Kapitel 15

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Ich drehe mich auf meiner kleinen dünnen Matratze nach links und halte mir ein Kissen über die Ohren. Aber selbst durch das Kissen dringt das Schnarchen viel zu laut zu mir durch. Genervt grolle ich auf und drehe mich wieder auf den Rücken. Ich weiß nicht, wer über mir in dem Bett schläft aber derjenige schnarcht wie eine Kuh. Es ist unerträglich laut, noch dazu bewegt er sich so viel, dass das ganze Bettgestell wackelt.

Gefrustet darüber das ich keinen Schlaf finde, werfe ich irgendwann meine dünne Decke von mir und stehe auf.

Mit müden Augen und schlurfenden Schritten durchquere ich unsere kleine Kajüte und trete hinaus in den Flur. Als ich die Tür hinter mir schließe und auf ruhe hoffe werde ich nur enttäuscht. Man hört das Schnarchen bis raus in den Flur.

Stöhnend lasse ich meinen Kopf gegen die Tür sinken. Mein Kopf ist heute so voll, dass es mir schon schwerfällt zur Ruhe zu kommen, da kann ich ein schnarchendes Opossum nicht gebrauchen.

Getrieben von dem Wunsch nach Ruhe, durchquere ich den Flur und trete dann durch die Tür aufs Deck.

Kühle Abendluft begrüßt mich, aber das ist mir recht. Denn hier draußen herrscht absolute Ruhe. Erleichtert seufze ich auf und trete weiter raus. Das Schiff wird nur durch den Mond und einzelnen Sternen erhellt.

Mit nackten Füßen und mit nur einem Nachthemd bekleidet laufe ich über das Schiff, mit dem Blick nach oben gerichtet. Tausend von hellleuchtenden Sternen schweben am Himmel. Ich kann den Blick kaum abwenden, so schön funkelt und glitzert es. In der Hafenstadt habe ich noch nie so viele Sterne auf einem Fleck gesehen. Es ist atemberaubend schön.

Irgendwann komme ich am Ende des Schiffes an. Ohne den Blick vom Himmel zu lösen, laufe ich mit ausgestreckten Armen voraus um mich an die Reling zu lehnen.

"Schlafwandelst du oder hast du dir den Nacken verrenkt?" dringt da plötzlich eine tiefe Stimme aus der Dunkelheit zu mir. Vor Schreck senke ich die Arme und reiße den Kopf zu Jesper herum.

"Du hast mich erschreckt!" sage ich und gehe zögernd näher an ihn heran. Jesper steht an der Reling gelehnt da und beobachtet mich. Trotz der dunklen Nacht kann ich ihn gut erkennen. Auch, wie sein Blick von meinen nackten Füßen hoch zu meinen zerzausten Haaren wandert.

Um nicht weiter so auf dem Präsentierteller zu stehen, gehe ich vor und lehne mich neben ihn and die Reling. "Was machst du hier draußen?" fragt er. Mit dem Blick in die Ferne gerichtet antworte ich: "Ich konnte nicht schlafen und du?" "Ich auch nicht."

Dann verweilen wir kurz in entspanntes Schweigen. Wir hängen beiden unseren Gedanken nach, in dem Wissen nicht allein zu sein.

"Es tut mir leid." Seine Stimme ist so leise, dass ich erst denke das ich sie mir nur eingebildet habe aber er spricht weiter. "Mein Verhalten von vorhin. Das tut mir leid. Ich..." Er bricht ab und ich schaue zu ihm. Er hat beide Arme auf der Reling abgestützt und schaut nach vorne. Seine Haare fallen ihn ins Gesicht und sein weites Leinenhemd, das nur zur Hälfte zugeknöpft ist, ist ganz zerknittert.

"Hunter meinte das mein Verhalten dir gegenüber nicht fair war und..." er bricht schon wieder ab. Neugierig lehne ich mich weiter zu ihm. Er hat die Lippen aufeinandergepresst und die Augenbrauen zusammengezogen als überlege er fieberhaft was er als nächstes zu sagen hat.

"Du hast Angst vor dem Meer, stimmts?" Meine Stimme ist genauso leise wie seine. Jetzt ruckt sein Kopf zu mir und kurz sehe ich die Angst in seinen Augen. Die Angst das ich als eine Schwäche von ihm erkenne. Aber so schnell dieser Ausdruck da ist, ist er auch schon wieder verschwunden.

Er brummt nur vor sich hin und wendet wieder den Blick ab. Aber ich habe es gesehen. Seine Angst und ich möchte das er weiß das Angst nichts Schlimmes ist. "Ich habe Angst vor Hunden." gestehe ich ihm und warte auf eine Reaktion. Als nichts kommt rede ich weiter. "Nicht vor den kleinen, sondern vor den großen. Die viel sabbern und scharfe Zähne haben. Als ich ein Kind war hatte unser Nachbar einen großen Hund. Er hat immer so fürchterlich gebellt und eines Tages ist er über den Zaun zu uns in den Garten gesprungen. Ich hatte solche Angst das ich wie am Spieß geschrien habe. Mein Schreien hat den Hund so aufgestachelt das er immer lauter gebellt hat und irgendwann an mir hochgesprungen ist. Seitdem habe ich richtige Angst vor großen Hunden."

Es ist fast zu übersehen, aber ich habe es mitbekommen. Ein Mundwinkel von Jesper ist kurz nach oben gezuckt. Ein warmes Gefühl breitet sich in meinem Magen aus. "Und vor Haien habe ich Angst. Aber ich glaube jeder hat Angst vor den Tieren." rede ich weiter. Ich will das warme Gefühl wieder spüren.

"Es ist also nicht schlimm, Angst vor etwas zu haben. Das ist normal und macht uns Menschen aus." erkläre ich weiter und behalte ganz genau Jespers Mund im Auge. Ich höre ihn seufzen und lasse meinen Blick hoch wandern. Das blau seiner Augen sticht durch die Dunkelheit auf. Er schaut mich direkt an. "Ich habe Angst vor Wasser. Albern nicht? Ich bin der Captain eines Piratenschiffes, ich verbringe mehr Zeit auf See als an Land und habe trotzdem Angst vor dem Wasser." harsch stößt er ein Lachen auf.

"Albern? Nein. Es ist mutig. Du bist tagtäglich von deiner Angst umgeben. Jeder andere würde das Meer meiden, wo es nur geht, du aber, hast dich für ein Leben auf dem Meer entschieden. Du hast dich dafür entschieden dich deiner Angst zu stellen. Ich finde das sehr mutig." Ich merke, wie leidenschaftlich ich werde und beiße mir auf die Zunge um nicht noch mehr zu sagen.

Das Blau seiner Augen beginnt bei meinen Worten zu funkeln. Ich würde gerne weiter nachfragen, woher diese Angst kommt und wie weit sie geht. Mag er es auch nicht, wenn er sich wäscht? Wie ist das, wenn es regnet oder er in dem kleinen Boot sitzt? Jesper muss meine Neugierde mir ansehen denn er verlagert sein Gewicht von einem auf das andere Bein und lenkt mich ab. "Wie ist es bei dir und den Hunden? Bist du auch mutig?"

Ich stoße ein kleines Lachen aus. "Oh nein. Ich bin ein Feigling wie er im Buche steht. Ich bin früher immer einen großen Umweg gegangen, wenn ich in die Stadt musste. Weil am Ende der Straße ein Hund gelauert hat, der jeden angebellt hat." Ich muss trotz meiner Angst bei dieser Erinnerung lächeln. "Meine kleinste Schwester hat immer gesagt der Hund bellt so viel, weil er Einsam ist und mit uns befreundet sein will. Sie ist jeden Tag zu ihm hin und hat sich anbellen lassen, bis Carl ihr es verboten hat." "Wer ist Carl?" Kurz versteife ich. Mir ist der letzte Satz nur so rausgerutscht, ohne darüber nachzudenken. Ich werde blass und versuche eine Lüge zu erfinden.

"Eh..das ist niemand." Ich bin schlecht im Lügen. Ich sehe wie Jesper sich mehr zu mir umdreht und nachharken will, aber ich rede dazwischen. "Erzähl mir lieber mehr über die Crew. Wieso kann Fletcher nicht reden? Sind er und Seb Geschwister? Oh, und woher kennt ihr euch alle?" quassle ich drauf los.

Jesper zögert, so als wolle er noch nachharken, wer dieser Carl ist, aber ein Blick in mein Gesicht muss ihn umgestimmt haben. Denn er entspannt seine Schultern und lehnt sich mit dem Rücken gegen die Reling. Seine Arme verschränkt er vor der Brust.

"Fletcher kann nicht reden, weil ihm die Zunge herausgeschnitten wurde als er 7 war. Er und Seb sind Zwillinge und kommen ursprünglich aus Schottland. Wie wir alle zusammengefunden haben? Ich würde mal sagen das war ein bisschen Schicksal, ein wenig Glück und viel die Zeit."

"Erzähl mir mehr." bitte ich ihn mit aufgeregter Stimme. Das bringt Jesper ein bisschen zum Lächeln und dieses halblächeln erweckt die Wärme in meiner Brust wieder. 

Kiss of RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt