Köln

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Am Abend kommt Lynn in Köln an und steht hilflos am Flughafen.
Die Wache, wo Franco arbeitet, ist quer durch die Stadt und sie hat ihr letztes Geld für den Flug genutzt.
Jetzt steht sie in Camouflagehose, sandfarbenem Shirt und blauem UN Basecape vor dem Flughafen, blickt traurig in ihren leeren Geldbeutel und wendet sich an einen älteren Taxifahrer.
"Entschuldigung, ich müsste zu dieser Adresse, wie komme ich da zu Fuß hin? Taxi oder Mietwagen kommt nicht in Frage, ich fürchte meine amerikanische und irische Geldkarte funktionieren hier nicht und ich bin praktisch pleite."
Der Taxifahrer blickt sie überrascht an, schaut auf die Adresse und erklärt ihr freundlich "oh Mädche, dat is ever wat wit, wa?! Da löfste jut engenhalf Stond in die Rischtung."
Lynn verliert die Hoffnung und spürt bereits die Flüge und die Tiefschläge schwer auf ihren Schultern, reißt sich zusammen und antwortet nur leise "das muss ich dann wohl schaffen, vielen Dank für ihre Hilfe."
Gerade als sie sich zum Gehen umwendet spürt sie eine Hand an ihrer Schulter und hört direkt "guten Abend, die Kölner Polizei, Richter mein Name, mein Kollege Sindera, allgemeine Personenkontrolle. Können Sie sich bitte ausweisen?"
Sie dreht sich zu den beiden Männern in Uniform herum, antwortet "natürlich, sehr gern. Hier bitte" und reicht den beiden ihren Personalausweis, den Dienstausweis und die Reservistenurkunde.
Der Größere der beiden Beamten mustert sie und sie nimmt das Basecape höflich ab.
Ihre Daten werden überprüft und der Kleinere der beiden Beamten fragt "dürfen wir den Grund ihrer Einreise erfahren?"
Lynn versucht ein Lächeln und antwortet freundlich "ja, selbstverständlich. Ich möchte einen alten Freund hier in Köln besuchen. Er arbeitet im Rettungsdienst. Leider kann ich ihn telefonisch nicht erreichen, meine beiden Telefonkarten werden hier nicht funktionieren, aber ich habe die Adresse der Wache hier."
Sie holt den Zettel mit der Adresse und Francos Namen aus der Tasche und hofft das reicht den beiden.
Der Kleinere der beiden funkt mit der Leitstelle mit Bitte um Bestätigung der Angaben und der Größere fragt "kommen Sie aus einem Auslandseinsatz zurück?"
Lynn nickt und erklärt "es war der letzte Einsatz für mich, eigentlich wollte ich gestern meine Eltern in Irland überraschen, aber ich musste erfahren, dass sie beide bereits verstorben sind. Ich kenne sonst nur meine Kameraden von Amerika die aber bald wieder in den nächsten Einsatz gehen und den guten Freund hier in Köln. Da ist die Wahl dann auf Köln gefallen, wo ich vor 42 Jahren geboren wurde und jetzt steh ich hier, pleite und muss noch quer durch die City zur Wache. Naja, Schusters Rappen werden mich schon dorthin bringen."
"Ich bin Stephan Sindera, gerne Stephan und mein Kollege hier ist Paul Richter, wenn ich den gerade richtig verstanden habe hat er gerade eine Sonderfahrt als Amtshilfe angemeldet" erklärt Stephan freundlich, Paul dreht sich zu ihr herum, reicht ihr die Dokumente und fügt an "ich bin Paul und wie mein Kollege gerade sagte, wir haben eine Amtshilfe angemeldet und bringen dich. Du siehst ziemlich fertig aus und es ist uns eine Ehre dir zu helfen."
Lynn blickt die beiden überrascht an und sagt "das braucht ihr nicht, ich schaff das schon irgendwie."
Stephan nimmt ihr das Marschgepäck ab und deutet auf den Streifenwagen während Paul sagt "nichts da. Hier, ich hab sogar noch eine Flasche Wasser für dich. Komm, wir bringen dich. Franco ist ein Bekannter von uns und es freut uns wenn wir ihn mit dir überraschen können."
Lynn lächelt und antwortet "na dann, okay. Ich danke euch."

An der Wache parkt Paul den Streifenwagen etwas versteckt und die beiden nehmen Lynn zwischen sich.
Stephan vorneweg, dann Lynn und Paul als Schlusslicht schleichen sie zum Aufenthaltsraum der Wache rauf.
Stephan reißt die Tür schwungvoll auf und brüllt "Tassen hoch, alles setzten, brav sein, Polizei" in den Raum.
Man hört kurzen Tumult, dann schiebt Paul sich neben Stephan und brüllt "Franco Fabiano? Wir haben da was am Flughafen verhaftet."
Stephan nimmt seine Handschellen und fesselt mit einem Zwinkern Lynn an sich, die grinst schon und wartet.
Franco kommt ran und fragt "wie ihr habt wen am Flughafen......LYNN!!!!!!!"
Im nächsten Moment springt er ihr entgegen, umarmt die zierliche Gestalt stürmisch und Lynn merkt wie sie durch den Schwung mit ihrem Gleichgewicht kämpfen muss.
Stephan, der hinter ihr steht, verhindert, dass sie mit Franco zu Boden geht und Paul nimmt ihr das Marschgepäck von der Schulter.
Stephan löst die Handschellen wieder und Franco greift sich Lynns Hand, zieht sie mit sich in den Aufenthaltsraum und ruft über die Schulter "Jungs, Kaffee?"
Marion, die diese Szene beobachtet hat, greift nach drei Tassen und der Kaffeekanne, während Franco die zierliche Frau zwischen sich und Notarzt Oliver Dreier auf das Sofa zieht.
"Äh, Lynn, das ist Oliver Dreier, Notarzt und mein bester Kumpel, Oli, das ist Lynn, meine beste Freundin die bei der UN im Sanitätsbatallion ist und gerade vom Auslandseinsatz zurück ist" erklärt Franco und zeigt anschließend nacheinander auf die anwesenden Kollegen, stellt den Rest vor "Phil und Alex unsere zwei anderen Notärzte, Silke und Debbie unsere Notärtinnen, dann Jaqueline oder auch Jacky, Dustin, Omar, Ralf, Marcel, Marion und Karin unsere Sanis, Nick in der Dispo und Florian oder auch Flo."
"Hallo zusammen, entschuldigt diesen Überfall, war alles anders geplant und eigentlich wäre ich zu Fuß quer durch die Stadt, aber Paul und Stephan waren da anderer Meinung" grüßt Lynn freundlich.
Phil sieht sie an und bemerkt "du siehst ziemlich müde aus, war der Flug so schlecht?"
Franco fügt an "ja, du hast richtig tiefe Schatten um die Augen. Hast du überhaupt geschlafen die letzten zwei Tage?"
Lynn blickt Franco in die Augen, er erkennt alles darin und dann antwortet sie "vor vier Tagen bin ich in Arlington angekommen, am nächsten Tag nach Glensdale in Irland gereist um meine Familie zu überraschen, musste dort gestern erfahren dass sie bereits seit ein paar Jahren verstorben sind, das Häuschen der Kirche vermacht wurde, ich dadurch eine Nacht im Pfarrhaus übernachten durfte und heute früh gleich weiter nach Köln bin. Also, ja, ich hab eindeutig zu wenig geschlafen und steh gerade vor den Scherben meines Lebens und das nach 20 Jahren in Auslandseinsätzen für die UN. Aber hey, ich lebe wenigstens noch."
Marion sieht sie entsetzt an und Jacky fragt "soll das sarkastisch sein?! Ich würde in einer Ecke sitzen und heulen."
Lynn blickt Jacky an und erklärt "glaub mal, wenn das alles mal richtig angekommen ist wird der Absturz noch kommen."
"Gut, dann bist du wenigstens unter Aufsicht, ich nehm dich gleich mit zu mir und pass auf dich auf. Ich hab ein paar Tage frei und ich lass dich nicht hängen" erklärt Franco sofort und Lynn wehrt direkt ab "das musst du nicht, ich geh zur Kaserne und frag mir eine Stube bis ich weiß was ich zukünftig mache und wo mich mein Weg hinführt."
"Oh nein, vergiss es. Ich lass doch meine beste Freundin, bei der ich damals in Amerika wohnen durfte, nicht einfach in einer Kaserne unterkriechen wenn ich selbst ein Gästezimmer habe. Versuch erst gar nicht mir zu widersprechen, ich setzt den italienischen Sturschädel ein" droht Franco und Stephan reicht ihm schon die Handschellen.
Franco grinst Stephan an und erklärt "glaub mal, die brauch ich nicht. Ich hab zwei Anästhesieärzte hier sitzen, jede Menge Medis zum Sedieren und genug Manpower um das Leichtgewicht in mein Auto zu bringen."
Lynn knufft Franco in die Seite und schimpft mit einem Lächeln "denk dran, wer versucht mich zu sedieren muss erst gegen meine Nahkampftechnik ankommen und im Übrigen bin ich kein Frachtgut."
"Stimmt, dafür zappelst und beschwerst du dich noch zu viel" scherzt Franco und zieht sie vom Sofa hoch, erklärt dann "los komm, Feierabend seit 10 Minuten."
Er schleppt Lynn mit sich, nimmt ihr Marschgepäck schwungvoll vom Boden auf und schimpft "sag mal, das sind aber keine 50 Kilo mehr, das ist mehr."
Lynn antwortet "logisch, da sind meine letzten 20 Jahre drin, ich bin seit zwei Tagen Reservistin und damit sind das locker 80 Kilo."
Franco bleibt stehen, mustert sie genau und fragt "Sekunde, du wiegst doch höchstens 50 Kilo, oder?"
Lynn antwortet sehr kleinlaut "fast, 44 Kilo sind es."
Man hört deutlich wie 17 Tassen lautstarkt abgesetzt werden und dann platzt Alex mit der Frage "Magersucht" raus.
Lynn verneint direkt und alle sehen sie zweifelnd an.
Franco schleppt sie raus zum Auto und sagt "los, ich will gleich bei Spaghetti alles wissen."
Gemeinsam fahren sie vom Gelände los zu Franco.

Auf dem Weg merkt Franco schnell Lynn ist nicht gerade gesprächig und wirkt eher übermüdet.
Scherzhaft sagt er deshalb "Ich glaub dich steck ich gleich ins Bett, du schläfst ja schon halb."
Lynn schreckt hoch und murmelt "war ein bißchen viel die letzten Tage. Hat ganz schön geschlaucht."

Bei Franco begrüßt Joker sie gleich freudig und Franco zeigt Lynn wo das Gästezimmer ist.
"Vorschlag, mach dich frisch, ich koch uns noch was und dann ist für heute Schicht. Reden können wir dann morgen" schlägt Franco vor und Lynn nickt nur während sie schon in ihrem Rucksack kramt.
Ihr fallen vier Fotos heraus und Franco hebt sie auf.
Das erste Bild zeigt ihre Einheit in einem Einsatzgebiet, das zweite Bild Lynn mit Hund und Kamerad, das vierte Bild Franco mit ihr an einer Tomcat in Arlington und das vierte Bild ihre Eltern.
Als sie das letzte Bild in seiner Hand sieht hat Lynn plötzlich Tränen in den Augen und lässt sich langsam auf das Bett sinken.
Leise flüstert sie nur "das letzte Bild bevor ich nach Amerika ging. Danach kam nur selten Post von Mum und irgendwann kam gar keine Antwort mehr. Dieses Foto ist 20 Jahre alt."
Franco zieht Lynn vom Bett hoch und in seine Arme, erklärt leise "du darfst traurig sein, lass es raus, ich bin da und du weißt du warst und bist nach wie vor eine so gute Freundin für mich, dass du schon immer zur Familie gehörst. Jede Freundschaft die länger wie sieben Jahre hält ist Familie und genau deshalb möchte ich, dass du hier bleibst solange du möchtest."
Er spürt aus Lynn ist jeder Funken Kraft und Energie wie ausgesaugt und er kann es sehr gut verstehen.
Lynn ist ihm sehr dankbar für seinen Trost und seine Worte und beruhigt sich langsam wieder.
Leise und peinlich berührt nuschelt sie "tut mir leid ich hab dich fast ertränkt."
Ihr Versuch einen Scherz zu machen bringt ihn zum Lachen und er antwortet schlagfertig "sag bescheid wenn ich besser die Tauchausrüstung anlegen muss, die ist im Keller."
Lynn blickt ihn eine Sekunde an und dann müssen beide plötzlich lachen.
Franco dreht sie sanft zum Bad, fordert "na los, Dusche oder Wanne ist egal, hast 30 Minuten Zeit" und Lynn zeigt ein Daumen hoch, schnappt sich frische Klamotten und geht ins Bad.

Kurz danach sitzt sie ihm in einem Jogginganzug der US Army gegenüber und beide genießen Spaghetti mit Wein.
Nebenbei erzählt Franco etwas von seinen tollen Kollegen und dem tollen Team in der Wache, erwähnt dabei, dass sie dringend Leute suchen und es gerade schwer ist gutes Personal zu finden.
Lynn überlegt und fragt "sag, was genau sucht ihr? Du weißt ich war UN Sanitätsbatallion und hab Feldlazarett und Feldeinsatz gemacht."
Franco sieht sie an und sagt "dein Ernst?! Das wäre super. Lass uns morgen mit unserem DGL reden, ich wäre froh wenn wir wieder zusammen arbeiten können."
Lynn nickt und bittet "lass mich mal die Nacht drüber schlafen. Nach Arlington kann ich nicht zurück, bin nur noch Reservistin und mein Häuschen ist seit gestern neu vermietet. In Glensdale gehört mir auch nichts mehr und im Grunde bin ich gerade staatenlos mit drei Staatsbürgerschaften und ohne festen Wohnsitz."
Franco sieht sie an und sagt "okay, dann melden wir dich morgen mal hier mit an und dann reden wir mit Lars."
Lynn legt ihre Hand auf seinen Arm, blickt ihn an und sagt "ich bin dir so dankbar, ich hätte wirklich nicht gewusst wohin. Im Moment fühlt es sich noch an wie entwurzelt und wird wohl noch etwas Zeit brauchen."
Franco versteht und nickt.
Lynn verabschiedet sich kurz danach und geht müde schlafen.

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