Zanvoort 8

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Die Betthälfte neben mir ist leer. In meiner Seele ist es leer. George scheint sich nach unserem gestrigen Streit bereits früh am Morgen aus dem Staub gemacht zu haben, denn ich höre ihn auch nicht im Badezimmer. Das Ziehen in meiner Brust ist stark, so stark, dass mir bereits die Tränen hochsteigen. Mit einer Hand presse ich mir selbst gegen die Brust, in der Hoffnung, dass ich diesen inneren Schmerz somit bekämpfen kann, Fehlanzeige.

Leider kann ich nicht einfach liegen bleiben und versuchen diese Leere zu verschlafen, denn das Frühstück mit den Mädels steht an, die nichts davon mitbekommen müssen. Würden sie davon Wind bekommen, würde die Situation binnen weniger Stunden total ausarten, so kurz vor einem Rennen kann ich das nicht gebrauchen und George schon gar nicht. Zumindest verspüre ich nicht mehr dauerhaft meinen Rücken sowie die Hüfte, sonst hätte mich heute keiner mehr von dieser Matratze gebracht. Schwermütig hieve ich mich hoch, kralle mich sicherheitshalber immer an einem Mobiliar fest.

Fertig gemacht für den Tag, komme ich beim Frühstück an, die Mädels bereits zusammen auf einem Haufen im Motorhome. "Da bist du ja", Luc ist quietschlebendig, was man von Annas nicht behaupten kann. "Ja, ja, dauert alles ein wenig länger", ich schenke ihr ein schwaches Schmunzeln. "Wie du siehst, Anna hat einen Kater, wie sieht es bei dir aus?", sogleich löchert sie mich mit fragen, was mich nicht wirklich wundert. Sie ist zu einem Arthur mutiert, das kann man ihr nicht verübeln. "Nicht viel, Kopfschmerzen halt", behaupte ich schlichtweg, was sie mir zu glauben scheint. "Ich spüre gar nichts mehr. Liegt vielleicht an Pierres Nähe", gefolgt von einem Kichern schleudert sie mir diese indirekte Ohrfeige entgegen.

Der Schmerz, der dabei aufkommt, droht mich innerlich zu zerfressen. Damit keiner der beiden etwas merkt, atme ich bloß einmal tief durch. "Sicher das alles gut ist?", will Anna wissen, die sich heftig die Stirn massiert. "Klar doch, ich bin heute einfach nicht so in Stimmung", gebe ich zu, was ausnahmsweise nicht einmal eine Lüge ist. "Aber heute ist doch das Rennen! Da muss man gute Laune haben", wirft Luc ein, demonstrativ wirft sie ihre Hände in die Luft. "Schauen wir mal", antworte ich neutral, ernte dafür zwei misstrauische Blicke. "Wie dürfen wir das verstehen?", hackt meine Schwester sofort nach.

"Nichts, was soll man da hineininterpretieren?", frage ich gespielt dumm. "Was ist gewesen mit George?", will Luc seufzend wissen. Natürlich hätte ich auch einfach vorsichtiger sein können, aber nein, jetzt habe ich den Salat. "Nichts war", antworte ich so normal wie möglich, was von Anna mit einem "Ihr habt nicht geredet?", hinterfragt wird. "Er hat gestern schon geschlafen und am Morgen ist er bereits aufgestanden gewesen", diese Halb-Lüge kaufen mir die beiden zumindest ab und geben sich damit zufrieden, weshalb das Thema zur Überschrift "Frühstück" wechselt.

"Das Wetter hier in Zanvoort ist schon Bombe", schwärmt Luc als wir zu dritt oben auf der Terrasse unsere erste Mahlzeit verdrücken. "Habe ich auch mal zu Max gesagt, aber er will in Monaco bleiben", schmollt meine Schwester. Mein Blick gleitet über den Paddock, in der Hoffnung jemanden zu sehen. Doch egal, wohin ich blicke, nirgends ist George auch nur zu erkennen. "Vielleicht ist es besser so", denke ich mir und widme mich meinem Kaffee, der vor sich hin dampft.

"Erde an Grace, wo bist du mit deinen Gedanken?", Anna wedelt vor meinem Gesicht herum als würde ich seit Stunden nicht antworten. "Nirgends, warum?", frage ich sie mit schiefgelegtem Kopf "Was bedrückt dich, spuck es aus. Wir haben über unser Projekt geredet und du hast nicht einmal mit der Wimper gezuckt", mischt sich Luc mit ein, die soeben ihre Tasse geleert hat. "Ach, nur bei George", winke ich lässig ab. "Was meinst du genau?", fragt Anna nach, was ich mit einem "Das von heute Morgen", quittiere.

"Dass er einfach verschwunden ist?", hackt Luc genauer nach, worauf ich bloß nicke. "Vielleicht hatte er viel um die Ohren, oder einen frühen Termin", antwortet diese nachdenklich darauf. "Oder weil du noch geschlafen hast", überlegt Anna laut, doch all diese Antworten klingen nicht plausibel. "Normalerweise weckt er mich immer. Jeden Morgen, egal welcher Tag", seufzend blicke ich in den Himmel hinauf. „Schon komisch, aber ich bin mir sicher, dass es ihm damit genau so schlecht geht wie dir. Veränderungen in einer Beziehung sind nie angenehm", redet die Französin auf mich ein.

Wenn sie wüsste, wie er mit mir umgeht, würde sie das nicht sagen. Doch was hält mich noch bei ihm? Er verhält sich wie ein unreifer Teenager, soviel steht fest "Soll ich die Beziehung beenden?", frage ich mich selbst, aber etwas in mir schreit danach, dass es falsch wäre. Doch weshalb? Weil es eine Veränderung wäre? Oder doch eher, weil es einen Grund dafür gibt? Gibt es nicht für alles einen Grund? "Keine Ahnung, aber ich hoffe, wir finden es bald heraus", gestehe ich den beiden.

"Davon sind wir überzeugt, wie schlagen wir die Zeit bis zum Rennen tot?", wechselt Anna das Thema. Irgendwie erleichtert mich dieser Themen Wechsel, da ich nicht zu einer Lüge gezwungen werden kann. "Uno?", verschwörerisch grinsend zieht Luc den Karton mit den bunten Karten hervor, wir wissen alle, was das zu verheißen mag. "Der, der am öftesten verliert, muss beim nächsten Mal den Alkohol ausgeben", schlägt Ananas vor, wogegen Luc sowie ich nichts einzuwenden haben. "Den wirst du dir also selbst finanzieren, oder wie?", stichle ich ein wenig, was sie mit einem gespielten Schnauben quittiert.

Mit Vic wäre es ja noch einmal lustiger, aber die muss sich ja um die kleine Alex Junior kümmern", seufzt Luc und beißt von ihrem Croissant ab. "Stimmt, sie wird mir abgehen in den nächsten Wochen, aber naja, man kann es sich nicht aussuchen", murmelt Anna, was ich mit einem "Aber sie entschiedet für sich und das Baby, das finde ich schon richtig", quittiere. "Du hast Recht, aber ich bin fertig mit dem Essen. Wie sieht es bei euch aus?", ein breites Grinsen ziert Annas Gesicht. "Gib mir fünf Minuten und du wirst lernen, was es bedeutet zu verlieren", dabei stopft sich die Französin das letzte Stück in den Mund, was ich ihr belustig nachmache. 

Zweifel ohne Grenzen |F1-FF| |George Russell|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt