Zweifel ohne Grenzen |F1-FF| |George Russell|

Baku 6

Inzwischen läuft das Qualifying, dem ich halbherzig folge. Während Anna ihren Max anhimmelt hat sich Luc in die Ferrari-Garage verzogen, um von dort aus das Geschehen mitzuverfolgen. Gezwungen mir ihrem Kreischen anzuhören, die jedes Mal ausbrechen, wenn ihr Freund eine gute Runde hat, bekomme ich innerlich die Krise. Leider kann ich nicht behaupten, dass ich auf die Toilette muss, da ich vor kurzem erst war. Mein Blick fällt auf die Wasserflasche, die am Tisch steht. Prinzipiell könnte ich sie exen und hoffen, davon auf das WC rennen zu müssen. "Aber dann muss ich aufstehen", dieser Gedanke macht meinen Plan zunichte, denn darauf habe ich noch weniger Lust als auf meine Schwester.

"Die letzten Runden von Q1 sind somit abgeschlossen. Diesmal finden wir unter der Linie Ilott, Schumacher, Ricciardo sowie Tsunoda und Latifi", "Aber Latifi musste seine letzte schnelle Runde abbrechen wegen einem McLaren, der ihm im Weg war", die Kommentatoren beginnen wie so oft ihren Dialog, den ich gerne leiser schalten würde. Gerade möchte ich mir ansehen, auf welchem Platz George soeben steht, da wird die erste Werbung eingeblendet. Es war klar, dass wenn ich mich einmal für die Ränge interessiere, dass ich es verpenne, drauf zu schauen. Dafür könnte ich mir mit der Hand gegen die Stirn schlagen, unterdrücke es jedoch.

"Prinzipiell könnte ich Anna fragen", denke ich mir, schiele zu der Blonden hinüber, die im selben Moment denselben Gedanken hatte. "George fährt gut, willst du mir etwas verraten?", verschwörerisch hebt sie beide Augenbrauen an. "Nein, da gibt es nichts zu erzählen oder sagen. Warum?", will ich von ihr wissen. Nun bin ich diejenige, die beide Augenbrauen anhebt. "George hatte eine gute Runde, eine sehr gute", "Worauf willst du andeuten?", frage ich sie. Ihr Grinsen auf den Lippen ist Antwort genug, dennoch formuliert sie diese aus "Sicher, dass du vorhin mit Lando gequatscht hast und nicht bei George im Drivers-Room warst?"

"Ja, bin ich mir", erneut tische ich ihr eine Lüge auf, zumindest eine halbe. Vorhin habe ich mit George geredet, aber auch mit Lando habe ich mehr als nur blicke ausgetauscht. Da ich aber keine Lust auf Drama habe, verbeiße ich mir meine Gedanken wortwörtlich. "Warum schmerzt es nicht, wenn man sich absichtlich auf die Zunge beißt, sobald es ein Versehen ist, denkt man aber, dass man gleich vor Schmerz verreckt?", schießt es mir durch den Kopf. Länger kann ich jedoch nicht darüber philosophieren, da mir meine Schwester einen kritischen blick zuwirft.

"Du bist echt ein Mysterium. Was ist jetzt eigentlich bei dir uns George? Redet ihr gar nicht mehr oder was passiert da? Euer verhalten ist immer noch seltsam", hackt sie nach, mir ist bewusst, dass ich sie irgendwie abwimmeln muss. Lange kann ich ihnen diese Lügen nicht mehr aufbrummen, so leichtgläubig ist selbst eine Taube nicht. "Nun, ich bin ja viel bei Luc und da hören wir nichts voneinander. Am Wochenende ist es dann oft so, dass wir aneinander vorbeilaufen und die meiste Zeit schweigen wir", das wenigste davon ist tatsächlich gelogen. In Gedanken klopfe ich mir stolz auf die Schulter.

Lange kann ich an diesem Erfolg nicht festhalten, da mich mein Gegenüber beginnt mit Fragen zu löchern. Man könnte denken sie ist ein kleines Kind, das zum ersten Mal einen Winter miterlebt und erklärt haben möchte, warum es schneit. "In den Mist hast du dich selbst reingeritten", ermahne ich mich selbst als ich drohe schnippisch zu werden. Trotz allem schaffe ich es doch sie abzuwimmeln, aber auch das Q2 trägt seinen Part bei. Gebannt beobachtet sie die einzelnen wagen aus der Pitlan rollen, was ich ihr nachmache. "Wer ist dein Favorit für die Pole-Position?", erst jetzt nehme ich wieder die Kommentatoren wahr, die sich vermutlich bereits den Mund fusselig geredet haben.

"Max Verstappen hat sich die Pole geschnappt! Mit nur einem Hundertstel auf Charles Leclerc hat sich der Niederländer durchgesetzt!", ertönt es plötzlich. Erschrocken wirble ich herum, als dann auch noch Anna zu quietschen beginnt, realisiere ich, was passiert ist. Das gesamte Qualifying über habe ich in Gedanken versunken dagesessen, was von der Blonden nicht unterbrochen worden ist. "Aber auch George Russell scheint wieder auf Aufholjagd zu sein, P4 für den Briten im Silberpfeil", bemerkt der andre. Kurz werfe ich einen Blick auf die Rangliste, sogleich hüpft mein Herz ein Stück weit höher.

"Er scheint wieder aufzuwachen, schon in Brasilien hat er wieder auf dem Podest gestanden. Doch auch Max, Norris haben gute Karten für einen Sieg in der WM", mit einem Dauergrinsen höre ich dem Moderator zu, ohne es wirklich zu tun. "Da grinst sie, mhm?", Ananas wackelt verschwörerisch mit den Augenbrauen. "Manchmal frage ich mich ja schon, wie du noch immer solche Gefühle für ihn haben kannst, obwohl ihr derzeit eine wochenlange Beziehungskrise habt", sie schenkt mir ein sanftes Lächeln, ihre Aussage quittiere ich mit einem Schulterzucken.

"Auch wenn ich dir mal geraten habe, die Beziehung zu beenden, wenn ich dich so sehe, denke ich mir immer "Kämpf dafür, egal was ist". Schließlich haben Max und ich nie aufgegeben", plappert sie weiter, doch in Gedanken hänge ich wieder bei George. Es löst ein Kribbeln in meinem Unterleib aus, das die Überhand gewinnt und wie eine Welle durch meine Venen saust. "Was ist dein Plan? Wie wirst du mit euer Beziehung weitergehen?", will sie von mir wissen. Es fühlt sich an, als würde mich jemand ruckartig aus dem Wasser herausziehen, weshalb ich sie im ersten Moment einfach nur ansehe. „Hast du mir zugehört?", will sie amüsiert wissen.

"Ja, ich muss nur kurz nachdenken", gestehe ich ihr, zugegeben, mit dieser Frage hätte ich nicht gerechnet. Normalerwiese redet sie nur von Max, wenn er sich seinen Platz in der ersten Reihe gekrallt hat. "Um ehrlich zu sein, habe ich da keinen Plan. Ich lasse es einfach auf mich zukommen", ich schenke ihr ein aufgesetztes Lächeln, denn innerlich weiß ich genau, an welchen Punkten es scheitert. "Vielleicht gibst du dir ja einen Ruck und kommst auf ihn zu", Anna zwinkert mir zu, ehe sie sich von ihrem Stuhl erhebt. "Naja, ich gehe mal meinem Freund gratulieren, wir sehen uns sicher später noch", mit diesen Worten verschwindet sie grinsend wie ein Honigkuchen-Pferd aus dem Motorhome.