Kapitel 24

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1 ½ Jahre später

Haylee Schneeflocken tanzten durch die Luft. Der kalte Wind fuhr unter meine Kleidung und ließ mich frösteln. Ich rieb mir über die Arme. In der Spiegelung des Schaufensters, vor dem ich stand, sah ich wie jemand einen Arm um meine Schulter legte. „Ist dir kalt, Haylee?", fragte eine sanfte Stimme neben mir. „William", ich lächelte und sah ihm in die Augen. „Ja, aber es geht schon. Hab schon schlimmeres überlebt", scherzte ich. Ich hatte William vor kurzem auf einem Ball, den Madelyn gegeben hatte, getroffen. Er schien von Anfang an von mir angetan zu sein und da ich bereits Ewigkeiten damit verbracht hatte, Jaden hinterher zu trauern, hatte ich beschlossen neu anzufangen. Mehr oder weniger... Zumindest in Sachen Liebe. Jaden hatte sich kein einziges Mal mehr Blicken lassen. Ich hatte ihn überall gesucht. Und mit überall meine ich auch überall. Ich war sogar in seinem verdammten Gang-Quartier gewesen und hatte mich heiser geschrien.

William lachte: „Ja? Zum Bespiel?", zog er mich auf. Ein verdammtes gebrochenes Herz. Das sagte ich natürlich nicht laut. Ich musste meine Maske aufrechterhalten. Und wenn es das letzte war, das ich tat. Ich kicherte. „Schon klar" und lehnte mich an ihn. Das bist du nicht! Mach dir doch nichts vor!, schrie mich mein Inneres an. Sei still!, riss ich mich zusammen. Bei Jaden musstest du dich nicht verstellen! Schau dich doch mal an!, die fiese kleine Stimme in meinem Kopf war verächtlich geworden. Aber sie hatte recht. Mit jedem einzelnen verdammten Wort. Ich hatte mich verändert- für William. Oder einfach um mein altes Ich, dass ich während meiner Zeit mit Jaden gewesen war, zu verbergen. Ich hatte mich innerlich sowie äußerlich geändert. Ich trug Farben, anstatt immer mein tristes Schwarz. Ich gab mir Mühe, mich ordentlich zu schminken. Hauptsächlich um die dunklen Schatten unter meinen Augen zu verstecken, die vom unruhigen Schlaf und von meinem verdammten, gebrochenen Herzen kamen. In meinem Spiegelbild betrachtete ich meinen Mantel. Er floss sanft über meine Schultern, die Kapuze saß elegant auf meinem Kopf. Meinen üblichen kühlen Blick verbarg ich so gut es ging. Ich hatte mir ein permanentes aufgesetztes Lächeln angewöhnt, welches anfangs so unangenehm war.

William drücke mich an sich und sein warmer Duft umhüllte mich. Er war in so vielen Weisen besser als Jaden. Er war freundlich, er war aufgeschlossen, er schien mich wirklich zu mögen, es schien nicht als hätte er irgendeine Absicht, weswegen er nett zu mir war, er hielt mir Türen auf, schenkte mir wundervolle Blumen, machte mir Komplimente und er war unglaublich hübsch. Alles in einem; der perfekte Mann. Und doch ließ mich der Gedanke an Jaden nicht los. Wieso kannte ich mich nicht einfach in ihn verlieben? War das so schwer?
Nachts fragte ich mich manchmal, was geschehen wäre, wenn ich nicht diese verfluchten Worte benutzt hätte. Wenn er nie gegangen wäre. Wäre er an meiner Seite? Ganz ehrlich? Ich wusste es nicht.

Madelyn Haylee lachte, als sich William an sie drückte. Um ehrlich zu sein, erkannte ich sie fast nicht wieder... Sie hatte sich von einem Tag auf den anderen komplett geändert. Ich vermutete, dass es etwas mit der überstürzten Abreise ihres Prinzen zu tun hatte. Ich hatte sie darauf ansprechen wollen, was geschehen war, aber sie hatte mich abgeblockt. Bei jedem einzelnen und noch so beiläufigen Versuch. Ihre Beharrlichkeit hatte sie nicht abgelegt, aber ob das jetzt gut oder schlecht war, konnte ich nicht sagen. „Sie sieht gequält aus", stellte Anthony neben mir fest. Ich nickte zustimmend. „Er hat sie gebrochen", murmelte ich. Meine Worte auf den Prinzen beziehend. „Ja. Der Prinz hat viel besser zu ihr gepasst als dieser Schnösel da", flüsterte mein Mann. „Vor allem seine Größe ist komisch, sie ist viel größer als er... Und der Prinz sah besser aus", ich verschränkte abschätzig meine Arme vor der Brust. Anthony seufzte tief und blickte um sich. Die Stille lag um uns herum wie ein schweres Tuch. Der Schnee fiel sanft zu Boden. Die kleinen Flocken, die nahe den Straßenlaternen des Weihnachtsmarktes herunter rieselten, leuchteten golden in deren Licht. Ein anhaltendes Gemurmel der Menschen um uns herum war zu vernehmen und immerzu die leisen knirschenden Schritte der Stiefel im Schnee. Ein göttlicher Duft wurde von den Marktständen verströmt, die gebrannte Mandeln, Punsch, Lebkuchen und allerlei andere Gebäcke verkauften. Weit über uns glitzerten die Sterne. Hell und klar, als hätte jemand Diamanten am Firmament verteilt. Keine einzige Wolke war am Himmel zu sehen und dementsprechend war es auch kalt. Kleine Weiße Wölkchen bildeten sich vor den Gesichtern der Menschen, die hier eilig umherliefen. In der Ferne begann leise Weihnachtsmusik zu spielen. Anthony nahm meine Hand und zog mich an ihn, sodass unsere Körper dicht aneinander standen. Seiten warmer Atem strich mir über mein Gesicht, unsere Lippen nur knapp voneinander entfernt. „Anthony...", begann ich, aber ehe ich weiter sprechen konnte legten sich seine Lippen sanft auf meine. Die Worte die ich hatte sagen wollen waren längst vergessen. Meine Knie wurden schwach und ich krallte mich an Anthonys Mantel und in seinem Nacken fest. Mein Herz raste so schnell, dass ich glaubte es würde mir jede Sekunde aus der Brust springen. Ich öffnete meine Lippen ein Stück und seine Zunge fuhr vorsichtig über meine Zähne. Ich stöhnte leise, unser Kuss wurde intensiver. Leidenschaftlicher. Anthony zog mir noch dichter an sich, falls das überhaupt möglich war... Seine Hände auf meinen Hüften fuhren über meine Kurven. Langsam lösten wir uns voneinander. Unser Atem ging schwer. Als hätten wir einen meilenweiten Marathonlauf hinter uns. Die Stimmung wäre perfekt, würde Haylee glücklich sein. Ihr aufgesetztes Lächeln aber, hatte sich in mein Gedächtnis eingebrannt.

Haylee Ich schlug vor, Anthony uns Maddy sollten sich etwas zu essen kaufen. Die beiden schlenderten laut lachend zu einem hübsch geschmückten Stand, der Liebesäpfel zu einem, dem Verkäufer nach, sehr günstigen Preis. Den Gesprächsfetzen nach, die ich mitbekam, bestellten sie den größten und schönsten Apfel, den der Mann zu verkaufen hatte. Maddy zückte ihr Portemonnaie und wollte bezahlen, aber Anthony schlug ihr liebevoll auf die Finger. Er wollte bezahlen. Und das tat er auch. Ich grinste. Vor allem, als ich sah, dass Maddy endlich nicht mehr so schrecklich besorgt aussah. Sie kicherte und Anthony nahm ihr Kinn sanft in seine Hand. Maddy wurde ganz still und ihre Augen immer größer. Der Apfel in ihrer Hand war längst vergessen. Als sie sich dann küssten, sah ich genau, wie die Knie meiner Freundin weich wurden und sie förmlich dahin schmolz. Lächelnd wandte ich mich ab, um ihnen wenigstens ein winzig kleines bisschen mehr Privatsphäre zu gönnen.

Es war schrecklich, dass egal wo ich war, ich immer glaubte, ihn in den Schatten sehen zu können. Als würde mich sein verärgerter Geist verfolgen. Williams Arm lag schwer auf mir, wie eine Last, die mich früher oder später erdrücken würde. Anthony und Maddy hatten sich zu uns gesellt. Ich vermutete, Maddy hatte mein erneutes Unbehagen mitbekommen. Ich sah zu Boden. Ich konnte sie nicht ansehen, denn sie würde genau wissen, was mir durch den Kopf schoss. Leicht hob ich meinen Kopf an und schrie innerlich auf, als ich wieder glaubte, Jaden im Schatten eines Gebäudes stehen zu sehen. Sein stählerner Blick war auf mich fixiert. Ich war überrascht, ich hatte sein Gesicht nicht mehr so klar in Erinnerung gehabt. Das war eigentlich das schmerzhafteste. Ihn langsam zu vergessen. Mitzubekommen, wie seine Gesichtszüge mehr und mehr in meinen Erinnerungen zu verschwimmen begannen. Doch jetzt nicht. Er sah anders aus, als ich in Erinnerung gehabt hatte. Er schien müde, erschöpft und wütend. Konnte es sein...  Wäre es möglich, dass er wirklich hier war?

Nein. Warum sollte er zurückkommen. Warum jetzt? Aber als sich sein kalter Blick auf den Mann neben mir legte, der sich noch immer an mich klammerte, veränderte sich der Ausdruck in seinem Gesicht. Blanker Zorn flackerte in seinen Augen.

Jaden Mein Blick huschte von dem Mann neben Haylee zu Haylee und wieder zurück. Ich hatte große Lust, ihn langsam umzubringen, allein dafür, dass er mein Mädchen auch nur anfasste. Dann starrte Haylee mich an, als würde sie träumen. Nase und Wangen von der Kälte gerötet. Sie sah so aus, als würde sie sich wünschen, das alles hier geschah wirklich. Sie blinzelte, rieb sich die dunklen Augen und schien endlich zu verstehen. Sie machte einen Schritt in meine Richtung, unsicher, ob sie gehen sollte. Aber sie schien schnell ihre Bedenken abzuschütteln. Die anderen drei starrten ihr überrascht hinterher. Nach ein paar zügigen Schritten begann sie zu rennen. Ich öffnete mein Arme und sie schlitterte atemlos auf mich zu. Ohne groß weiter darüber nachzudenken, drückte sie sich fest an mich. Ich spürte die Hitze, die von ihrem Körper ausging. Ich legte meinen Kopf auf ihre Schulter, während sie ihren in meiner Brust verbarg. Nichts auf dieser Welt hatte mir so sehr gefehlt, wie ihre Berührungen. Und wenn sie mich gerade mit einem Dolch bedrohte. Es war mir egal. Solange sie bei mir war, war ich mehr als glücklich. Auf einmal hörte ich, wie sie leise schluchzte, was mich erschreckte. „Was...?", begann ich und hielt sie von mir weg, um ihr Gesicht sehen zu können, aber sie schnitt mir das Wort ab. Wie ich dieses Gesicht vermisst hatte. „Es tut mir so leid! Ich hatte nie die Absicht sie so zu verletzen. Ich meinte das nicht, was ich gesagt habe. Ganz im Gegenteil", sie holte tief Luft. Ich hatte das Gefühl, sie hatte ewig Zeit gehabt, und über die nächsten Worte nachgedacht. Wie genau sie mir sagen sollte, was sie mir sagen wollte. Sie räusperte sich. „Ich l..." Sie musste nicht weiter sprechen damit ich sie verstand. Ich packte ihren Kragen und zog sie ganz nah vor mein Gesicht. „Willst du es, Haylee?", hauchte ich. Ihr übliches, teuflisches Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit und mein Herz begann zu rasen. Es war, als wären wir nie getrennt worden. „Nach was sieht es denn für dich aus?" Ich lachte leise und zog sie endlich ganz zu mir. Unsere Lippen trafen aufeinander. Ihre Berührungen setzten meine Haut in Flammen. Ihre kühlen Finger wanderten unter meine Kleidung und versetzten mir eine ordentliche Gänsehaut. Meine Hände glitten, wie automatisch, über ihre Kurven und ihr entfuhr ein leises Stöhnen. Jetzt war es an mir teuflisch zu grinsen. Ich löste mich unvermittelt von ihr und sie sah mich empört an. Ich schüttelte auf sie herabblickend den Kopf. „Was sollen nur die Leute denken?", ich zog meine Augenbrauen in die Höhe. Doch sie schnaubte. „Es ist mir sowas von egal, was die Leute denken, solange ich bei dir bin", sie lachte, versuchte den Wert der Worte vor mir verbergen. Doch ihre Augen verrieten sie. Sie blickten todernst. Und das war der Moment, in dem ich mein Herz, hätte ich es nicht längst getan, voll und ganz an die kleine Taschendiebin verlor.

Twisted Love (Bridgerton ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt