Du würdest das nicht verstehen

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Mit zitternden Händen versuche ich, den Wasserkocher zu befüllen.

Meine Gedanken drehen sich ganz allein um Molly und die Frage, ob ich sie wirklich Einschläfern lassen soll. Ich weiß, dass es vermutlich besser für sie wäre, aber ich kann das einfach nicht. Ich kann doch nicht aktiv dafür sorgen, dass sie stirbt. Das geht nicht.

"Lou? Ist alles okay?"

Ungeschickt werfe ich eine der Tassen von der Ablage, als ich mich erschrocken zu Niall umdrehe. Fluchend bücke ich mich sofort, um die größeren Scherben aufzusammeln. Nialls Blick ignoriere ich dabei. Ich komme einfach nicht mit diesem mitleidigen Gesichtsausdruck klar, den er, seit er hier ist, aufgesetzt hat. Es macht mich kirre. Ich möchte sein Mitleid nicht, das erinnert mich nur daran, dass es Molly beschissen geht.

"Lass es, ich mach das später weg."

Niall kniet gegenüber von mir und greift nach meinen Handgelenken. Er nimmt mir die Scherben ab und legt sie wieder zwischen uns, bevor er aufsteht und mir hoch hilft.

Wieder bemerke ich, dass meine Hände zittern, weshalb ich sie unter meine Oberarme klemme. Niall soll es nicht sehen. Das bringt mir nur wieder einen mitleidigen Blick ein. Er ist sowieso schon besorgt genug um mich, das merke ich wieder mal daran, dass er nicht von meiner Seite weicht, bis ich auf dem Sofa sitze, so als hätte er Angst, ich könnte jeden Moment umkippen.

"Willst du ein Taschentuch?"

"Wofür?"

"Du weinst."

"Einbildung" ,behaupte ich schlichtweg, obwohl klar ist, dass ich über diese Tatsache nicht lügen kann, da der Ire es schon gesehen hat.

Wieder trifft mich ein mitleidiger Blick und ich muss sofort an Molly denken und an ihren Tumor und dass es ihr beschissen geht, aber ich ein zu großer Egoist bin, um sie einfach von ihren Schmerzen zu befreien, weil ich weiß, dass mich ihr Tod psychisch fertig machen würde. Moms habe ich auch nur schwer verkraftet und jetzt soll mir auch noch Molly entrissen werden? Die einzige lebende Verbindung, die mir noch zu meiner Mutter bleibt? Sie wird so oder so bald sterben, warum dann nicht warten, bis es einfach passiert? Einfach der Natur den Lauf der Dinge überlassen?

Warum zählt es schon als Entscheidung, wenn ich einfach nichts mache? Ich möchte mich nicht entscheiden, denn egal, wie ich mich entscheide, Molly ist am Ende tot. Nur in der einen Situation bin ich daran schuld, dass sie stirbt und in der anderen bin ich daran schuld, dass sie Schmerzen erleiden musste.

Niall versteht nicht, dass ich nicht mein Go für das Einschläfern geben kann. Für ihn ist das die einzig richtige Entscheidung. Er versteht es nicht. Er versteht mich nicht. Niall hat kein Haustier, aber er hat einen Bruder. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Niall auch so schnell über das Leben seines Bruders entscheiden könnte. Molly ist für mich Familie. Ich habe zu ihr momentan die stärkste emotionale Bindung. Sie ist nicht nur ein Hund. Sie ist meine Schwester. Sie war überall dabei, bei allen wichtigen Meilensteinen. Molly war immer da, hat mir zugesehen beim Älter werden und war immer mein Fels in der Brandung. Vor allem jetzt, da Mom nicht mehr da ist.

Wer fängt mich auf, wenn Molly nicht mehr da ist? Ich habe niemanden. Gut, Niall, aber der hat seine eigene Familie und ist frisch in einer Beziehung. Er wird nicht immer Zeit für mich haben, was ich auch komplett verstehen kann. Wir sind Freunde, gute Freunde, aber er hat auch sein eigenes Leben, was ich ihm nicht vorwerfen werde.

Es ist nur, ich habe Angst davor, allein zu sein. Allein mit meinen Problemen, allen mit meinen Gedanken, allein mit mir.

"Was hält dich davon ab, sie einzuschläfern?"

Ich weiß, dass er diese Frage ernst meint und mich einfach nur besser verstehen möchte, aber ich bekomme dadurch nur das Gefühl, dass ich das Problem bin. Niemand würde in meiner Situation anders handeln oder zumindest nicht so leichtfertig wie Niall. Jeder hätte Probleme damit, diese Entscheidung zu treffen und dass Niall das noch nicht einmal von sich aus so sieht, lässt mich daran zweifeln, ob ich es ihm überhaupt näher erklären sollte. Er hat es nicht so mit Tieren, er würde sie vermutlich niemals als Familienmitglied betiteln, was wahrscheinlich daran liegt, dass er selbst noch nie ein Haustier hatte.

"Du würdest das nicht verstehen."

"Versuch, es mir zu erklären. Ich verspreche, dass ich mein Bestes geben werde, um dich zu verstehen" ,versichert er mir, weshalb ich mich schließlich überreden lasse.

"Sie ist wie eine Schwester für mich Ni, ich möchte nicht über ihr Leben entscheiden. Woher weiß ich, wie schlimm sie die Schmerzen findet? Vielleicht will sie ja noch weiterleben, woher will ich das wissen? Wie kann ich mir anmaßen, einfach darüber zu entscheiden, wann ihre Zeit hier zu Ende ist. Nehmen wir an, dein Bruder wäre in Mollys Situation und er könnte sich aus irgendeinem Grund nicht mit dir verständigen. Würdest du aktiv etwas dafür tun, dass er stirbt oder würdest du einfach abwarten und dich raushalten?" ,frage ich ernst gemeint und hoffe, dass er mir jetzt nicht ins Gesicht lacht, weil ich Molly mit Greg verglichen habe.

"Ich... ich weiß es nicht" ,antwortet er tatsächlich nachdenklich, was mich etwas besser fühlen lässt. Er wäre auch überfordert, also liegt es nicht an mir.

"Siehst du."

"Aber ich denke, ich würde ihn erlösen. Louis, die Schmerzen, die sie hat, sind nicht aushaltbar, wenn dir ein Tierarzt rät, sie einzuschläfern. Sie hat starke Schmerzen, sie kann doch sogar fast nichts mehr machen außer existieren und schlafen. Selbst essen tut sie ja noch nicht mal mehr. Was ist das für ein Leben? Ich weiß, dass du vermutlich denkst, ich könnte mit Tieren nicht wirklich etwas anfangen, aber Molly ist mir verdammt nochmal auch an Herz gewachsen. Ich kenn' sie seit ich dich kenne, sie ist auch etwas besonderes in meinen Augen. Ich hab mit ihr mal eine Wurst geteilt, okay? Das heißt was bei mir."

Diese Antwort gefällt mir eher weniger. Unzufrieden sehe ich auf meine Hände, die mit der Ecke eines Kissens spielen. Niall lässt sich davon nicht beirren, sondern legt seine Hand auf meine und versucht dadurch, meine Augen wieder auf sich zu lenken.

"Sie hatte eine schönes Leben, ein fantastisches. Jay und du waren die besten Herrchen, die sie sich hätte wünschen können, aber irgendwann kommt alles mal zu einem Ende. Sie wird sterben, so oder so. Denk doch bitte darüber nach, ob du ihr das Ganze nicht erleichtern möchtest. In meinen Augen tust du das Richtige, wenn du sie erlöst, aber ich denke, ich kann jetzt auch verstehen, wenn du es nicht machst."

"Ich denke nochmal darüber nach" ,antworte ich tatsächlich ernst gemeint, was vermutlich daran liegt, dass ich mich zum ersten Mal bei diesem Thema verstanden fühle und ich kann seine Argumentation auch ein wenig verstehen.

Es wäre vermutlich besser, sie zu erlösen, die Frage ist nur, ob ich das kann.

Don't Let It Break Your Heart // LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt