Für Molly

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"Wir wissen beide, warum ich hier bin, Louis. Kann ich rein kommen?"

Überrumpelt lasse ich Robin in meine Wohnung. Es ist etwas ungewöhnlich für ihn, ohne Vorwarnung aufzutauchen, und ich habe nicht wirklich damit gerechnet, ihn Sontag morgens vor meiner Tür stehen zu sehen.

"Willst du einen Tee oder sowas?" ,frage ich müde und werfe meinem Spiegelbild einen kurzen Seitenblick zu, als ich an dem großen Wandspiegel im Flur vorbeilaufe.

Ich sehe absolut beschissen aus. Wundert mich, ehrlich gesagt, nicht. Immer hin lag ich die Nacht wach und habe mich mit der Frage beschäftigt, ob ich Molly nun Einschläfern sollte. Eine Antwort habe ich immer noch nicht.

"Nein, nein, ich bin nur für einen kurzes Gespräch mit dir hier. Anne wollte später noch etwas mit mir unternehmen, weil heute der erste Advent ist" ,winkt Robin lächelnd ab, und sieht sich suchend in meiner Wohnung um.

"Wo ist Molly?"

"In meinem Zimmer. Sie schläft, wie eigentlich immer..."

Die letzten Tage ist es immer schlimmer geworden. Sie hat für nichts mehr Energie und es macht mich innerlich fertig, mitanzusehen, wie langsam das Leben aus ihrem Körper flieht. Von Tag zu Tag geht es ihr schlechter und ich fühle mich so verdammt hilflos, denn die einzige Hilfe, die ich ihr geben kann, ist der Tod.

Und was ist das denn für eine Hilfe?

Robins Lächeln fällt bei meiner Antwort. Räuspernd sieht er zu Boden, bevor er den Blick hebt und einen Schritt auf mich zu kommt. Die selbst gehäckelte Wintermütze hält er in den Händen, um irgendwie mit seiner Unsicherheit umzugehen. Er zögert, stottert und bricht seinen Satz ab, bevor er ihn überhaupt wirklich begonnen hat. Ihm fehlen die Worte.

"Harry hat mir erzählt, dass du nicht wirklich gut auf den Vorschlag reagiert hast, Molly Einschläfern zu lassen."

"Wie soll ich denn bitte reagieren? Hat er Luftsprünge erwartet?" ,frage ich pampig zurück, da sich das gerade wie ein Vorwurf angehört hat. Als wäre es falsch, traurig zu reagieren, wenn der Tierarzt dir sagt, dass dein Familienmitglied einen Tumor hat.

"Nein natürlich nicht. Ich - okay, das war ein blöder Einstieg in das Thema. Ich bin einfach nur hier, um mit dir über Molly zu sprechen, weil mir dieser Hund mittlerweile auch sehr ans Herz gewachsen ist" ,versucht Robin es erneut und macht beschwichtigende Bewegungen mit seinen Händen, während ich ihn stirnrunzelnd ansehe. Er ist hier, um mit mir über Molly zu sprechen? Das kann nur eins bedeuten.

"Also bist du hier, um mich davon zu überzeugen, sie umzubringen?"

"Wir erlösen sie, Louis."

"Benutz keine beschönigten Wörter. Sag doch einfach, wie es ist, wir bringen sie um" ,berichtige ich ihn fast schon sauer, da mich diese alte Leier zur Weißglut bringt. Erlösen. Schwachsinn. Wir lassen zu, dass sie getötet wird.

"Ich benutz keine beschönigten Wörter. Sie hat Schmerzen, starke Schmerzen, oder was glaubst du, wieso sie den ganzen Tag nichts mehr macht? Sie leidet und das wird erst mit ihrem Tod aufhören" ,kommt es klar und deutlich von Robin, der plötzlich einen ganz anderen Ton anschlägt. Er ist nicht mehr unsicher, welche Worte er als nächstes in den Mund nehmen soll, er spricht sie einfach aus, weil er sich nicht mehr zurückhalten kann.

Seine forsche Art tut ihm allerdings sofort wieder leid. Seine Mimik wird weich und ich kann dieses verhasste Gefühl des Mitleids in seinem Augen aufglänzen sehen, als er meine Tränen bemerkt. Es sind nicht viele, nur ein, zwei, die sich den Weg zu meinem Kinn bahnen und ihr Ende auf dem grauen Teppich finden, mit dem mein Wohnzimmer ausgelegt ist.

Robin zögert nicht lange, überbrückt die Distanz zwischen uns und nimmt mich in den Arm. Diese Geste bringt mich noch mehr zum Weinen, da es sich wie eine väterliche Umarmung anfühlt. Geborgen, verstanden und geliebt. Diese Gefühle durchfluten mich, als Robin mich fest an sich drückt und versucht mich zu beruhigen.

"Du leidest doch genauso wie sie. Diese ständige Sorgerei macht dich fertig. Bitte Louis, zieh den Schlussstrich. Und das rate ich dir nicht als dein Tierarzt, sondern als ein guter Freund. Lass sie gehen."

"Ich k-kann nicht - ich" ,stottere ich überfordert gegen seine Schulter. Wie kann er so etwas verlangen? Ich kann sie doch nicht - Ich kann nicht das Okay für ihren Tod geben. Es wäre das Richtige, aber - ich kann sie doch noch nicht gehen lassen. Ich brauche sie bei mir. Genauso sehr, wie ich Mom brauche. Hier bei mir und nicht nur in meinem dummen Herz, das seit einem Jahr nur noch am Ziehen ist, sobald ich an sie denke.

"Was hätte deine Mutter gemacht?" ,fragt er so plötzlich, dass mein ziehendes Herz in meinen Magen rutscht und dort ein riesiges Loch der Leere entstehen lässt.

Es ist klar, was Mom gemacht hätte. Sie hätte noch nicht mal eine Sekunde gezögert und Molly Einschläfern lassen, aber ich bin nicht sie.

Ich bin nicht so stark.

"Sie erlöst" ,antworte ich gebrochen, als ich den Gedanken zum ersten Mal zulasse, es wirklich zu tun.

"Warum kannst du es dann nicht?" ,fragt er vorsichtig und voller Empathie, wie Robin nunmal ist. Er musste schon viele Tiere Einschläfern, unter anderem auch seine eigenen, weshalb wohl niemand den Schmerz besser versteht als er.

"Ich bin nicht so stark wie sie."

"Du bist ihr Sohn und das ist definitiv nicht schwer zu übersehen. Ihr habt beide einen Willen aus Stahl, aber ein Herz aus Gold. Ich bin mir sicher, dass du es schaffst. Tu es für Molly und lass sie endlich zu deiner Mutter."

Ich presse mein Gesicht in seine Schulter, als ich laut aufschluchze.

Meine Gedanken tun mir physisch weh. Ich will es nicht wahr haben. Ich will es nicht, aber ich muss. Ich muss sie Einschläfern. Robin hat Recht. Mit Allem. Sie gehen zu lassen bricht mir mein Herz, aber wenigstens muss sie dann nicht mehr leiden. Ich muss sie gehen lassen.

Zitternd atme ich aus und ein, bevor ich gebrochen und leise mein Einverständnis gebe.

"Für Molly"

Don't Let It Break Your Heart // LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt