Kapitel 6

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"Aufwachen du Schlafmütze!", wurde sie unsanft von einer aufgedrehten Kayra geweckt. Flink zog sie ihr die Decke weg. Mühsam schlug Ruby ihre verklebten Augenlieder auf. All ihre Glieder schmerzten und sie konnte sich kaum noch bewegen. Es kam ihr so vor, als hätte sie gerade erst die Augen zugemacht.

"In gewisser Weise stimmt das ja auch", brummte sie zu sich selbst und versuchte irgendwie ihren Körper in die Höhe zu stemmen. "Komm, wir müssen los zum Frühstück!", rief ihre Freundin fröhlich. "Muss das sein", beklagte sich Ruby. Auch wenn ihr Bauch wie wild nach Essen verlangte, hatte sie doch nicht die Energie sich aufzurappeln.

"Ist alles gut?", nun kam Alina vom hinteren Teil des Zeltes angelaufen und musterte sie besorgt. "Sonst bist du doch immer die erste die aufsteht", bemerkte sie misstrauisch. Ihre roten Locken wippten bei ihren Schritten leicht auf und ab und ihre grünen Augen schienen sie mit ihrem Blick zu durchbohren.

"Ist ja gut!", mühsam rappelte Ruby sich auf. Sie hatte echt keine Lust ihren Freunden die Sache mit dem Nebelwolf zu erzählen. Das würde definitiv ihr Geheimnis bleiben. "Geht doch einfach schon mal vor. Ich komme gleich nach", meinte sie einfach nur und stand wie zum Beweis auf, um unter ihrer Pritsche ihre Tageskleidung hervor zu kramen.

"Okay", auch Kayra sah nicht sehr überzeugt von ihrem Auftreten aus, ging aber neben Alina aus dem Zelt hinaus.
Erleichtert seufzend setzte sich Ruby wieder auf ihr Bett. Wie sollte sie diesen Tag nur überstehen?

So schnell wie es in ihrem müden Zustand eben ging, zog sie sich um, hing sich ihr Kampfschwert über die Schulter und trat dann aus dem Zelt. Draußen ging die Sonne gerade auf und vertrieb mühsam die Kälte der Nacht. Die ersten morgendlichen Vögel stimmten in Erwartung eines neuen Tages ein fröhliches Lied an.

Verschlafen bemerkte Ruby, wie weitere Auszubildende gähnend aus ihren Zelten kamen. Auf der einen Hälfte des Kreises, in welchem die Zelte am Rand der Lichtung aufgestellt waren, schliefen die Mädchen, auf der anderen Seite waren die Jungs auf die Zelte verteilt. Langsam trottete Ruby auf dem taufeuchten Gras entlang, bis sie zum großen Essenszelt kam, welches in der Mitte positioniert war.

Schon von draußen ertönten die lauten Stimmen ihrer Mitauszubildenden. Ruby blieb vor dem Eingang stehen. Sie hatte auf einmal gar keine Lust mehr zu ihren Freunden zu gehen. Sie wollte lieber allein sein. Die Vorstellung jetzt bei ihnen zu sein, machte ihr aus unerklärlichen Gründen Angst. Sie konnte gerade einfach keine Gesellschaft ertragen.

Bevor es überhaupt selbst in ihrem Kopf angekommen war, hatte sie schon auf der Stelle kehrt gemacht und war in die entgegengesetzte Richtung gelaufen. Müde aber entschlossen trottete sie durch ein kleines Waldstück, bis sie zu einer Wiese kam. Dort würde die erste Stunde für heute stattfinden.

Vielleicht kann ich ja einfach noch ein wenig für mich selbst trainieren?, fragte Ruby sich selbst, verwarf diesen Gedanken allerdings recht schnell wieder. Ihre Muskeln fühlten sich noch immer viel zu schlapp an und gehorchten ihr nicht richtig. Die Kratzer und blauen Flecken erledigten ihr übriges.

Kaputt und elendig ließ sie sich gegen einen kleinen Baumstumpf sinken und betrachtete ruhig die Landschaft unter sich. Der Hang war nach unten geneigt, aber nicht zu steil. Die saftigen Gräser wiegten sich sanft im Wind und die großen Steine, die überall herumlagen, gaben dem ganzen einen geheimnisvollen Touch.

Ziemlich verschwommen konnte man am Horizont noch die Berge ausmachen. Wie Riesen ragten ihre Spitzen gen Himmel. Unaufhaltsam schienen sie die Wolken aufzuspießen und ließen sich auch vom stärksten Wind nicht stören.

Insgeheim bewunderte Ruby sie dafür. Wie man so stark sein konnte, so beständig und sich von nichts einschüchtern lassen konnte. Dieser Gedanke kam ihr oft, wenn sie auf dieser Wiese war.

SaghoryaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt