Haylee Aufmerksam beobachtete ich das rege Treiben in der Halle. Jede Menge Gauner trieben sich an solchen Orten herum. Woher ich das wusste? Ich war aus demselben Grund wie sie hier. Viele Menschen, Unaufmerksamkeit und viele Brieftaschen. Aus der Ecke der Boxhalle, in welcher heute ein Kampf stattfinden würde scannte ich meine Umgebung. Ein paar wohlhabend aussehende Männer, die in meine Richtung kamen, fielen mir ins Auge. Unauffällig näherte ich mich der Gruppe und rempelte einen im Vorbeigehen an. Um mich vor dem „Hinfallen" zu retten, hielt ich mich an dem Arm meines Gegenübers fest. „Wie ungeschickt von mir! Ich bitte um Verzeihung, Sir, ich habe sie nicht gesehen", entschuldigte ich mich und klimperte unschuldig mit den Wimpern. Ich zog mich wieder auf die Beine und ließ meine Hand unbemerkt in die Manteltaschen des Mannes gleiten. In nur wenigen Sekunden hatte ich die Taschen geleert und näherte mich meinem nächsten Opfer. Diesem stahl ich im Vorbeigehen den Inhalt seiner Taschen.
Mein Raubzug wurde allerdings unterbrochen, da plötzlich der Prinz, dessen Namen ich unglücklicherweise vergessen hatte, mit einer seiner Möchtegern-Prinzesschen hereinspaziert. Den Beiden folgte mindestens ein halbes Dutzend Wachleute, deren aufmerksame Blicke es mir schwer machten, unbemerkt meinen Plan fortzusetzen. Ich zog mich zu meinem Platz zurück und betrachtete missmutig die Menge. Gerade rechtzeitig, denn jetzt begann die Glocke, die den Beginn des Kampfes ankündigte, zu läuten.
Zwei Männer betraten den Ring und der Kampf begann. Desinteressiert gähnte ich. Das Sonnenlicht fiel durch die schmutzigen Fenster und im Schein tanzten winzige Staubkörner. Die abgestandene Luft hing tief über den Menschen, die sich dicht um den Boxring drängten. Mein Blick blieb an einer jungen Frau hängen, die sich bei einem gut gekleideten Mann eingehakt hatte. Ununterbrochen schien sie zu grinsen und dem Mann, den ich als Simon Bassett, anders gesagt den Duke of Hastings, identifizieren konnte, Dinge zuflüsterte. Hin und wieder huschte ihm ein amüsiertes Grinsen über sein Gesicht, welches zu 90% aus Augenbrauen zu bestehen schien. Bei denen scheint es ja ganz gut zu laufen.
Ich strich mir nachdenklich über den braunen Stoff meines Rockes, der mich als Magd oder Bäuerin tarnen sollte. Ich wollte in dieser Stadt eher unbemerkt bleiben, damit ich schnellstmöglich zu meiner Mutter zurückkehren konnte. Im Moment lebte ich nämlich bei meinem Vater und dieser zwang mich an der diesjährigen Ballsaison oder wie das immer heißen mochte, teilzunehmen, um endlich einen Mann an meiner Seite zu haben. Die letzten Jahre hatte ich das vermeiden können, da ich bei meiner Mutter in Spanien gelebt hatte, die das ganze Thema nicht so ernst nahm. Sie lebte seit sie ihren Mann, meinen Vater, verlassen hatte, allein in einem kleinen Dorf in Südspanien. Sie schaffte es mühelos uns beide zu ernähren, also wozu sollte sie mir Druck machen? Meine Einstellung glich ihrer, weshalb ich mich bei den Bällen schnell wieder verdrückt hatte, sobald mich mein Vater dort absetzte. Auch der Königin hatte ich mich nicht vorgestellt, was meinen Vater ziemlich erzürnt hatte, sobald er das herausgefunden hatte.
Ich sah erneut zu dem Mädchen, welches neben dem Duke saß. Ihr freundlicher Blick fand meinen und sie lächelte mir fröhlich zu. Ihr fiel es mit Sicherheit leicht. Hier ein bisschen Lächeln, dort ein bisschen reden. Sie sah aus, als wäre sie es gewöhnt, all dieses Kleidchen-Trallala.
Ich versank in meinen Gedanken und erst das finale Läuten der Glocke, welche diesmal das Ende des Kampfes ankündigte, riss mich aus meinen Träumereien.
Ich stand hastig auf. Im Tumult, der durch den Sieg ausgebrochen war, wäre es mit Sicherheit ein leichtes, jetzt noch ein paar mehr Geldbeutel einzusacken. Die ersten drei hatte ich bereits beim Verlassen meiner Sitzreihe einsacken können, was mich selbstsicher Grinsen ließ. Mein Vater tadelte mich immer, wenn ich diesen Gesichtsausdruck aufsetzte. Er fand dadurch sah ich „böse und ganz und gar nicht Lady-like" aus.
Mir stach die junge Frau von vorhin wieder ins Auge, die keine zwei Meter von mir entfernt stand. Ihre Begleitung begrüßte gerade allem Anschein nach, einen alten Freund. Mir fiel auf, wie sich alles an ihr Anspannte. Ich kam den dreien näher und schnappte ein paar Gesprächsfetzen auf. „... ist meine Schwester, Madelyn Bassett", der Duke wies auf die Frau, die ich für seine Verehrerin gehalten hatte. Im Gesicht des Mannes gegenüber spiegelten sich Überraschung und Schock. Madelyn stand mit dem Rücken zu mir, aber ich war mir sicher, dass sie ähnlich dreinblicken musste. Sie räusperte sich und streckte ihm die Hand entgegen. „Freut mich ihre Bekanntschaft zu machen, Sir", sie neigte ihren Kopf und Sir nahm ihre Hand und gab ihr einen Handkuss darauf.
Ich beschloss den Duke etwas anzurempeln (mal ganz ohne böse Absichten), um den Beiden aus diesem offensichtlich unangenehmen Wiedersehen zu helfen. Ich stolperte nach vorne und schmiss mich förmlich in die Arme des Mannes. „Oh nein, tut mir leid, ich muss wohl gestolpert sein", unschuldig sah ich ihn mit großen Augen an. Er schien meine Masche sofort zu durchschauen, denn er kniff genervt die Augen zusammen. „Soll das eine Anmache sein? Wenn ja, dann ist es eine sehr schlechte" Empört rümpfte ich meine Nase. Als ob ich den anmachen würde. Das wäre die Höhe! Er schien es wohl doch nicht zu durchschaut haben... Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, ihn doch auszurauben. Aber ich hielt meine Finger zurück, denn Madelyn warf mir einen dankbaren Blick zu. Kaum merklich nickte ich ihr zu. „Warum denken sie das? Hat das wohl jemand bei ihnen probiert, Duke?", ich hob einen Mundwinkel an und musterte ihn abschätzig. „Ich denke nicht, dass sie das etwas angeht, wer mich wie anmacht", sagte er spitz. „Also ja", ich schnaubte, „Tja, dann muss ich sie wohl enttäuschen, weil im Gegensatz zu ihren anderen Verehrerinnen, habe ich Geschmack", mit diesen Worten drehte ich mich zum Gehen.
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Twisted Love (Bridgerton ff)
FanficHaylee wünscht sich nichts mehr, als selbstständig zu sein. Aber das ist im 19. Jahrhundert für eine Frau nur schwer möglich. Mit Taschendiebstählen hält sie sich über Wasser und versucht einer kriminellen Bande ihre Dienste anzubieten. Doch ihre Pl...