Begegnung mit einem Elf - II

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Mit Wut im Bauch und ein wenig Furcht im Herzen begebe ich mich auf Entdeckungstour. Glücklicherweise haben sich wenigstens meine Schuhe wieder angefunden und ich muss nicht barfuss durch die vertrauten und doch so fremden Gänge der Burg marschieren. Mit Eirlys Hilfe habe ich einen der langen Bettvorhänge heruntergezerrt und im Toga-Stil um mich gewickelt. Jetzt werde ich meinen Ritter suchen und zur Rede stellen. Dabei spreche ich mir selbst Mut zu. Kopf hoch, Arwen! Du bist eine Prinzessin ... es ist nur ein Traum ... du bestimmst die Regeln.

Die große Halle betrete ich hocherhobenen Hauptes und mit zusammengebissenen Zähnen. Ohne den einzelnen Menschen, die mit verschiedenen Arbeiten beschäftigt sind, Beachtung zu schenken, schreite ich gemäß meiner Rolle mit zügigem Schritt voran. Grüppchen von erstaunten Bediensteten teilen sich vor mir, wie das Rote Meer vor Moses.

An dem langen Tisch, vor dem mächtigen offenen Kamin, habe ich zwei Männer in edler Kleidung ausgemacht, die sich mit dem Rücken zu mir über irgendwelche Papiere beugen. Ein breitschultriger, dunkler Typ in voller Bewaffnung und der zweite, schlanker, mit blondem, ordentlich zusammengebundenen Haarschopf und golddurchwirktem Umhang. Mein auserwähltes Ziel. Dieser Raubritter! Auch wenn er sich jetzt mit seiner vornehmen Garderobe einen zivilisierten Anstrich gibt, werde ich mich nicht einschüchtern lassen.

»Ich fordere auf der Stelle eine Erklärung und protestiere entschieden gegen meine unwürdige Behandlung!« Selbstbewusst rassle ich meinen wohlüberlegten Text herunter.

Die beiden Männer drehen sich überrascht um und ich blicke in zwei verblüffte, mir völlig unbekannte Gesichter. Na sowas aber auch. Der Blonde ist gar nicht Rhys. Er sieht ihm zwar ähnlich, doch er ist viel jünger, die Gesichtszüge sind weicher und die Iris seiner Augen mehr braun als grün.

»Wer bist du denn?«, blaffe ich ihn entgeistert an. Der Jüngling weicht erschrocken zurück und stößt promt an die Tischkante.

»Und wer will das wissen?«, mischt sich der stämmige Muskelberg ein. Vermutlich die Leibwache.

»Ça n'a pas d'importance«, gebe ich hochmütig näselnd von mir, tue seinen Einwurf mit einer winkenden Handbewegung als unwichtig ab und konzentriere mich voll auf den Jüngeren.

»Je le vois différemment«, brummt der Bewaffnete unbeeindruckt und baut sich breitbeinig vor mir auf.

Ich blinzle erstaunt. Der Muskelprotz kann französisch? Doch dann kommt mir die Erkenntnis. Im England des 12. Jahrhunderts herrschten die Normannen und die kamen bekanntlich aus Frankreich. Die Sprache der Nachbarn zu sprechen macht sich immer gut.

Der jüngere Bursche legt dem aufgebrachten Wächter beschwichtigend die Hand auf den Arm.

»Schon gut, Owain. Mein Name ist Dafydd ap Kynan, Madame. Würdet Ihr uns auch verraten, wer Ihr seid?«

»Ach, es gibt noch mehr von der Sorte?«
Scheiße. Er bringt mich völlig aus dem Konzept. Davon steht nichts in den Chroniken unseres Heimatvereins. Und was soll ich auf seine Frage antworten?
Was soll's, da hilft nur ein Frontalangriff.

»Ich bin Arwen. Blutstochter von Arawn dem Ersten. Und so lasse ich nicht mit mir umspringen. Dies wird schwerwiegende Konsequenzen haben!« So majestätisch wie das in einer Vorhang-Toga möglich ist, strecke ich den Rücken durch und stampfe mit meinem Stiefel auf. Es ist auch nicht direkt geschwindelt. Mein Vater verwendet den Namen des Fürsten der Anderswelt als Künstlerpseudonym.

Die daraufhin eintretende Totenstille wird von einer scharfen Stimme unterbrochen.

»Was zum Teufel, ist denn hier los?«

Alle anwesenden Augenpaare richten sich synchron auf den Neuankömmling.

Da ist es ja. Das eigentliche Objekt meiner Verärgerung.

Elfenzauber - IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt