen geleitete mich zum Thronsaal, wo die Königin von Frankreich auf ihrem Thron saß und nervös mit dem Diamantencollier um ihren Hals spielte. Ich konnte mich noch aus den Kindertagen, die ich am französischen Hof verbracht hatte, daran erinnern, dass Catherine de Medici vor nichts Angst hatte. Was war geschehen?

"Mary!", rief Catherine, als ich mich näherte. "Danke, das wäre dann alles", sagte sie zu dem Wachmann und schickte ihn mit einer grazilen Handbewegung aus dem Saal. Ich versank in einem anmutigen Knicks und sagte: "Euer Majestät, Königin Catherine! Ihr ließet nach mir schicken." Daraufhin lächelte sie nervös, erhob sich von ihrem Thron und führte mich zu einem kleinen Tisch mit zwei Stühlen, der überreich mit Leckereien und rubinrotem Wein in einer Kristallkaraffe gedeckt war. Wortlos bedeutete sie mir, ich solle mich setzen. Ich tat, was die Königin von mir wollte, und nahm ihr gegenüber Platz. Hungrig griff ich zu und nahm mir einen Granatapfel, in den ich herzhaft hineinbiss. "Ich wollte mit dir reden", setzte Königin Catherine an. „Francis, er ... Es ist etwas Schreckliches passiert. Ich hätte es ahnen müssen!", stammelte sie und ballte die Fäuste. Meine Kehle wurde bei ihren Worten ganz eng. Catherine hatte nun wirklich meine ungeteilte Aufmerksamkeit. "Euer Majestät! Bitte sagt mir, was mit Francis los ist. Ich meine, liegt es daran, dass ich mich nicht so verhalten habe, wie es die Etikette vorschreibt?", rief ich und versuchte, meine Stimme im Zaum zu halten. Die Herrscherin Frankreichs sprang plötzlich auf und fuhr sich verzweifelt mit beiden Händen übers Antlitz, bevor sie den Kopf schüttelte und flüsterte: "Francis ist so jung, und ich wusste, dass das irgendwann passieren würde. Mary Tudor ist ein Ungeheuer und hat ..." Abrupt brach sie ab und atmete zitternd aus. Ich stand auf, ging zu ihr und berührte zögerlich Catherines Hände, die sie jetzt ineinander verschränkt hatte. "Aber bitte vergib mir meine Unhöflichkeit", wechselte die Königin das Thema. "Wir haben vom Anschlag auf das Kloster selbstverständlich Kunde bekommen! Sag, geht es dir auch wirklich gut? Wie konntest du so schnell aus England fliehen?", fragte mich die französische Königin, und ich erzählte ihr die Kurzfassung von dem Überfall auf das Kloster und meiner Flucht nach Frankreich. Sie schwieg eine Weile geistesabwesend. "Er wollte nicht gehen", ergriff sie dann wieder gedankenverloren das Wort, "und hat behauptet, sein Leben würde weniger bedeuten als das von Henry!" Die Königin, meine zukünftige Schwiegermutter, wandte den Blick ab. "Das Leben des Königs? Ich verstehe nicht ... Catherine, bitte sagt mir, was mit Francis ist!", fragte ich verzweifelt und bemühte mich um Fassung. "Es gab ...", stammelte sie. "Da war dieser Mann ... Ein Mordanschlag ... Ich hatte keine andere Wahl, als ..."

"Mary! Da bist du ja! Wir wollen draußen etwas lesen!" Kenna eilte in den Thronsaal, und ich sah erschrocken auf. Sie trug ein violettes, langärmeliges Kleid, das am hochgeschlossenen Kragen mit winzigen Diamanten verziert war. "Kenna, ich ...", begann ich empört und wollte ihr klarmachen, dass ich momentan keine Lust hatte, etwas zu lesen, aber Catherine de Medici fiel mir hastig ins Wort. "Wir waren ohnehin mit unserer Unterhaltung fertig, Lady Kenna!" Nein, das waren wir nicht, aber ich spürte, dass es sich die Königin anders überlegt hatte. Aus ihr würde ich nichts mehr herausbekommen. Leise seufzend erhob ich mich und knickste leicht vor Königin Catherine. "Majestät, es war mir eine große Ehre, dass ich mit Euch speisen durfte", meinte ich freundlich und zog meine Hofdame schnell mit mir aus dem Thronsaal.

"Mary, du kannst der Königin nicht trauen!", flüsterte mir Kenna eindringlich zu, als wir durch die Gänge des Schlosses gingen. "Was meinst du damit? Und übrigens: Ich habe im Moment wirklich andere Sorgen, als ... zu lesen!", fauchte ich aufgebracht. Ich wusste, dass Catherine de Medici mir etwas verheimlichte. "Kenna, Königin Catherine hat mich zu sich gerufen, um mir etwas von höchster Wichtigkeit zu erzählen. Etwas, das mit Francis zu tun hat ... Und ich hätte womöglich noch mehr erfahren, wärst du nicht in den Thronsaal hereingeplatzt ..." "Der König hat mich gleich nach meiner Ankunft vor zwei Tagen zu sich gerufen", fiel mir Kenna ins Wort. "Er hat mir gesagt, Catherine de Medici wäre eine hinterhältige Schlange und man könnte ihr nicht trauen!" Der König? König Henry Valois, der hinter jedem Rock her war, der ihm in den Weg kam? Und Kenna war bei ihm gewesen? "Vor zwei Tagen schon? Und, du bist nicht auf den Gedanken gekommen, dies deiner Königin sofort zu berichten? Ach, und Kenna, ich kann es nicht ausstehen, wenn man mich mitten im Satz unterbricht!", erklärte ich gereizt und funkelte meine Hofdame an. "Ach, Marie, du hattest doch auch so schon genug um die Ohren, und Marie de Guise hat uns allen, bevor wir nach Frankreich kamen, aufgetragen, dich zu schonen und vor allen Schwierigkeiten zu bewahren. Sie sagte, du sollst ein unbeschwertes Leben führen!", gab Kenna zurück. Ich starrte sie fassungslos an. Ein unbeschwertes Leben? Wie sollte das funktionieren? "Was soll das heißen, Kenna?", fragte ich und musste meine Stimme im Zaum halten, denn schon wieder kochte ich vor Zorn. Ich musste dringend mein hitziges Temperament zügeln, dachte ich, wenn ich eines Tages die Gemahlin von Francis Valois und Königin von Frankreich werden wollte. "Was hat der König dir gesagt?" Ich hoffte sehr, dass es etwas Wichtiges war, denn diese Unterhaltung mit Catherine de Medici eben war sehr interessant gewesen. "Nun", setzte Kenna an. "Er sagte ..." Doch in diesem Moment hörte ich eine laute, wütende Stimme.

"Du bist einfach zu jung, und ich war ein Narr, dass ich diesem Plan zugestimmt habe!" Ich schaute mich um und bemerkte, dass die Tür zur Schlossbibliothek ganz in der Nähe einen Spalt offenstand. Ich wusste, ich sollte nicht lauschen, aber ... diese Stimme ... War das Piero? "Mary!" flüsterte Kenna ungeduldig und wollte mich weiterziehen. "Was ich dir zu sagen habe, kann nicht warten." Ich schüttelte den Kopf und machte mich schnell von ihr los. "Dein Leben ist viel bedeutender als meins ... Es geht nun mal nicht anders, aber ich ...", ertönte es aus der Bibliothek. "Still, da ist jemand!" Ich glaubte, die Stimme von Pieros Bruder Bash zu erkennen. Entschlossen trat ich näher. Doch in diesem Moment kam ein bulliger Wachsoldat aus der Bibliothek und versperrte mir den Weg. "Verzeiht, Majestät", sagte er mit tiefer Stimme. "Hier dürft Ihr nicht hinein." "Wieso nicht?", verlangte ich zu wissen. "Befehl der Königin", lautete die Antwort. "Aber ich will ..." "Tut mir leid, Befehl ist Befehl", wiegelte der Wachsoldat ab. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte mit dem Fuß aufgestampft. Wutschnaubend wandte ich mich ab und zog Kenna mit mir. Ich darf nicht? Na, das wollen wir doch mal sehen, dachte ich. Meine Abenteuerlust war geweckt.

Queen of ScotlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt