Kapitel 8

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Leise duckte sich Ruby zwischen die Büsche. Neben sich spürte sie den warmen Atem Kayras. Aufgeregt wischte sie mit einer Hand ein paar Blätter zur Seite, damit sie nicht knisterten. Flynn legte sich auf ihrer anderen Seite platt auf den Boden und beobachtete durch ein kleines Loch zwischen den Ästen die große Eiche, von der aus sie gestern ihre Jagd begonnen hatten.

Ruby legte sich ebenfalls auf den Bauch, da die Büsche zu niedrig waren, als dass sie sich hätte setzen können, ohne gesehen zu werden. Neun der ursprünglichen 33 Auszubildenden, hatten den Test nicht geschafft und mussten ihn nun wiederholen. Das diese Möglichkeit überhaupt bestand, war geradezu ein Weltwunder, aber Ruby war darüber heilfroh. Sie konnte sich das Leben in der Kriegsschule ohne Alina und Neo nicht mehr vorstellen.

Noch von weitem sah Ruby, wie nervös Alina war. Sie hatte sich mit ihrem Vater nie so wirklich gut verstanden. Wenn sie jetzt versagte, stand ihr weit schlimmeres bevor als den meisten anderen. "Seit wann sind die eigentlich so streng? Sowas haben die doch noch nie getan", fragte Ruby wütend. Normalerweise reichte nicht nur eine schlechte Prüfung, um so ein verhängnisvolles Urteil zu fällen.

Ruby wollte jetzt nicht hier nur untätig rumliegen, sondern ihrer Freundin helfen. "Weiß ich auch nicht. Irgendwas stimmt hier nicht", meinte Kayra düster. In diesem Moment kam Ausbilder Kaigo auf die kleine Gruppe zu und befahl ihnen, sich in einer Reihe aufzustellen. Dann pfefferte er ihnen seine Fragen entgegen.

Ruby hielt ihre beiden Daumen fest gedrückt. Neo und Alina mussten es einfach schaffen. Immer wieder schauten diese hilfesuchend zu ihr, was Ruby nur noch nervöser machte. Krampfhaft suchte sie nach irgendeiner Möglichkeit ihren Freunden zu helfen, fand aber keine.

Langsam erlosch auch das letzte bisschen Tageslicht und ließ die Jugendlichen im Schatten zurück. Ruby, Kayra und Flynn konnten in ihrem Versteck nicht viel hören, weshalb das Ergebnis für sie unentdeckt blieb. Deshalb waren die moralischen Stützen sehr, sehr gespannt, ob ihre Freunde es geschafft hatten. Ruby konnte die Spannung kaum aushalten, während die Zeit immer weiter verstrich.

Sobald der Ausbilder den Platz verlassen hatten, stürmten sie hervor und rannten dabei beinahe ihre erschrocken ausweichenden Mitauszubildenden um. "Tut mir Leid", riefen die drei ihnen im Chor noch halbherzig zu, doch es interessierte sie eigentlich nicht wirklich.

"Und?", sobald sie in Hörweite waren, rief Kayra los. "Wir haben bestanden!", kam sofort das Jubelgeschrei der beiden zurück. "Super!", Ruby fiel ihren Freunden in die Arme. Das war gerade nochmal gut gegangen. Auch Flynn - der sonst eher nicht so der Typ dafür war - und Kayra umarmten Neo und Alina. Sie waren die einzigen, die sich jetzt noch in dem dunklen Wald befanden.

Als die Euphorie ein wenig nachließ, schlug Flynn vor, langsam zurückzugehen. Die anderen stimmten sofort mit ein, doch Ruby hielt sich zurück. Irgendetwas stimmte hier nicht. Nervös schaute sie sich um. Sie hatte irgendwie das Gefühl beobachtet zu werden. Doch sie sah niemanden. Die kleinen Härchen an ihren Armen, begannen sich aufzustellen und all ihre Instinkte rieten ihr, so schnell wie möglich wegzulaufen. Womöglich wieder der Nebelwolf?

Ruby zuckte unwillkürlich zusammen, aber insgeheim wusste sie, dass es nicht so war. Es war ein Mensch. Dessen war sie sich so sicher, dass es schon fast unheimlich war. Zweifelnd blickte sie sich noch einmal wachsam um, sah aber noch immer niemanden.

Ihre Freunde waren schon längst ein paar Schritte voraus gelaufen und unterhielten sich über die Fragen, die der Ausbilder ihnen gestellt hatte. Unentschlossen blieb Ruby stehen. Sollte sie auf ihr Gefühl vertrauen und weiter suchen oder ihren Freunden ins sichere Lager folgen?

Vielleicht konnte sie sie auch überreden ihr zu helfen, aber was, wenn derjenige dann schon weg war? Vielleicht bildete sie sich das alles ja auch nur ein. Zweifel begannen sich in ihr zu regen, aber ihr Instinkt war schon immer richtig gewesen. Sie hatte ihm bisher jedes Mal Vertrauen können.

Eigentlich hatte sie ihre Wahl schon längst getroffen, aber war sich dessen trotzdem nicht sicher. Sie gab sich einen Ruck und ging einen weiteren Schritt auf die mächtige Eiche zu. Ihre Freunde waren schon weit voraus und sie konnte sie nicht mehr sehen. Ruby hörte noch die sich immer weiter entfernenden Stimmen. Dann waren auch diese verschwunden.

Schließlich blendete Ruby alles aus und horchte kurz in ihr Inneres. Es sagte ihr, wo sich der Angreifer befand. Es war beängstigend, dass sie das so genau sagen konnte, aber dennoch, sie konnte es eben. Langsam ging sie ein paar unsichere Schritte von der Eiche weg. Parallel zu dem Baum trat sie tiefer in den Wald hinein.

Automatisch glitt ihre Hand an ihren Rücken. Ihre Finger ertasteten das kühle Metall ihres Schwertes. Beruhigend lag es an ihrer Hand. Flink nahm sie es von ihrer Schulter. Schon spürte sie den ledernen Griff so warm und vertraut wie ihr nichts anderes war. Sofort entspannte sie sich.

Nun ging sie sichereren Schrittes weiter. Mit Waffe fühlte sie sich eindeutig besser. Vor allem, wenn man bedachte in was für Zeiten sie lebte.

Einen Schritt nach dem anderen trat sie mit bloßen Füßen immer näher an den Beobachter heran. Sie achtete auf den unebenen Untergrund. Sie wich möglicherweise knackenden Stöcken aus und vermied es auf knisternde Blätter zu treten. Einzig die weiche Erde berührte ihre Füße und federte ihre Schritte. Ruby war so leise, dass man sie nicht mal erahnen konnte. Kein Ton ging von ihr aus.

Kurz bevor sie einen dicken Baumstamm erreicht hatte, schoss eine komplett in schwarz gehüllte Gestalt dahinter hervor. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, ging sie mit gezücktem Schwert auf sie los.

Erschrocken sprang Ruby einen Schritt zurück, bevor die scharfe Klinge sie treffen konnte. Der Mann sprang ins Leere, schien kurz das Gleichgewicht zu verlieren, fing sich aber schnell wieder.

Langsam vom Schreck erholt, stellte Ruby sich ihm kampfbereit gegenüber. Adrenalin schoss durch ihren Körper und gab ihr die nötige Kraft nicht über Folgen eines Versagens nachzudenken. Blitzschnell parierte sie zwei schnelle Seitenhiebe, bevor sie zu einem eigenen ausholte. Sie achtete nicht auf ihre Überraschung, sondern konzentrierte sich auf den Kampf. Sie hatte Recht gehabt.

Doch ihr Angreifer war wendig. Hatte eine schmale Statur, die es ihm ermöglichte, jedem ihrer Angriffe wie eine Schlange auszuweichen. Er schien ihr immer einen Schritt voraus zu sein. Verunsichert wurde Ruby langsamer und brachte sich ein paar Schritte in Sicherheit, um nachzudenken. Ihr musste etwas unerwartetes einfallen. Etwas brillantes, womit er nie rechnen würde.

Herausfordernd blickte die Gestalt auf sie hinab. Er war mindestens einen Kopf größer als sie, hatte lange Beine, breite Schultern und eine straffe Kampfmontur unter welcher sich alle seine Muskeln abzeichneten. Was leider nicht unbedingt wenige waren.

Er hat zu lange Beine, schoss es ihr durch den Kopf. Und mit diesem Geistesblitz wusste sie, was zu tun war. Unerwartet schnellte sie nach vorne, sprang kurz in die Luft, damit ihr Angreifer dachte, sie würde von oben zuschlagen, landete dann aber kurz vor ihm und ging schnell in die Hocke.

Mit den bloßen Händen zog sie ihm geschickt die Beine unter dem Körper weg, bevor er überhaupt wusste wie ihm geschah. Erschrocken fiel er mit einem dumpfen Aufprall auf den Boden. Triumphierend hockte Ruby sich auf seinen Rücken und hielt ihm ihr Schwert an die Kehle. Ergeben entspannten sich seine Muskeln und er nahm die Kapuze ab. Was darunter zum Vorschein kam verschlug Ruby die Sprache.

SaghoryaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt