Begegnung mit einem Elf - I

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Eingehüllt in einen Mantel grottenschlechter Laune stiefelt Rhys ziellos durch sein Zuhause. Die Burgbewohner machen wohlweislich einen großen Bogen um ihn, selbst die Hunde verkneifen sich eine Begrüßung. Er ist erschöpft und müde und zugleich von einer aufgewühlten Spannung erfüllt, die ihn nicht zur Ruhe kommen lässt. Die erstaunten Blicke bei seiner nicht alleinigen Rückkehr hat er einfach ignoriert und seine seltsame Fracht kurzerhand in den leerstehenden Frauengemächern abgeladen, die einst seine Mutter bewohnte.
Das erstbeste Dienstmädchen, welches ihm über den Weg läuft, verdonnert er dazu, ein Auge auf sein Mitbringsel zu haben und sich um ihr Wohlergehen zu kümmern.

Jetzt muss er sich schleunigst etwas einfallen lassen, um die Anwesenheit der Fremden zu erklären. Auch wenn er niemandem Rechenschaft schuldet, werden doch nervige Fragen aufkommen.

Ganz sicher wird er nichts von seinen stümperhaften Beschwörungsversuchen erzählen oder dass er eine Waldfee in die Burg verschleppt hat.
Bruder Martin müht sich redlich, die Menschen hier von ihrem Aberglauben und den heidnischen Bräuchen abzubringen und mit dem Mönch will er es sich nicht verderben. Er kommt dem, was man einen Freund nennt am nächsten und er wird es Rhys sicher übelnehmen, sollte er von seiner missratenen Nacht-und-Nebel-Aktion erfahren.

Neben der Schmiede steht Owain, sein Hauptmann der Burgwache und blickt neugierig zu ihm herüber. Dem zerzausten dunklen Haarschopf und der verknitterten Kleidung nach zu urteilen, hat auch Owain diese Nacht nicht viel geschlafen. Seine entspannte Haltung und der zufriedene Gesichtsausdruck lassen jedoch darauf schließen, dass seine nächtliche Unternehmung befriedigend erfolgreich verlaufen ist.

Dieser Glückspilz!

Es ist früher Nachmittag, doch nach der langen Nacht herrscht überall schläfrige Behäbigkeit. Aber die Neuigkeit hat anscheinend schon die Runde gemacht und Owain wartet auf die Gelegenheit für ein Schwätzchen. Da Rhys absolut keine Lust auf eine Unterhaltung hat, ändert er seine Richtung.
Gestern noch hat er seinen Leuten ihren Spaß gegönnt. Gestern noch hegte er die Hoffnung, seine Vergangenheit endlich hinter sich zu lassen. Erlösendes Vergessen im betörenden Elfenreich. Gestern.

Heute hat er statt einem neuen Leben ein neues Problem, welches den Berg an Schuld, der auf seine Seele drückt, noch um einen Brocken wachsen lässt. Was für eine vertrackte Situation!

Die seltsame Begegnung mit diesem zauberhaften weiblichen Wesen geht ihm nicht aus dem Kopf. Noch immer spürt er ihre weichen Rundungen in seinen Armen und nimmt ihren lieblichen Duft nach Frühlingsblumen wahr.
Welche Verwüstung hat sie in dieser kurzen Zeit in seinem Inneren angerichtet. So vieles hat er verloren, so vieles versäumt. Rhys erinnert sich an das Sehnen von Leib und Seele nach einer Frau, nach dem Geschmack von süßen Lippen und dem Gefühl seidenweicher Haut, nach geteilter Wärme und weicher Nachgiebigkeit. Ungehalten knurrt er einen ausgeschmückten Fluch. Sein Ruf, der alle Feinde erzittern lässt, hält auch alle anderen Menschen auf Abstand, von dem Zeichen auf seiner Brust ganz abgesehen. Und dieses wilde Begehren, diesen sinnlichen Hunger glaubte er längst seinem Willen unterworfen zu haben.

Er hätte sie einfach am Waldrand liegen lassen sollen, dort, wo sie ihm ohnmächtig vor die Füße gesunken war. Die Geister des Waldes hätten sich schon um eine der ihrigen gekümmert. Kein normaler Mensch besitzt solch funkelndes Haar, mit Goldstaub bepuderte Haut und Fingernägel, die in Regenbogenfarben schimmern. Was soll er nur mit ihr anstellen?

Seine Schritte führen ihn zum Druidenturm, dem ältesten Bauwerk der Burganlage. Dieser Turm stand bereits, als sein Großvater die ehemals hölzernen Palisaden der Umfriedung durch steinerne Mauern ersetzen ließ. Hierher wagen sich die Burgbewohner nur im äußersten Notfall. Lediglich der Mönch und Dafydd, sein kleiner Bruder, interessieren sich für die Geheimnisse des alten Gemäuers.

Rhys steigt die gewundene Treppe nach oben, überwindet die durch Falltüren gesicherten Etagen und verweilt in der Studierkammer, in der sich unzählige Bücher und Schriftrollen in den Regalen entlang der Wände stapeln. Von hier stammen auch die Pergamente, die ihn zu dieser dämlichen Beschwörung verleitet haben. Missmutig zerrt er die Seiten aus seinem Gewand und wirft sie auf den schweren Tisch, der den Platz unter den schmalen Fenstern einnimmt.

Sein Blick gleitet über die gesammelten Schriften. Vielleicht gibt es ja eine Möglichkeit, den ganzen Spuk ungeschehen zu machen. Aber sich durch diese Vielzahl an ungeordneten Werken zu arbeiten, dürfte Jahre dauern.

Eine leise Melodie klingt vom obersten Stockwerk herunter. Rhys stutzt verwundert. Die Harfe seiner Mutter steht dort oben, unbenutzt und verhüllt seit ihrem Tod. Leise steigt er weiter hinauf, durchquert den ehemaligen Wohnraum des verrückten Barden, der hier hauste als Rhys noch ein Kind war und schleicht schließlich die letzte schmale Stiege nach oben.

Ein fremder Bursche sitzt auf dem Fenstersims und lässt die Beine baumeln. Ein spitzes Hütchen mit einem Weidenkätzchenzweig sitzt keck auf seinen Ohren und langes weißblondes Haar fällt ihm über die Schultern auf eine moosgrüne, feinbestickte Tunika. Seine schlanken Finger gleiten über die Saiten des Instrumentes, während er mit geneigtem Kopf und geschlossenen Augen der Melodie lauscht.

Rhys greift nach seinem Kurzschwert, als sich wie von Zauberhand sein Gürtel löst und samt Schwertscheide zu Boden poltert. Der Fremde winkt tadelnd mit seinem Zeigefinger.

»Ts, ts, ts, welch mangelnde Gastlichkeit.« Amethystfarbene Augen richten sich mit einem schalkhaften Glitzern auf Rhys.
Dieser registriert mit wachsender Verwirrung, wie die Saiten der Harfe weiterschwingen und das Spiel fortsetzen, obwohl die Hände dieses seltsamen Kerls das Instrument nicht länger berühren.

»Was willst du hier?«, fragt Rhys misstrauisch.

Der Besucher zieht erstaunt seine feingeschwungenen Augenbrauen nach oben. »Ich dachte, du wolltest etwas«, äußert er mit überheblicher Stimme. »Hast du nicht einen Wunsch geäußert?«

Daraufhin verliert Rhys die Beherrschung. Zornig stürzt er sich auf den Wichtigtuer. Auch ohne Waffen kann er einem Gegner ernsthaften Schaden zufügen.

Doch der Kerl schnippt nur völlig unbeeindruckt mit den Fingern und Rhys erstarrt mitten in der Bewegung. Feiner Rauhreif überzieht den Boden und kriecht ihm über die Haut.

»So wird das aber nichts mit uns beiden«, schmollt der Fremdling und legt eine Hand auf die Harfe, die daraufhin verstummt. »Vielleicht beginnen wir noch mal von vorn.«

Er klatscht in die Hände und ein Bild flimmert zwischen ihnen in der Luft. Eine verhüllte Gestalt ist zu sehen, ein aufflackerndes Lagerfeuer, drei weiße Federn, die kurz aufflammen und als Glutfunken hinweg schweben.

Eisiges Entsetzen greift nach Rhys. Sein Herz rast, während er sich selbst zusieht. Der Dolch blitzt auf, das Blut tropft zischend ins Feuer.
Mit einem Mal löst sich die Starre seines Körpers und er sinkt keuchend auf die Knie. Er kennt Fata Morganas aus der Wüste, doch diese flimmernden Luftspiegelungen sind nichts im Vergleich zu dem Zauber vor seinen Augen.

»Habe ich jetzt deine Aufmerksamkeit?«, fragt der Jüngling spöttisch.

Rhys schafft es stumm zu nicken.

»Fein!« Sein Besucher klatscht erfreut nochmals in die Hände und das Bild zerstiebt in tausend kleine Sternchen. »Dann lass uns beginnen. Du hast es also tatsächlich geschafft, zumindest ansatzweise das Erbe deiner Mutter anzutreten.«

»Du kanntest meine Mutter?« Perplex betrachtet Rhys den Burschen, der nicht älter als zwanzig Jahre scheint.

»Ich kannte alle Priesterinnen von Llŷn«, verkündet sein Gegenüber gönnerhaft und bringt mit einer ausschweifenden Armbewegung die Harfe erneut zum Klingen.

»Wer, zum Teufel, bist du?«, rutscht es Rhys heraus.

»Also bitte! Gerade habe ich dich noch gelobt und schon lässt du mich an deiner Intelligenz zweifeln. Mit dem Teufel habe ich nun wirklich nichts zu tun.« Der Jüngling springt behende von der Fensterbank und schlendert auf Rhys zu.

Die Aura einer uralten Macht wallt auf und lässt Rhys unwillkürlich ein Stück zurückweichen. Unter dem durchdringenden violett-leuchtenden Blick der Kreatur fühlt er sich unbedeutend und hilflos.

›Versuchs nochmal!‹, dröhnt eine herrische Stimme in seinem Kopf.

Elfenzauber - IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt