Der Thronfolger

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Nun gut, dachte ich, Francis sah nicht schlecht aus - zumindest war er kein Zwerg, und einen Buckel hatte er auch nicht -, aber ich verglich ihn unwillkürlich mit Piero. Und bei diesem Vergleich schnitt er denkbar schlecht ab. Mit einer steifen Haltung trat er auf mich zu und verneigte sich tief vor mir. "Hallo!", meinte ich leise und knickste vor Frankreichs Thronfolger. Ich wusste selbst, dass diese Begrüßung nicht die richtige war, aber ich konnte nur an Piero und seinen gestohlenen Kuss denken.

"Willkommen Mary, ich freue mich sehr, dich wiederzusehen!", säuselte Francis gelangweilt. Es war nicht zu übersehen, dass ich Francis nicht gefiel. Ich wusste nicht, was ich jetzt sagen sollte, also senkte ich schnell den Blick und versuchte, den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte, hinunterzuschlucken.

"Wir haben uns auf ein sehr gefährliches Spiel eingelassen!", murmelte Catherine de Medici, die ihren Sohn nicht aus den Augen ließ, zu sich selbst. Sprach sie absichtlich in Rätseln? Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Francis zu. Nein, da waren keine Schmetterlinge, die in meinem Bauch wild umherflatterten. Francis betrachtete mich, seufzte ungeduldig, verzog das Gesicht und sagte: "Diese ganze Sache langweilt mich. Ich werde mich jetzt wieder zurückziehen." Er benahm sich nicht wie der zukünftige König von Frankreich, sondern wie ein verzogenes Muttersöhnchen. Alles in mir sträubte sich gegen diesen unsympathischen Typen. "Ich habe mein Leben riskiert, um hierherzukommen! Die Engländer haben das Kloster, in dem ich untergebracht war, bis auf die Grundmauern niedergebrannt! Ich kam mit einem englischen Handelsschiff nach Frankreich und hatte die ganze Zeit panische Angst, dass ich vom Feind entdeckt würde!", brach es mit einem Mal heftig aus mir heraus, und schon wieder war ich den Tränen nahe. Francis zuckte bloß mit den Schultern und gab eisig zurück: "Und warum sollte mich das interessieren? Ich bin schließlich nicht dein Vater!" Ich schnappte erschrocken nach Luft. Elly drehte sich leicht zu Lola um und fragte voller Empörung leise: "Wie kann er sich nur so benehmen? Er spricht immerhin mit der Königin von Schottland!" Sie hatte vollkommen recht, und ihre Worte stachelten meine Wut nur noch an. "Ich bin deine Verlobte und ging buchstäblich durch die Hölle, um zu dir zu kommen!", rief ich hitzig und gab mir gleichzeitig alle Mühe, mein stürmisches Temperament zu zügeln. Eine Königin muss sich in jeder Lebenslage beherrschen. "Ich bin nicht dein Verlobter und ich werde dich nicht heiraten!", eröffnete mir Francis zornig und funkelte mich aus braunen Augen erbost an. "Mein Sohn, das reicht!", befahl Catherine de Medici schroff und erhob sich blitzschnell von ihrem Thron. "Zeige unserem Gast gegenüber gefälligst etwas mehr Respekt." Recht hatte sie! Und noch ehe ich mich bremsen konnte, verpasste ich meinem Zukünftigen eine saftige Ohrfeige. Das war mit Sicherheit der allergrößte Fehler, den ich hätte begehen können! Alle im Thronsaal erstarrten und warteten auf Francis' Reaktion. "Du wirst dich jetzt zurückziehen und erst wieder herauskommen, wenn du gelernt hast, wie man sich hier am Hof dem Thronfolger Frankreichs gegenüber benimmt", zischte der Prinz und wandte sich dann abrupt von mir ab. "Aber ... Das war so nicht geplant!", meldete sich König Henry verdattert zu Wort und seine Frau verdrehte leise seufzend die Augen. "Ganz wie du willst, Francis!", erwiderte ich aufgebracht, wandte mich ruckartig um und verließ mit hoch erhobenem Haupt den Thronsaal.

Meine Hofdamen geleiteten mich zu meinen Gemächern, aber auf dem ganzen Weg dorthin hörte ich kein einziges Wort des Trostes von ihnen. "Ich komme jetzt alleine zu recht, danke!", meinte ich, als wir vor der Tür standen, und bemühte mich, meine Stimme nicht allzu gereizt klingen zu lassen. "Mary, Francis braucht vielleicht nur etwas Zeit, um dich zu mögen!", meinte Lola betreten und sah mich unsicher an. Sie hatte wunderschöne dunkelbraune Haare, die ihr in sanften Wellen über den Rücken flossen, und schokoladenbraune Augen, die ebenso anziehend waren. Ich nickte nur und verschwand dann wortlos in meinem Gemach. Schnell verschloss ich die Tür und lehnte mich dann keuchend mit dem Rücken dagegen. Francis hatte mir gerade deutlich gemacht, dass er sich nicht im Mindesten für mich interessierte, und ich hatte etwas Unverzeihliches getan. Aber er hatte mir ja gar keine Gelegenheit gegeben, ihn für mich zu gewinnen. Vielleicht war ich einfach nicht begehrenswert genug für Frankreichs Thronfolger, und König Henry würde mich wieder nach Schottland zu meiner Mutter und meinem Halbbruder James zurückschicken, der sich seit Jahren gegen eine Ehe zwischen mir und Francis aussprach. Er hielt nichts von Frankreich und den Franzosen und wollte, dass ich in Schottland bliebe. Eine schottische Königin hatte seiner Meinung nach nichts in Frankreich zu suchen.

Langsam drehte ich mich einmal um die eigene Achse und betrachtete das prächtige Gemach, ohne mich an der kostbaren Ausstattung erfreuen zu können – bis mein Blick auf das riesige Himmelbett fiel, auf dessen tiefblauer Decke ein kleiner, versiegelter Brief lag. Mit unsicheren Schritten ging ich zum Bett und hob den Brief auf. Auf der Vorderseite stand nur ein einziges Wort: "Mary", und als ich den Brief umdrehte, erkannte ich das rote Siegel: Es war die französische Lilie, das Zeichen des Königshauses Valois. Hastig brach ich das Siegel auf und entfaltete den Brief.

"Mary,

seit ich Euch zum ersten Mal sah, habe ich immerfort nur Euer wunderschönes Antlitz vor Augen. Ich weiß, Ihr seid mit Francis Valois verlobt, und es ist mir nicht gestattet, die zukünftige Königin von Frankreich auf diese Weise zu begehren, aber ich kann nichts dagegen tun. Ich will mich auf keinen Fall aufdrängen und werde Euch nie wieder belästigen, wenn das Euer Wunsch sein sollte. Ich weiß, dass wir keine gemeinsame Zukunft haben. Aber Ihr sollt wissen, dass ich Euch liebe - viel mehr, als ein Untertan seine zukünftige Königin lieben sollte! Mein Herz gehört Euch."

Völlig benommen setzte ich mich auf die Bettkante. Der Brief war nicht unterschrieben, aber natürlich wusste ich, von wem er stammte. Erst jetzt bemerkte ich die unzähligen Lilien, die in silbernen Vasen in dem gesamten Gemach verteilt standen und einen wundervollen Duft verströmten. Wer hatte sie in mein Gemach gebracht? Es konnte niemand anderes als Piero gewesen sein. Aber wie war er in den Palast gelangt? Und wieso war dieser Brief mit dem französischen Königssiegel versehen? Ich konnte mir einfach keinen Reim darauf machen. Aber eins wusste ich: Mein Herz flog diesem jungen Blumenhändler buchstäblich entgegen. Wenn Francis doch so sein könnte wie er ...

In diesem Moment klopfte es. "Herein", sagte ich. Ein Diener in der königlichen Livree trat ein und verneigte sich. "Majestät, die Königin von Frankreich wünscht Euch zu sehen", erklärte er ehrerbietig, und ich versteckte den Brief hastig unter dem Kopfkissen. "Ich muss mich nur noch schnell umziehen!", rief ich. "Bitte schickt nach meinen Hofdamen, damit sie mir beim Ankleiden helfen." Der Diener verbeugte sich wieder. "Sehr wohl. Aber ich muss Euch warnen: Die Königin wartet nicht gerne." Damit drehte er sich um und verließ mein Gemach. Catherine de Medici, eine der reichsten und mächtigsten Frauen Europas. Was wollte sie von mir? Insgeheim erschauderte ich. Sehnsüchtig strich ich über eine Lilienblüte und drehte mich dann um, als Kenna, Greer, Lola und Elly mein Gemach betraten.

Queen of ScotlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt