"fuck off." » yoonmin [FF]

31.2 Spiegelbild

Triggerwarnung: Selbsthass, sexuelle Misshandlung.

Yoongi kann sich nicht erklären, warum er vorher so eine starke Wut empfunden hat. Das er so reagiert, ist eigentlich ungewöhnlich für den Rosahaarigen. Aber aus irgendeinem Grund ging ihm die ganze Situation nahe.

Er braucht jetzt einfach Zeit für sich - und das Treffen um 11 muss er ausfallen lassen. Schade um das Geld, aber sein Kopf ist gerade überall nur nicht bei der Arbeit.

Was hat ihn nur so verdammt wütend gemacht? War es die Hilflosigkeit? Die Machtlosigkeit? Die Peinlichkeit? Was war es, das ihn so wütend gemacht hat? Dass er erkannt wurde? Dass er sich so verdammt geschämt hat? Dass er diesen scheiß Job überhaupt machen muss? 

Oder vielleicht dass Jimin es mitbekommen hat? Dass Jimin ihn verteidigt hat? Dass Jimin sich für ihn eingesetzt hat?

Was war es?

Yoongi kann es nicht genau deuten, er muss erstmal seinen Kopf frei kriegen. Als er weit genug von der Gruppe entfernt war, bleibt er kurz stehen und zündet sich zum runterkommen eine Zigarette an. Er nimmt seinen ersten Zug und blickt zu seiner Rechten. In der Reflexion des Schaufensters neben ihm erblickt er sein eigenes Spiegelbild. Er erkennt sich fast nicht selbst. Sein Gesicht ist blass, die Augenringe deutlich zu sehen, die rosafarbenen Haare durcheinander - diese scheiß rosafarbenen Haare.

Was ist nur aus mir geworden? Wann hat er den falschen Weg eingeschlagen? Wie kam es nur so weit? Er blickt in sein Spiegelbild und sieht jemand fremdes, jemand der er nie war, jemand der er nicht sein will. Er sieht eine Gestalt - kalt, dreckig, einsam, traurig. So war er nie, das kann nicht er sein. 

Bis vor einem Jahr war er - zwar immer noch eine ruhige Person - doch war er für andere da, hat viel Zeit mit seinen Freunden verbracht, er war aktiv, manchmal auch laut und verspielt. Er hat seine Freizeit genossen, Lieder geschrieben, Musik gemacht, war viel draußen unterwegs. Er hat sich an Gesprächen beteiligt, seine Meinung gesagt, sich zu bestimmten Themen geäußert, er war neugierig, kreativ, lebensfroh. 

Und jetzt, wenn er in den Spiegel blickt sieht er jemanden fremdes, jemanden den er nicht kennt.

Wie kam es dazu? Wie wurde er zu dem, was er jetzt ist? Ab welchen Punkt hat er sich für den falschen Weg entschieden? Wann ging es für ihn bergab?

War es als der Ex-Partner seiner Mutter ihm gegenüber sexuell übergriffig wurde? Als er ihn angefasst hat obwohl Yoongi das nicht wollte? Als er sich so hilflos und schwach gefühlt hat und sich nicht wehren konnte? Kann es sein, dass er seitdem nur das Falsche macht?

Oder kam es vielleicht doch später? Die langen erfolglosen Prozesse gegen den ehemaligen Partner seiner Mutter, die fehlenden Tage in der Schule, die besorgten Anrufe und Nachrichten seiner Freunde, mit denen er bis heute nicht über den Vorfall geredet hat. Die finanzielle Stütze, die dadurch wegbrach, das fehlende Einkommen für die Miete und den Unterhalt. Das heimliche Weinen seiner Mutter, ihre Medikamentensucht, die langen Arbeitszeiten, ihr verzweifeltes Gesicht. Ab wann ging es tatsächlich bergab? Yoongi weiß keine Antwort darauf.

Seine Antwort vor ca. einem Jahr war, trotz seiner schlimmen Erfahrung, sein Geld durch diese Art von Arbeit zu verdienen. Und das ist es, was ihn am meisten ekelt, das er Männern die Möglichkeit bietet, sich an ihm zu vergnügen und dafür Geld zu zahlen.

Es ist so vieles falsch an dem was er tut, wie er sich benimmt, wie er denkt und handelt. Er hasst sich selbst dafür, jeden Tag aufs Neue. Und der Hass, die Einsamkeit, wird Tag von Tag stärker. Es ist kein Wunder, dass er immer genervt ist, allen aus dem Weg geht und mit niemanden über sich und seine Probleme reden möchte.

Es ist kein Wunder, das er derzeit so ist wie er ist. Doch er ist nicht mehr er selbst.

Yoongi wirft die Zigarette, an der er nur einmal gezogen hatte, weg und setzt seinen Weg fort. Als er an einem 24/7 Laden vorbei geht, bleibt er stehen und betretet das leere Geschäft. Sein Weg führt ihn zu einer bestimmten Abteilung. Als er das passende Produkt findet, geht er zur Kasse und legt es auf das Band. 

Die Kassiererin scannt es kurz ein und fragt: "Nur die Haarfarbe?"

"Ja, nur die Haarfarbe."

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