Ich weiß, dass ich mich hätte wundern sollen, wie zwei einfache Blumenhändler zu so edlen Pferden kamen. Und ich hätte mich wohl auch nicht so blind einem Wildfremden anvertrauen dürfen. Aber ich war so müde und ausgelaugt, dass ich an die Pferde keinen Gedanken verschwendete. Und was den fremden Mann betraf ... Aus irgendeinem Grund vertraute ich ihm, als wäre er mein engster Freund.
An den jungen Mann gelehnt, der sich mir als Piero Francesco Savialti vorgestellt hatte, fielen mir immer wieder die Augen zu. Als wir das eindrucksvolle, riesige Schloss erreichten, von dessen Zinnen blaue Banner mit der goldenen Lilie im Wind flatterten, dem Königswappen der Valois, stieg Piero ab und hob mich vom Pferd. Ich versuchte mich an einem Lächeln, aber die Angst vor dem, was kam, war mit einem Mal so groß geworden, dass ich es nur schaffte, meine Mundwinkel zu dem winzigen Ansatz eines Lächelns zu heben. Piero lächelte mich beinahe zärtlich an und flüsterte: "Bitte vergebt mir, meine Königin!" Ich wusste beim besten Willen nicht, was ich ihm verzeihen sollte, aber ... Und dann lagen seine Lippen urplötzlich auf meinen. Ich hätte ihn sofort wegstoßen und ihm eine saftige Ohrfeige verpassen sollen, aber stattdessen öffnete ich mit einem erwartungsvollen Aufstöhnen den Mund und erwiderte seinen verlockenden Kuss. Genauso hatte ich mir meinen ersten Kuss immer vorgestellt und meine Augenlider senkten sich ganz von selbst.
"Mary?" erklang da plötzlich eine ungläubige Stimme und ich löste mich hastig aus Pieros Umarmung. "Kenna! Ich ... Du bist bestimmt überrascht, mich hier zu sehen, aber ich musste fliehen, weil die Engländer mich aufgespürt und das Kloster in Schutt und Asche gelegt haben. ... Ja, und dann habe ich in Calais diese freundlichen Blumenhändler getroffen, die mich hierhergebracht haben", meinte ich etwas atemlos, während Piero unmerklich über meinen Rücken strich, was ein wohliges Gefühl in mir auslöste. Kenna blickte mich aus ihren dunkelbraunen Augen so vorwurfsvoll an, dass mir klar wurde, dass ich gerade etwas ganz Dummes getan hatte.
"Es war meine Schuld! Ich habe mir einen Kuss gestohlen, das war unverzeihlich von mir", erklärte Piero schnell und brachte mit einem großen Schritt einen gewissen Abstand zwischen uns. Ich blickte ihn dankbar an, und Kenna sagte langsam: "Nun, dann solltet Ihr und Mary euch jetzt Lebewohl sagen! Die Nachricht von deiner Flucht aus England ist eben am Hof eingetroffen, Mary. Die königliche Familie war in großer Sorge und wird erleichtert sein zu hören, dass du wohlauf bist."
Ich nickte bedauernd und wandte mich an Piero: "Ich kann Euch nicht für die Unannehmlichkeiten, die ich verursacht habe, entlohnen, aber ich werde Francis oder seinen Vater, König Henry, bitten, dies an meiner Stelle zu tun." Der junge Blumenhändler lächelte. "Das ist sehr freundlich, doch ich will kein Gold oder Silber. Das was ich begehre, ist viel kostbarer." Mit einer fließenden Bewegung sank er vor mir auf die Knie. Kenna machte große Augen und schaute dann betont zur Seite. "Ich ... Ihr dürft das nicht!", stammelte ich und schob die plötzliche Hitzewallung auf das milde Wetter, obwohl es heute nicht besonders heiß war. "Warum nicht? Ihr seid nur verlobt, und ich finde euch anziehend, es wäre sinnlos, diese Tatsache zu leugnen. Mary, ich hoffe sehr, dass Euer Gemahl gut auf euch achtet. Ein solches Juwel ist schneller gestohlen, als man denkt!", sagte Piero ernst, beugte sich vor, sodass ihm die schulterlangen Haare vor das Gesicht fielen, und küsste zart meine Hand. In meinem Magen kribbelte es, aber das durfte nicht sein ... Gott, wenn er so weitermachte, würde ich mich tatsächlich in ihn verlieben. Ich zog meine Hand schnell zurück und sah wortlos zu, wie Piero sich auf seinen Hengst schwang. Der Umstand, dass ich ihn nie wiedersehen würde, schnürte mir die Kehle zu. Da warf mir dieser Blumenhändler ein keckes Grinsen zu und sagte: "Ich mag Euch!" Und dann, als hätte er meine Gedanken gelesen, setzte er hinzu: "Keine Sorge, wir sehen uns wieder." Dann gab er seinem Pferd die Sporen und galoppierte davon. Bash folgte ihm.
"Er ist süß!" meinte Kenna, die sich unbemerkt von hinten an mich herangeschlichen hatte. Ich tat so, als wüsste ich nicht, wen meine Freundin, die auch gleichzeitig eine meiner Hofdamen war, meinte, und wechselte schnell das Thema. "Seit wann bist du hier?", fragte ich sie. "Seit zwei Tagen. Deine Mutter hat Gerüchte gehört und wollte dich aus dem Kloster holen und hierherbringen lassen. Aber die Engländer sind ihr zuvorgekommen. Ein Glück, dass du entkommen bist! Wie ist es dir ergangen?" Auf dem Weg zum Thronsaal berichtete ich ihr, was in den letzten beiden Tagen geschehen war, doch dann konnte ich mich nicht mehr beherrschen und stellte die Frage, die mir auf der Seele brannte: "Sag mir, wie sieht Francis heute aus? Ich habe Gerüchte gehört, die sehr schlimme Dinge über ihn behaupteten! Ich ... Ich weiß nicht, was er jetzt von mir hält!", sagte ich und bemühte mich, meine Stimme nicht panisch klingen zu lassen. Kenna seufzte und meinte: "Ich habe ihn nur kurz gesehen. Er wird dich hoffentlich im Schloss begrüßen." Das klang nicht sehr aufmunternd, und ich sehnte mich plötzlich nach dem jungen, hübschen Blumenhändler mit den wunderbar zärtlichen Augen ...
"Mary!!! Du bist da!" Greer, Lola und Elly eilten mir durch den breiten Korridor entgegen. Wir umarmten uns ganz fest, bevor Kenna ihnen erzählte, wieso ich schon hier war. Greer riss bestürzt ihre mintgrünen Augen auf und fragte erschrocken: "Gott, Mary! Geht es dir auch wirklich gut?" Ich lächelte traurig und gab zurück: "Ich bin mir nicht sicher. All die freundlichen Nonnen, die mich aufgezogen haben, sind tot. Mir ist, als hätte ich meine Familie verloren. Aber zum Trauern bleibt später noch Zeit. Jetzt muss ich den Kronprinzen begrüßen." Ich war an erster Stelle Königin und musste mich fügen, auch wenn ich Schreckliches erlebt hatte. Ich senkte den Kopf, weil mir klar war, wie ich aussah. Vielleicht konnte ich mich vorher etwas frischmachen ... Aber da kam uns bereits ein Wachmann entgegen und begleitete uns zum Thronsaal.
"Willkommen Mary Stewart! Wir sind überglücklich, Euch wieder am französischen Hof willkommen zu heißen!", begrüßte mich König Henry, als wir den prächtigen Thronsaal betraten, dessen Wände mit dunkelblauen Fahnen geschmückt waren, die die goldene Lilie Frankreichs trugen, und schenkte mir und meinen Freundinnen ein glückliches Lächeln. Der König von Frankreich war ungefähr Mitte fünfzig und hatte eine Glatze. Er trug eine goldene Krone und seine braunen Augen blitzten fröhlich. Ich versank in einem tiefen Knicks und sagte ehrerbietig: "Majestät, die Freude ist ganz auf meiner Seite!" "Francis müsste auch gleich kommen. Er ist etwas nervös!", meldete sich Catherine de Medici zu Wort, Henrys Gemahlin und Königin von Frankreich, und ich neigte den Kopf. Für Francis war die ganze Sache also auch aufregend, was mich irgendwie beruhigte.
"Henry, bitte beherrsche dich!", raunte Catherine leise, und ich blickte gerade auf, als der König schnell seinen Blick von meiner Hofdame Lady Kenna losriss. Ich wusste, was für ein Mann Henry war. Als wir Kinder waren, hatte Francis mich immer von seinem Vater ferngehalten und schlief ziemlich oft zusammen mit mir in einem Bett. Damals war ich ahnungslos gewesen, aber heute wusste ich, dass Francis mich vor seinem Vater hatte beschützen wollen.
Plötzlich hörte ich Schritte und drehte mich rasch um. "Ich glaube es einfach nicht, dass ich dabei mitmache!", hörte ich Catherine hinter mir leise murmeln. Ich verstand nicht, was sie damit meinte, bekam aber keine Gelegenheit, sie zu fragen, denn in diesem Moment betrat ein blonder junger Mann hocherhobenen Hauptes den Thronsaal und verbeugte sich tief vor mir.
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Queen of Scotland
FanficWas wäre, wenn man einen Menschen so sehr liebt, dass man alles für ihn täte? Meine Geschichte wurde schon so oft erzählt, aber nie von mir selbst. Es ist das Jahr, in dem die Engländer mich im Kloster fanden!