Der anhängliche Typ

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„Was glauben Sie, was ist Ginger für ein Typ?"

Neil zog seine Augenbraue hoch und sah seine Assistenzärztin fragend an.

„Worauf wollen Sie hinaus, Dr. Browne?"

„Naja...."

Claire wurde ein wenig rot um die Nase.

„Du sagst, es sei Gingers erstes Bier. Jede Frau reagiert anders auf den Alkohol."

Sie waren zusammen in einem Pub etwas trinken gegangen. Melendez, Browne, Park, Reznick, Lim und sogar Shaun hatte sie begleitet. Neil hatte eigentlich nicht vor, mitzukommen. Die anderen hatten jedoch nicht locker gelassen. So hatte er eingewilligt und als Ginger kam, um ihn von der Klinik abzuholen, hatte auch sie sich breitschlagen lassen.
Die Mädels konnten es nicht fassen, dass Ginger außer einem Glas Sekt noch keinen Alkohol angerührt hatte. Jetzt stand Ginger mit einer Flasche Bud Light an einem Tisch und unterhielt sich angeregt mit Shaun Murphy, dem Assistenzarzt, der ebenfalls Autismus hatte.
Melendez schüttelte den Kopf und lachte.

„Ein Bier reicht noch lange nicht aus, um jemanden betrunken zu machen."

„Ich tippe darauf, dass sie eher der anhängliche Typ ist. Oder die Stille. Die schweigende Mauer."

Neil sah zur Seite. Sein Blick war frech.

„Was sind Sie denn für ein Typ, wenn Sie zu viel scheffeln?"

Claire, wohl etwas verwundert über den Wortschatz ihres Vorgesetzten, blinzelte etwas irritiert und verfestigte ihren Griff um das Weinglas in ihrer Hand. Aber sie ging auf das Spiel ein.

„Raten Sie mal, Dr."

Neil grinste schräg.

„Die Freche!"

Sie begannen zu lachen.

Ginger hatte bemerkt, wie sich ihr Freund am Tresen mit Claire amüsierte. Sie war nicht eifersüchtig. Sie kannte dieses Gefühl noch nicht. Im Gegenteil. Sie freute sich und fragte sich, worüber sie wohl lachten. Claire tat Neil gut. Das freute Ginger.

„Wie hast du es eigentlich geschafft, dass Dr. Melendez sich in dich verliebt?"

Shaun hatte seine Hände ineinander verschränkt und sie auf den Tisch gelegt. Er sah aufmerksam zu Ginger herüber.

„Warum willst du das wissen?", stellte Ginger die Gegenfrage.

„Morgan hat mal gesagt, Lea würde mich nicht respektieren sondern nur mit mir zusammen sein, weil sie Mitleid mit mir hätte. Dr. Melendez ist ein sehr arroganter Mensch. Ich glaube, er respektiert Menschen mit Autismus nicht. Du bist nicht überdurchschnittlich attraktiv, daher ist es am wahrscheinlichsten, dass er mit dir zusammen ist aus Mitleid."

Ginger machte große Augen. Diese Aussage hatte sie ja noch nie gehört. Ehrlich gesagt hatte sie sich diese Frage nie gestellt.
Warum war Melendez mit ihr zusammen? Was liebte Melendez an ihr? Ginger kannte das Gefühl von Unsicherheit. Das Gefühl von geringem Selbstwert.
Als sie Neil kennenlernte, war er freundlich und zuvorkommend gewesen. Er war charmant, interessiert, aufmerksam. Aber konnte Murphy wirklich recht haben? Respektierte er sie nicht, weil sie Asperger Autistin war?
Sie sah sich um. Ihr Blick fiel auf Neil und Claire. Sie standen immer noch zusammen und lachten. Dabei sahen sie so locker und glücklich aus. In Gingers Augen war Claire unglaublich hübsch. Sie liebte Claires Augen, ihre Figur, ihre Haare, ihren Hals, ihre Lippen. Eigentlich alles. Claire war in ihren Augen perfekt.
Warum waren sie nicht zusammen? Neil redete manchmal von der Arbeit und er redete auch viel von Claire.
So wie Neil mit Claire lachte, so lachte er nie bei Ginger. Ginger fühlte einen Stich in der Magengrube und nach langer Zeit hatte sie wieder Sehnsucht. Die Sehnsucht danach, normal zu sein. Die Sehnsucht danach, kein Autismus zu haben.

LieblingsmenschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt