Tag des Verehrers

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»Im Bogen nach oben, steil wieder hinab, und dann zum Schluss, ein Haken noch muss. Prima!« Ich hocke neben Sion im staubigen Dreck des Burghofes und wuschle ihm liebevoll durch die Haare. »Was fehlt noch?«

»Der Fliegenschiss!«, quietscht es zweistimmig von der Seite.

»Eirlys! Ceridwen!«, schimpfe ich mit erhobenem Zeigefinger. Sion lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und drückt mit seinem kleinen Daumen einen fetten Punkt in den Sand. Genau über den krakeligen Strich in der Mitte seines Namens. Die anderen Kinder sitzen im Halbkreis um uns herum und zeichnen mit ihren Fingern oder kleinen Stöckchen richtige Kunstwerke auf den Boden.

»Fertig!«, ruft Sion stolz. Seine strahlenden Augen bringen mein Innerstes zum Schmelzen. Für die gackernden Mädchen lege ich eine ernste Miene auf. »Nun zu euch beiden! Ich habe ein Huhn, welches in der Woche fünf Eier legt. Wenn ich jetzt vier Hühner halte, was bekomme ich dann?«

Die beiden spitzen die Lippen und ich sehe Ceridwen heimlich an den Fingern abzählen. Eirlys ist schneller. »Pfannkuchen für alle!«, platzt sie mit einer ihrer typischen Antworten heraus.

»Eine hervorragende Idee«, bestätigt eine tiefe Stimme hinter uns. »Ich hoffe, Kuchen tut es auch.« Bruder Martin stellt ein Körbchen mit Moiras kleinen Nussküchlein zwischen die vor Freude kreischenden Kinder auf den Boden.

Nachdem alle kleinen Hände gefüllt sind, nehme ich mir auch ein Stück. »Hm, göttlich«, seufze ich genießerisch. »Ihr seid wahrhaft der Einzige, dem Moira ihre Leckereien außerhalb der Essenszeit überlässt.«

»Äh, nun ja«, räuspert sich der Mönch. »Direkt überlassen hat sie sie mir nicht. Aber die armen Dinger lagen so einsam auf einem riesigen Brett«, er zuckt verlegen mit den Schultern, »und ich weiß doch, dass Euch ein Mittagsmahl fehlt.«

Mir bleibt der letzte Bissen fast im Hals stecken und eilig putze ich verräterische Krümel von meiner Schürze. Besorgt wandern meine Blicke Richtung Küchentrakt. »Was, wenn sie uns erwischt?«, flüstere ich ihm zu.

Er faltet die Hände vor seinem runden Bauch und antwortet mit einem Augenzwinkern: »Dann werden wir wochenlang büßen müssen.«

Nervös schaue ich auf die mampfenden Kinder. Bruder Martin bleibt die Ruhe selbst. »Die Kinder haben sich den Kuchen verdient. Schließlich haben sie im Herbst säckeweise Nüsse gesammelt.«

»Im Gegensatz zu mir«, murmel ich beschämt. An meiner Nutzlosigkeit hat sich nicht viel geändert. Ich helfe hier und da, überall ein bisschen, mehr schlecht als recht und habe das Gefühl, alle sind froh, wenn sie mich und meine Hilfe wieder los sind. Nur die Kinder können nicht genug von meiner Aufmerksamkeit bekommen. Am Anfang habe ich nur den kleinen Geschichten erzählt und Kinderlieder vorgesungen. Mittlerweile schleichen sich immer mehr der größeren dazu. Zum Glück toleriert die Gemeinschaft meine einfachen Beschäftigungsversuche. Mrs. Holyhead, meine alte Lehrerin, würde vielleicht Augen machen, wenn sie wüsste, dass ich sie mal zu einem wirklich guten Zweck imitiere ...

»Aber du warst doch im Herbst noch gar nicht da«, entschuldigt mich Sion ganz selbstverständlich und unterbricht meine abschweifenden Gedanken. Sofort nutzt Eirlys die Gelegenheit, um nachzuhaken. »Was hast du im Herbst gemacht?«, fragt sie neugierig.

Was habe ich letzten Herbst gemacht? Die Erinnerung an mein Leben vor diesem Zeitsprung erscheint mir zunehmend surreal. »Ich war in London. Auf einer Brautmodenmesse.« Oh Schreck, habe ich das jetzt laut gesagt?

Den staunenden Kinder- und Mönchsaugen nach, ja. »Was ist das?«, fragt Ceridwen.

»Das ist eine große Veranstaltung rund um das Thema Hochzeit. Man kann da alles bestaunen und kaufen, was man nie im Leben braucht und eigentlich auch nicht bezahlen kann.«

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