Baku 3

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Mürrisch beobachte ich die Runden der Fahrer, welche der Reihe nach eingeblendet werden. Die Kommentare der Moderatoren sind einseitig, hauptsächlich auf Max bezogen, der im Moment die Nase vorne hat. Es kotzt mich an, gerne würde ich aufstehen und gehen, aber damit wird es nichts. "George Russell gurkt mit seinem Silberpfeil verdächtig weit hinten. Könnte das das Ende sein und für Verstappen eine baldige Übernahme der Weltmeisterschaf bedeuteten?", will einer der Moderatoren vom anderen wissen. Zu meinem Pech hat er mit seiner Annahme nicht unrecht. Georges Leistungen sind verdächtig lasch seit der Sommerpause, in Brasilien hatte er wieder einmal mehr Glück, dennoch könnten am Ende halbe Punkte entscheidend sein.

Anna neben mir grinst über beide Ohren, was man ihr unter keinen Umständen verübeln kann. Letztes Jahr habe ich mich vermutlich kein Stück besser verhalten. Mit einem Lächeln erinnere ich mich zurück, wie wir uns geküsst haben als er offiziell als Weltmeister aus dem letzten Rennen gestiegen ist. Bei dem Gedanken fliegen die Schmetterlinge wie wild in meinem Bauch, beinahe schmerzvoll. Doch ein befriedigender Schmerz, den ich für nichts auf dieser Welt eintauschen würde. "Was ist los?", will Luc wissen, die mir einen verwunderten blick schenkt. "Nichts, nur Erinnerungen", gestehe ich ihr, was sie mit einem wissenden Grinsen quittiert. Meine Schwester lächelt mich auch an, sie wissen beide Bescheid, dass ich an George denke.

"Was es wohl für ein Gefühl wäre, ihn wieder dort oben zu sehen, mit diesem Strahlen auf den Lippen", denke ich nach, stütze meinen Kopf ab. Derzeit habe ich nicht einmal im Kopf wie es in der WM steht, den Moderatoren höre ich nicht zu, diese haben auch wieder das Thema gewechselt. Gerade unterhalten sie sich über die Reifen-Wahl am Sonntag, die mich bisher noch nie interessiert hat. "Aber du, sag mal, so schlecht war er wirklich schon lange nicht mehr unterwegs", Anna reißt mich aus meiner Blase heraus, wofür ich sie erst einmal komisch ansehe, bevor ich realisiere, wovon sie redet. "Sie hat Recht. Ist etwas passiert, das du uns verschwiegst?", schaltet sich Luc mit ein. Das ist der Startschuss für ein Kreuzverhör, aus dem ich mich höchstens mit einer Schwangerschaft retten könnte.

"Nein, es ist nichts vorgefallen", behaupte ich. Die beiden wissen weder von Totos Angebot noch von seinem Zusammenbruch gestern. "Bist du dir sicher? Man vergisst auch gerne mal etwas, wenn man Grace heißt", strenge Blicke werden mir von beiden Seiten zugeworfen, die mich jedoch kalt lassen. Besser gesagt versuche ich es zu unterdrücken, denn eine Rechtfertigung für diese Lüge lässt sich nicht so eilig finden. "Ja, egal wann ich mit ihm geredet oder nicht geredet habe, es hat sich nichts großartig verändert", rede ich den beiden mit einem Lächeln auf den Lippen ein. "Was heißt nichts großartig verändert?", hackt Anna misstrauisch nach. Innerlich schlage ich mir mit der flachen Hand auf die Stirn, natürlich werden die beiden mir jedes Wort im Mund zweimal umdrehen, ehe sie eine Lösung gefunden haben, die in Wahrheit keine Lösung ist.

"Nun, dass eben nichts passiert ist, was dazu führen könnte. Möglicherweise haben sie nur ein anderes Set-Up ausprobiert und deshalb führt er nicht so prickelnd. Wichtig wird das Qualifying", mit diesen Worten versuche ich die beiden abzuwimmeln. Unruhe breitet sich in mir aus, mein Magen verkrampft sich, das Verlangen mich zu beschäftigen überkommt mich. Würde ich jetzt beginnen, nach meinem Handy zu greifen oder ähnliches, könnten die beiden noch Verdacht schöpfen. "Hoffen wir es mal. Denn so unterirdisch ist selbst ein Maulwurf nicht unterwegs", wirft Luc ein, die bei ihrer eigenen Aussage den Kopf schüttelt.

"Hoffen können wir ja. Aber auch, dass zwischen den zweien nichts mehr passiert", antwortet Anna darauf, was ich so stehenlasse. „Aber die letzten Minuten ziehe ich mir wirklich nicht mehr rein. Ich will nur noch unter die Dusche", wechsle ich das Thema, worauf ich erneut verwundete Blicke kassiere. „Du willst sicher unter die Dusche mit George", scherzt Anna, was ich mit einem „Nicht ganz. Denn ich heiße nicht Anna und mein Freund heißt nicht Max", kontere. Ihre Wangen laufen prompt an, worauf ich bloß die Augenbrauen hebe. „Da habe ich ins Schwarze getroffen", ziehe ich sie auf, während ich von meinem Stuhl aufstehe.

"Halt die klappe Grace", grummelt diese sogleich, kichernd hält sich Luc die Hand vor den Mund. Ihr Versuch nicht aufzufallen scheitert, da ihr meine Schwester sogleich einen tödlichen Blick zuwirft. "Lach du nur", knurrt diese gespielt sauer, verschränkt demonstrativ die Arme vor der Brust. „Huch, da ist jemand untervögelt. Luc, ich wünsche dir viel Spaß dabei, dieses Monster auszuhalten", schiebe ich als Krönung hinterher. "Wie kannst du es wagen!", ruft Anna empört aus, was selbst mich zum Kichern bringt. "Tja, wir sehen uns vielleicht später, viel Spaß noch", ehe eine der beiden reagieren kann, verschwinde ich aus dem Raum.

Auf schnellstem Weg mache ich mich aus dem Staub, hinaus auf den belebten Paddock. Geräuschvoll stoße ich die Türe auf, sogleich streicht mir eine warme Briese um die Nase, was mich einen Moment die Augen schließen lässt. Diesmal muss ich niemanden finden, der mich zum Hotel fährt, denn dieses ist so nahe, dass ich zu Fuß laufen kann, wie ich es bereits in der Früh getan habe. Die Reporter tummeln sich überall, wie Ameisen, nur, dass sie nicht übereinander klettern. Diese Vorstellung lässt mich schmunzeln. Neben dem Gemurmel, ausgelöst von der Masse, höre ich entfernt auch die Motoren aufheulen.

Bevor ich mich dazu entscheide festzuwachsen, setze ich mich in Bewegung. Bereits nach wenigen Metern, in denen ich unter der prallen Sonne laufe, bereue ich es nicht doch auf die Mädels gewartet zu haben, doch einen Rückzieher werde ich nicht machen. Das Shirt klebt wie eine zweite hat, meine Haare sehen aus, wie die von Albert Einstein, dennoch kämpfe ich mich durch den Strom, in Richtung Hotel. "Sobald George im Zimmer ist, kann ich mir meine Dusche abschminken", denke ich mir, lege sogleich einen Gang zu. Schließlich möchte ich mir meine erfrischende Brause nicht wegnehmen lassen von einem Herrn Russell, der dann das Badezimmer blockiert. 

Zweifel ohne Grenzen |F1-FF| |George Russell|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt