Kapitel 48

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"Woher hast du diese Narbe?" Jespers Stimme klingt sanft und leise, während er mit dem Zeigefinger unterhalb meiner Brüste entlangfährt. Diese federleichte Berührung wandert direkt bis in meinen Magen hinein und zieht dort sich zusammen. "Ich bin als Kind in unseren Teich ausgerutscht und auf einem Holzstamm gelandet." Jesper hebt kurz den Kopf von meinem Oberkörper und schaut ungläubig zu mir auf. "Wirklich?" Er schaut so überrascht, dass ich kehlig auflache. "Ja wirklich. Ich war zu schnell und zu unvorsichtig." Er schüttelt lächelnd den Kopf, bevor er sich wieder halb auf mich legt.

Nach dem eisigen, kurzen Waschen haben wir uns eng zusammen in sein Bett gelegt. Jespers Beine sind mit meinen ineinander verknotet, während sein Oberkörper auf meinem liegt. Meine Finger kraulen seinen Kopf, während er mit dem Finger leichte Muster auf mir malt. Es ist so herrlich friedlich, dass ich mir nicht vorstellen kann je wieder aufstehen zu müssen.

"Und woher hast du die Narbe an deiner Schulter? Die die so aussieht wie ein langer Strich?" fragte er weiter, während er seine Hände warm und weich auf meine Taille legt. "Vom Jagen mit meinem Vater. Mein Vater hat nicht aufgepasst und ich mich ausversehen in einen Busch geschubst." "Und die Narbe an deiner Kniekehle?" Ich höre sein unterdrücktes lachen in seiner Stimme. „Wie genau hast du mich denn beobachtet?" frage ich grinsend nach und hebe seinen Kopf zu mir hoch in dem ich leicht an seinen Haaren ziehe.

Blaue Augen funkeln mich verschmitzt an. Ich werde rot, als Erinnerungen von heißen Küssen und lustvollen Stöhnen vor meinen Augen flimmern. "Erzähl mir lieber von deinen Narben." bitte ich ihn sanft und versuche die aufsteigende Hitze wieder zurückzudrängen. Ich spüre, wie er sich unter mir versteift. "Meine Narbengeschichten sind nicht so amüsant wie deine." "Jesper." hauche ich leise. "Ich weiß so gut wie nichts von dir und du weißt so ziemlich alles über mich." "Du weißt schon mehr über mich als viele meiner Männer." "Mit Ihnen teilst du ja auch nicht das Bett." sage ich ein bisschen zu ruppig.

Seufzend rollt sich Jesper von mir herunter, um dann mit verschränkten Armen zur Decke hoch zu schauen. Ich lege mich auf die Seite und schaue ihn an. "Was willst du denn wissen?" Er klingt, als stünde er vor dem Erschießungsbefehl. Seine leidige Miene bringt mich zum Schmunzeln.

"Was macht dich Glücklich?" Langsam dreht er seinen Kopf zu mir. Seine blonden Haare hängen ihm, zum Teil, bis in die Augen. "Das vorhin macht mich glücklich. Dich hier bei mir liegen zu haben. Du allgemein machst mich glücklich." Sein offener Blick ist mir mit einem Mal zu viel. Ich drehe den Kopf zurück, sodass ich an die Decke schaue und atme zittrig ein und aus. "Und was hat dich vor mir glücklich gemacht?" Ich komme nicht darum herum das meine Stimme ganz belegt klingt.

"Mein Schiff und das Meer, denke ich."

Ich runzle die Stirn und muss doch wieder den Kopf zu ihm drehen. "Aber du hast doch Angst vor dem Wasser." stelle ich verwirrt fest. Als er nicht antwortet drehe ich den Kopf ein wenig zu ihm hin. Jespers Miene ist starr. Er ist leicht blass und starrt auf einen Punkt an der Wand. Vorsichtig rücke ich näher zu ihm. Ich berühre ihn nicht, unsicher ob er das gerade ertragen kann, aber ich möchte ihm trotzdem beistehen. "Ich..." fängt er an, bricht aber gleich wieder ab und presst die Lippen fest aufeinander.

Ich lasse ihm Zeit. Spreche ihn nicht an, fasse ihn auch nicht an. Wir liegen lange im Schweigen da. Ich zähle und lausche Jespers schweren Atemzüge. Ich zähle zwei Mal bis 100 bevor er seine verkniffene Miene löst und anfängt zu reden.

"Ich habe keine Angst vor Wasser, wenn ich dem Überlegen bin. Auf meinem Schiff fühle ich mich dem Meer überlegen. Nur wenn ich in den kleinen Booten sitze und so nah dem Wasser bin, bekomme ich meine Angst nicht in den Griff." "Woher kommt diese Angst?"

"Ich bin als junger Bursche beinahe im Meer ertrunken. Man konnte mich erst retten, als ich schon ganz blau war. Man hat nicht damit gerechnet, dass ich das Überleben würde." "Oh Jesper da ist furchtbar. Wie...wie ist das passiert?" Ich setze mich auf der Matratze auf, um ihm besser anschauen zu können. Jesper liegt weiterhin auf dem Rücken und fixiert irgendeinen Punkt an der Decke.

"Bei meiner Lehre mussten wir mit einem selbst gebauten Floß über das Meer schwimmen. Ich weiß gar nicht mehr was geschehen war. Ich kann mich nur noch an die Panik erinnern das wir ertrinken werden. Wir haben um Hilfe geschrien und uns an jedes Holzstück geklammert, aber die Wellen mitten auf dem Meer waren bedingungslos. Sie haben uns unter sich begraben und da wir beide nicht schwimmen konnten, blieb uns nichts anderes übrig als uns mitreißen zu lassen." Jesper seufzt einmal schwer, so als spüre er gerade seine ganze Last auf der Lunge. "Ich kann mich nur noch daran erinnern, wie ich in einem Krankenbett zu mir gekommen bin."

Tränen drücken hinter meinen Lidern. Mein Herz schmerzt bei der Vorstellung wie ein kleiner Jesper vor Angst um sich geschlagen hat. "Wer ist wir?" würge ich hervor, ohne die Beherrschung zu verlieren. "Mhm?" fragt Jesper und schaut mich jetzt das erste Mal offen an. "Du hast die ganze Zeit von wir geredet. Wer war da mit dir auf dem Floß?" Ich habe Angst vor der Antwort.

"Achso." Jesper verstummt. Ich sehe, wie er schluckt. "Timmothy. Timmothy Blanker. Er war mein Zimmergenosse." "Was ist mit ihm?" Die unendliche Traurigkeit in Jespers Blick müsste mir schon Antwort genug sein, aber ich beharre trotzdem auf eine Antwort. "Er wurde nie gefunden." Jespers Stimme klingt hohl. Eine einzelne Träne schafft es aus meinen zusammengepressten Augen hindurch und läuft mir über die Wange.

"Es tut mir so leid, dass du so etwas erleben musstest." Ich klinge so kläglich, und weil ich seine Nähe jetzt brauche, lasse ich mich auf ihn sinken. Jesper bereitet schon die Arme aus, um mich fest an seine nackte Brust zu drücken.

Er sagt nichts. Flüstert mir keine trösteten Worte ins Ohr oder liebliche. Er hält mich einfach fest an sich gedrückt. Und obwohl dieses Gespräch so ein trauriges ist und mich zum weinen bringt, hat es doch etwas Gutes.

Ich fühle mich Jesper jetzt viel näher. Spüre diese große, fast beängstigte Liebe in mir.

Irgendwann schlafe ich ein. Immer noch eng umschlungen und auf Jespers Brust. Aber er beschwert sich nicht, lässt mich an ihn gekuschelt liegen so als würde auch er sich nach meiner Nähe sehnen. 

Kiss of RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt